AN CAILÍN CIÚIN
– Bundesstart 16.11.2023
– Release 13.05.2022 (Irland)
Preview 12.22.2023, Babylon Fürth.
Die Mutter ist hochschwanger, der Vater Trinker und Spieler, Geschwister sind es ohnehin zu viel, und der Bauernhof ist stark vernachlässigt. Die neunjährige Tochter Cáit ist verschlossen, eine wunderliche Außenseiterin, und immer noch Bettnässerin. Somit fällt die Wahl auf Cáit, den Sommer bei Eibhlín und Seán zu verbringen. Ein verwandtes Paar mittleren Alters, dass auch einen Bauernhof betreibt. In anderen Genres, würde Cáit bei den ihr fremden Verwandten ein gruseliges Mysterium lüften, oder eine mit Magie erfüllte Welt entdecken. Tatsächlich gibt es ein finsteres Geheimnis, und die Zeit bei Eibhlín und Seán wird zu einem magischen Ereignis. Aber mit der klugen Wahl von Claire Keegans Geschichte ‚Foster‘ als Spielfilmdebüt, bleibt Colm Bairéad mit jeder Faser bodenständig.
Es bleibt zu erwarten, dass einige Zuschauende den Film als schwerfällig und uninteressant empfinden werden. THE QUIET GIRL ist aber einer dieser Film auf die man sich einlassen muss, die nicht vorgeben wie man zu empfinden und wahrzunehmen hat. Im Nachhinein betrachtet, hätte er gar nicht anders inszeniert sein dürfen. Bairéad erzählt ausschließlich aus der Cáits Sicht, und lässt sich selbst für Verständnisfragen nicht von seinem Weg ablenken. Die Stärke des Film ist gleichzeitig auch Herausforderung.
Kate McCulloughs sensible Bildgestaltung übernimmt oft die Wahrnehmung von Caít. Eibhlíns helle und aufgeräumte Küche, die im krassen Gegensatz zum Elternhaus steht. Der distanzierte Seán, der leicht versetzt hinter dem Kind steht. Leicht untersichtige Einstellungen spiegeln den Blickwinkel auf Erwachsene wieder. Menschen sind nur von vorne zu sehen, wenn auch das stille Mädchen sie so sieht. Details in Bildmotiven werden nur hervorgehoben, wenn Cáit diese auch als neue Erkenntnis wahrnimmt.
Eine überaus geschwätzige Nachbarin bringt das für Erwachsene leicht zu erahnende Geheimnis um die Gastgeber in einer kurzen Szene ans Licht. Das wirkt zuerst wie ein harter Bruch in der sonst stringenten Erzählweise des Regisseurs. Aber wie Cáit auch, wird uns Zuschauenden später sehr wohl bewusst, dass diese Szene eine viel tieferen Ursprung hatte. Die vorausgegangene Verschwiegenheit haben wir als Vertrauensbruch empfunden, was wir erst viel später mit neuen Erfahrungen wieder revidieren müssen.
THE QUIET GIRL könnte sehr viel mehr sein, aber zum Glück erliegt er nicht der Versuchung. Ein künstlerische Entscheidung, mit der Colm Bairéad und sein Kreativteam ihren Film sehr angenehm von ähnlichen Geschichten abheben. Es gibt keine Hochglanzbilder, dennoch gleichen viele Motive naturalistischen Gemälden. So unterscheiden sich die zwei Bauernhöfe eigentlich nur in subtilen Details. Es ist lediglich eine unterschwellige Wahrnehmung die sich mit der Stimmung von Cáit überträgt.
Sehr zögerlich öffnet sich Seán seinem jungen Gast, während Eibhlín sich schon rührend kümmert. Aber verwöhnt wird das stille Mädchen nicht, erfährt aber ein starkes Gefühl für Geborgenheit. Aber auch hier verzichtet Bairéad auf eine stumpfe Schwarzweißzeichnung. Die Eltern würde ihrer Tochter niemals bewusst wehtun, wie sich Tante und Onkel nie als Gutmenschen aufspielen. Auf allen Seiten gibt es immer wieder Verunsicherung, aber niemals böse Absichten. Und dafür nimmt sich der Film angemessen Zeit.
Die exzellent besetzten Darsteller machen die sehr ruhige und unaufgeregte Inszenierung aber auch erst möglich. Keine Frage, und dem Thema geschuldet, führt die mittlerweile elfjährige Catherine Clinch das Ensemble mit einnehmender Natürlichkeit. Mit wenig Worten, aber starker Präsenz. Doch als Eibhlín und Seán stehen Carrie Crowley und Andrew Bennett in ihrem natürliche Wesen wirklich nicht weit hinten an. Hier kann auch Michael Patric als Vater überzeugen, der aber etwas weniger Stereotyp vertragen hätte.
Das Ensemble leistet großartiges in einer Inszenierung, die sich viel mehr über Spiel und Atmosphäre erzählt, anstatt über erklärende Dialog. Irisch-gälische Dialoge wohlgemerkt, die Untertitel zwingend machen. Ein Rätsel, warum dieser heiß gehandelte Kandidat für den Fremdsprachen-Oscar nochmal neun Monate für einen Deutschlandstart brauchte. Am Ende führt das zurück zu den vielen Möglichkeiten, die eine Prämisse wie diese in einem anderen Genre nehmen könnte – am Ende ist THE QUIET GIRL voller Magie.
Darsteller: Catherine Clinch, Carrie Crowley, Andrew Bennett, Michael Patric, Joan Sheehy, Kate Nic Chonaonaigh u.a.
Regie & Drehbuch: Colm Bairéad
nach der Geschichte ‚Foster‘ von Claire Keegan
Kamera: Kate McCullough
Bildschnitt: John Murphy
Musik: Stephen Rennick
Produktionsdesign: Emma Lowney
Irland / 2022
95 Minuten