THE LESSON

Lesson 1 -Copyright Port au Prince Pictures– Bundesstart 26.10.2023
– Release 22.09.2023 (UK)

Wer über 103 Minuten den unerträglich aufdringlichen Dreivierteltakt-Soundtrack von Isobel Waller-Bridge ertragen kann, erwartet mit Alice Troughtons THE LESSON ein verschlungenes Psychodrama mit einer überraschend eigenständigen Note. Mit seinem Kinodebüt als Drehbuchschreiber, will Alex MacKeith gerne einen Film präsentieren, der für das Thriller-Genre steht wie Hochliteratur zur Strandlektüre. Immer eine Spur komplexer, raffinierter konstruiert, und mit dem Hang auch Dinge unausgesprochen zu lassen. Diese eigenständige Note von intellektuellem Flair, dass Regisseurin Troughton für ihr Kinodebüt aufgreift und vertieft, zerfällt aber in eine spannungslose Abfolge verschiedener Ebenen. Krimi, Erotik-Thriller, Familiendrama, Psychogramm. Und es ist auffallend, dass Alice Troughton in ihrer Inszenierung sehr bemüht ist, keine dieser Eigenschaften die Oberhand gewinnen zu lassen. Anstatt die verschiedenen Ansätze richtig aufeinander zu hetzen, vermischt sie diese, bis es nur noch Fragmente ihrer eigentlichen Stärke sind.

Literaturstudent und angehender Schriftsteller Liam Somers zieht in das Gästehaus auf dem Anwesen der Familie Sinclair. Er soll Sohn Bertie für die Aufnahme an einer Elite-Universität vorbereiten. Trotz der sehr distanzierten Haltung von allen Seiten, genießt Liam seinen Job. Denn Bertie ist der Sohn des angesehenen Schriftstellers J.M. Sinclair, Liams Idol. Doch seit dem Tod seines zweiten Sohnes, kommt Sinclairs neues Buch nur langsam voran. Durch Liams Intellekt, und seinem photographischen Gedächtnis, nähern sich er und J.M. ganz langsam an. Aber jeder von Ihnen mit seiner eigenen undurchsichtigen Motivation. Und Hausherrin Hélène steht dem in nichts nach.

Lange hat es nach MEINE STUNDEN MIT LEO zum Glück nicht gedauert, den charismatischen Daryl McCormack wieder auf der Leinwand bewundern zu dürfen. Auch hier in THE LESSON dominiert wieder seine anziehende Physis, aber darstellerisch bleibt McCormack dafür ohne nennenswerten Eindruck. Was allerdings auch viel damit zu tun hat, dass Troughton ihm nie wirkliche Richtungen vorgibt, in welche die Figur tentieren würde. Und wo Daryl McCormack zu kurz kommt, übertreibt Richard E. Grant maßlos. Seine überzogene Arroganz funktioniert anfänglich noch ganz gut, wobei Grant von sich aus schon das Stereotyp des selbstgefälligen Schnösels ausstrahlt.

Lesson 2 -Copyright Anna Patarakina Port au Prince Pictures

Überzeugend ist Richard E. Grant in seiner charakterlichen Veränderung nicht. Sinclairs Wandel vom überheblichen Intellektuellen zum panischen Nervenbündel wäre vielleicht bei einem anderen Darsteller glaubwürdiger und damit auch spannender geworden. Was der Inszenierung allerdings auch nur marginal geholfen hätte. Nur langsam fügen sich diverse Puzzleteile ineinander, was aber weder Spannung erzeugt, noch Überraschungen birgt. Denn verschiedene Handlungsteile sind einfach viel zu vorhersehbar, wie Liam und Hélènes intime Beziehung, oder sind einfach unglaubwürdig inszeniert, was zum Beispiel auch die Szenen mit dem mysteriösen zweiten Computerserver im Haus angeht.

Die wunderbaren Möglichkeiten, das ausladende herrschaftliche Haus zu einem eigenen Charakter zu machen wird komplett verschenkt. Anna Patarakinas Bilder schaffen keinen Bezug zwischen den inneren Räumlichkeiten, und lassen diese auch immer wesentlich kleiner und gedrängter aussehen, als man durch die opulente Außenfassade annehmen würde. Es könnte als Metapher verstanden werden, wie sich die Familie Sinclair ihre eigenen Fesseln angelegt hat, die sie einschnüren, förmlich aneinander pressen, und Luft zum atmen nehmen. Lediglich Liam residiert außerhalb dieser Enge. Es wäre schön als Metapher, lässt sich aber schwer einordnen, weil der Film grundsätzlich zu viel möchte.

Leidenschaft, Lüge, Sünde, Verrat, Sühne, Neid, Illusion, Wahnsinn. Und zwischen allen Absichten, hat Alice Troughton einfach keine stimmige Atmosphäre getroffen. Wenn Anna Patakarinas Bilder ein romantisches Idyll vortäuschen, weiß geneigtes Publikum um den trügerischen Hinterhalt. Aber der Film will sich lieber intellektuell bedeutend von ähnlichen Thrillern abheben. Wie die Hochliteratur zur Strandlektüre. Bei allen Bemühungen gerät THE LESSON selbst zum Groschenheft. Doch dann ist da noch die faszinierende Julie Delpy, die als mysteriöse Mutter mit Blicken viel mehr aussagt als mit Worten. Sie allein strahlt eine Klasse aus, die der Film gerne haben würde.

Lesson 3 -Copyright Anna Patarakina Port au Prince Pictures

 

Darsteller: Daryl McCormack, Julie Delpy, Richard E. Grant, Stephen McMillan, Crispin Letts u.a.
Regie: Alice Troughton
Drehbuch: Alex MacKeith
Kamera: Anna Patarakina
Bildschnitt: Paulo Pandolpho
Musik: Isobel Waller-Bridge
Produktionsdesign: Seth Turner
Großbritannien / 2023
103 Minuten

Bildrechte: Anna Patarakina / Port au Prince Pictures
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