– Bundesstart 01.06.2023
Eigentlich für die Streaming-Plattform Hulu produziert, sind nun Testvorführungen dafür verantwortlich, dass BOOGEYMAN eine gut beworbene Kinoauswertung erfahren darf. Ob das gerechtfertigt ist, zeigt die im Vorfeld veranstaltete Sondervorführung, bei welcher sich das Publikum in erschrecktem Aufschrei und zitternder Anspannung aufteilte. Ob das einen guten Film ausmacht, sei dahin gestellt. Auf alle Fälle ist er effizient. Und Stephen King zeigte sich seit jeher höchst erfreut über derartig angsterfüllte Auswüchse, somit muss die Adaption seiner erstmals 1973 veröffentlichten Kurzgeschichte ganz nach seinem Geschmack sein. Diese Geschichte gleichen Titels hat er in einer Zeit geschrieben, als der Autor selbst unter den Existenzängsten litt, seine Familie nicht versorgen zu können. Das zentrale Thema in der Erzählung, und jetzt noch ausgeprägter in der Verfilmung. Das ‚Schreckgespenst‘ holt sich die schwachen und kaum behüteten Kinder.
Wie Lester Billings Kinder, die vom Boogeyman geholt wurden, weil ihnen nicht genug Aufmerksamkeit und Fürsorge zugute kam. Billings ist der tragische Protagonist der Kurzgeschichte, der sich mit seiner Familientragödie ausgerechnet an den Psychiater Will Harper wendet, und sich dann in dessem Haus das Leben nimmt. Wills jugendliche Tochter Sadie findet Billings erhängt im begehbaren Schrank des Ateliers ihrer verstorbenen Mutter. Mit diesem Ereignis verschlimmern sich auch die Angstzustände der kleinen Schwester Sawyer. Aber Sadie muss bald erkennen, dass Sawyers Angst vor der Dunkelheit ihre Rechtfertigung hat.
In erster Linie ist der Boogeyman in dieser Geschichte die Manifestation eines schmerzhaften Verlustes. Es gelingt dem Film ausgezeichnet, immer wieder den Fokus auf diesen Kern der Geschichte zu richten. Der Verlust der Mutter. Er treibt Will, Sadie und Sawyer langsam auseinander, weil jeder in der Familie mit dem Schmerz anders umzugehen versucht. Doch keiner ist in der Lage sich dem anderen mitzuteilen. Ein Zustand ähnlich in Lester Billings Familie, wo es die zerrütteten Verhältnisse dem Boogeyman leicht machten, die verletzlichen und verunsicherten Kinder zu holen. Kein belangloses Thema, und es bleibt selbst im sich steigernden Grusel-Hokupokus und Schock-Exzessen noch allgegenwärtig.
Auch wenn der BOOGEYMAN ein starkes Rückgrat an psychologischer Tiefe hat, getragen durch seine ausdrucksstarken Darsteller, bleibt die eigentliche Körpermaße immer noch 100% Horror. Und das in klassischer Form. Die Stärke von Regisseur Rob Savage liegt im Szeneaufbau, in denen sich jeder Jump Scare mit einer genüsslich zelebrierten Spannungskurve ankündigt. Und diese Schockmomente gibt es zuhauf, aber Savage verweigert sich dem unerwarteten Schreck. Und das macht den Film außergewöhnlich effizient in seiner Absicht. Es gibt kaum noch Filme dieser Art, die zusätzlich auch noch eine richtig Gänsehaut erzeugende Gruselatmosphäre aufzubauen verstehen.
BOOGEYMAN unterhält im Sinne des Genres und in seiner in sich geschlossenen, schaurigen Welt ganz ausgezeichnet. Lester Billings hat durch seinen Selbstmord das ‚Schreckgespenst‘ im Haus der Harpers manifestiert. Die unbewältigte Trauer bei der Familie macht es dem Boogeyman leicht, seine Präsenz physisch immer weiter zu verstärken. Erst mit Unterstützung von Billings Witwe findet Sadie eine Möglichkeit den Schrecken zu besiegen. Aber nur wenn der lethargische Vater und die panische junge Schwester dazu bereit sind. Das Herz des Publikums ist zwischenzeitlich in die Hose gerutscht. Es sei denn, dieses Publikum hat angefangen zu hinterfragen. Und das sollte man bleiben lassen. (Spoiler voraus)
Als Verantwortlicher für die Bildgestaltung zeigt Eli Born ein sehr effektvolles Verständnis für das Spiel mit Licht und Schatten. Aber auch mit Spiegelungen und verzerrten Reflexionen. Der Boogeyman könnte in jeder Einstellung jederzeit als fauchender Schatten auftauchen. Savage verzichtet glücklicherweise bis in die letzten Minuten darauf das ‚Schreckgespenst‘ als reale Gestalt sichtbar zu machen. Lediglich schemenhaft, oder gänzlich nur als leerer Schwenk, terrorisiert das Monster die Protagonisten, und das Publikum. Das hat Peter Gvozdas hervorragend montiert, die Stimmung ist am Siedepunkt. Aber warum machen die Betroffenen nicht einfach das Licht an?
Die ganze Laufzeit über ist klar, und alle Zuschauenden wissen das aus eigener Kindheit, Schreckgespenster können nur in der Dunkelheit existieren. Doch bei Harpers im Haus, selbst in Wills Praxis, ist es auch tagsüber stets finster. Und da muss man schon sagen, wie einfach es Eli Born sich und dem Regisseur gemacht hat, natürliche Umstände und Logik zugunsten des Effektes auszuhebeln. Sehr glücklich ist das nicht, wenn sich die ganze Prämisse durch sich selbst auflöst. Wer also anfängt zu hinterfragen, dem bleiben zumindest sehr anspruchsvolle Darbietungen eines exzellenten Schauspielteams.
Wenngleich sich der für die zweite Reihe dauergebuchte Chris Messina erneut unterordnen muss, dennoch als desorientierter Vater weit über dem Niveau ähnlicher Filme agiert. Doch es ist eindeutig Sophie Thatcher natürliche Darstellung die den Film trägt, und mit Messina ein tadellos glaubwürdiges Vater-Tochter-Gespann bildet. Allerdings ist da noch David Dastmalchian als psychisch instabiler, völlig verwirrter Lester Billings. Und dieser Charakter hält wirklich noch lange nach.
Darsteller: Sophie Thatcher, Vivien Lyra Blair, Chris Messina, Madison Hu, Marin Irland, David Dastmalchian u.a.
Regie: Rob Savage
Drehbuch: Scott Beck, Bryan Woods, Mark Heyman
Kamera: Eli Born
Bildschnitt: Peter Gvozdas
Musik: Patrick Jonsson
Produktionsdesign: Jeremy Woodward
Kanada, USA / 2023
98 Minuten