– Start 31.03.2023 APPLE TV+
Alexei Paschitnow hat ein Spiel erfunden. Robert Stein vermarktet die Rechte des Spiels ohne Legitimation. Robert Maxwell braucht die Rechte um veruntreute Gelder seines Medien-Imperiums zurück zu zahlen. Kevin Maxwell glaubt mit diesen Rechten Vaters Imperium übernehmen zu können. Henk Rogers will die Rechte, weil er leidenschaftlich an den Erfolg glaubt, und dafür mit seinem persönlichen Vermögen haftet. Und dann gibt es auf russischer Seite noch ein paar Figuren, die sich im Schatten des Zusammenbruchs der Sowjetunion noch schnell selbst bereichern möchten.
Die wirklichen Henk Rogers und Alexei Paschitnow hatten sich ja schon darüber ausgelassen, dass sie das „Hollywood Zeug“ im Drehbuch nicht verhindern konnten, und genau danach sieht Jon S. Bairds Verfilmung der Ursprungsgeschichte auch aus.
TETRIS könnte turbulenter Spaß im Gewand von Agententhrillern sein, oder packende Zustandsbeschreibung jener kaum beleuchteten Zeit, kurz vor dem Zusammenbruch einer Weltmacht. Das Buch von Noah Pink will beides, und all diese Attribute sind auch vorhanden. Es beschränkt sich aber lediglich auf die Abarbeitung von Versatzstücken, mit denen Regisseur Jon S. Baird noch viel weniger anzufangen weiß. Dabei beginnt die Geschichte viel versprechend dynamisch, im Ton unbeschwert bis ausgelassen. Die komplexe Verzahnung, wer über welche Rechte des Spiels Tetris verfügt, erzählt der Regisseur unkompliziert und verständlich, und sehr turbulent.
Der erfolglose Spieleentwickler Henk Rogers, gebürtiger Niederländer in Amerika groß geworden, mit Wohnsitz in Japan, entdeckt 1988 auf einer Messe das Spiel Tetris. Von Programmierer Alexei Paschitnow mit Kommilitonen erfunden, ist Tetris unter der Hand verbreitet, in Russland bereits ein Phänomen. Aber die Behörden sahen bisher keine Veranlassung es zu lizenzieren. Auslandsgeschäfte dürfen in der Sowjetunion nur vom Ministerium abgeschlossen werden. Die Spielehersteller SEGA und Atari glauben schon die Lizenzen für Konsole und Automaten zu haben. Nintendo hat aber mit dem noch unter Verschluss gehaltenen Game Boy den ersten Handheld kurz vor dem Start.
Viele Irrungen und noch mehr Verwirrungen lassen Henk Rogers direkt nach Moskau reisen, um für Ninentendo, und damit auch für sich selbst, das Rennen zu machen. Von da an ist aber auch alles andere im Rennen – Bestechung, Überheblichkeiten, Betrug, Verrat, KGB, jede Menge Verwechslungen, ein im taktischen Gewimmel überstrapazierter Henk Rogers, und zwischen den Fronten der bedrohte und eingeschüchterte Alexei Paschitnow. Inszenatorisch ist das Ganze ansprechend umgesetzt. Die Regie ist aber auch mehr an Tempo interessiert als an ausufernden Erklärstücken, dennoch bleiben aber die Prinzipien der Verhandlungen und der Verwirrungen einigermaßen verständlich.
Der Vorspann und die Szenenübergänge sind in 8-Bit-Grafiken erstellt, was anfangs noch einen origineller Anstrich hat, aber im weiteren Verlauf nicht mehr richtig zum atmosphärischen Aufbau passen will. Denn wenn die Ausgangslage erst einmal geklärt ist, beginnt sich der Film und seine Muster zu wiederholen. Es gibt Szenen die so absurd sind, dass sie wirklich nur so passiert sein können. Wie Henks Betreten eines staatlichen Gebäudes mit einem Touristen-Visa, was eigentlich mit sofortiger Inhaftierung einhergehen würde. Und es gibt Szenen, die schlicht zu gefällig sind, dass sie nur das benannte „Hollywood Zeug“ sein können. Wie der Running Gag mit Kevin Maxwells Vornamen.
Das entscheidende Problem sind die Figuren selbst, von denen keine eine tiefer Betrachtung zugestanden bekommt. Taron Egerton ist ein fantastischer Henk Rogers, der seine überdrehte Freude am Spiel auf das Publikum überträgt. Er ist und bleibt aber der unerschütterliche Sunnyboy, der im Narrativ der Rechte-Vermarktung verhaftet bleibt und sich nicht weiter entwickelt. Mit Sofia Lebedeva als Dolmetscherin Sasha glaubt man zuerst an einen unerwarteten Sidekick mit viel Potential, aber die Figur verschwindet unvermittelt ohne Erklärung. Ansonsten gibt es Abziehbilder handelsüblicher Gefälligkeitskomödien, wobei die russischen Figuren besonders banal abgehandelt werden.
Deswegen ist TETRIS kein schlechter Film, er ist nur sehr gewöhnlich. Es herrscht eine Phase, in der die Industrie davon abrückt Spiele, Spielzeug oder Freizeitpark-Attraktionen, filmisch umzusetzen, und lieber deren Entstehungsgeschichte nachzeichnet (selbst die Entstehung der Air Jordans läuft eine Woche später im Kino). In diesem Sinne kommt das Spiel als solches einfach zu kurz. Natürlich ist es schwer die irrationale Faszination für sieben Tetrominos und den einhergehenden Puzzle-Charakter plausibel zu vermitteln. Doch dies sollte der grundsätzliche Kunstkniff bei einem Projekt wie diesem sein.
Technisch kann man TETRIS überhaupt nichts absprechen. Im Gegenteil. Dem Produktionsdesign gelingt es ausgezeichnet mit wenigen Settings und minimalen Aufwand den größtmöglichen Effekt eines tristen, ungemütlichen Moskaus zu erreichen. Und Alwin Küchler versteht dies mit seinen Bildkompositionen zu realistischer, aber auch bedrohlich wirkender Größe aufzubauen. Wobei sich das hierbei gezeichnete Bild von Moskau auch wieder den westlichen Klischee-Vorstellungen anpasst. Küchler kann bestimmte Reaktionen der Darsteller optisch gut fokussieren. Im Gesamten unterstreicht aber die Kamera letztendlich auch nur die beabsichtigten Stimmung der jeweiligen Szene.
Einmal schwelgt Taron Egerton davon, wie er nach seinem ersten Tetris-Spiel Nachts von den Vierer-Blöcken träumte, und im Bild fallen um ihn herum grafisch eingefügte Blöcke. Das ist ein beispielhafter Ansatz, wie der Film eigentlich an Ideen und technischen Finessen aufgebaut sein müsste, damit die Euphorie um das „beliebteste Computerspiel der Welt“ – laut Abspann erst 2009 von Minecraft abgelöst – adäquat umgesetzt wäre. Aber TETRIS ist viel mehr darauf fixiert, eine absurde Geschichte noch viel absurder zu erzählen. Was durchaus in Ordnung sein kann, aber selbst damit kommt Jon S. Baird nicht sehr gut zurecht, und beginnt sich schon nach kurzer Zeit im Szenenaufbau zu wiederholen. Am Ende hat man wirklich nicht das Gefühl, unbedingt noch einmal spielen zu müssen, um vielleicht einen besseren Unterhaltungsscore zu erreichen.
Darsteller: Taron Egerton, Mara Huf, Toby Jones, Nikita Yefremov, Roger Allem, Anthony Boyle, Oleg Shtefanko u.a.
Regie: Jon S. Baird
Drehbuch: Noah Pink
Kamera: Alwin Küchler
Bildschnitt: Colin Goudie, Ben Mills, Martin Walsh
Musik: Lorne Balfe
Produktionsdesign: Daniel Taylor
Großbritannien, USA / 2023
118 Minuten