– Bundesstart 30.11.2023
– Release 25.09.2023 (Belgien)
Man musste lange darauf warten, bis der legendäre Jigsaw endlich einmal in einer seiner eigenen Fallen fest geschraubt werden würde. Das alles ist umso spannender, weil geneigte Fans der Serie genau wissen, dass John Kramer zwar von einer Kreissäge getötet wurde, aber bereits vor 16 Jahren. Zum selben Zeitpunkt hat eine Pistolenkugel auch Kramers / Jigsaws verschriebene Assistentin Amanda umgebracht. Die mit Blut und Gedärm getränkten Selbstverstümmelungsorgien unter dem Deckmantel von moralischen Läuterungen fanden in Ausuferung und Absurdität kein Ende. Die SAW-Reihe hatte dringend frisches Blut gebraucht, aber die letzte Inkarnation SPIRAL hatte nicht die richtige Blutgruppe. So unwürdig konnte man aber diese fünft erfolgreichste aller Horrorserien nicht sterben lassen (man kommt an den Kalauern einfach nicht vorbei). Ausgerechnet die Autoren der beiden schwächsten Teile, JIGSAW und SPIRAL, haben sich etwas einfallen lassen. Aber diesmal überzeugen Pete Goldfinger und Josh Stolberg auf sehr innovative Weise.
SAW X ist ein Prequel, welches aber zum Glück keine Ursprungsgeschichte wurde. Schon dieser Umstand ist die erste Überraschung in diesem überaus ansprechenden Film eines Franchise, dem man eigentlich nicht mehr viel zugetraut hat. Der Bauingenieur John Kramer hat Krebs im Endstadium, und nur noch maximal drei Monate. Ein Vertrauter aus Johns Selbsthilfegruppe gibt ihm den verheißungsvollen Tipp einer revolutionären Behandlung aus Norwegen. Aha, sagt der Liebhaber dieser brutalen Spektakel, war da nicht schon einmal was mit einer alternativen Heilmethode, vor 13 Jahren, in SAW VI ?
Für die Zuschauenden liegt es in der Vergangenheit, für John Kramer in der Zukunft. Denn Goldfinger und Stolberg haben ihre Geschichte zeitlich zwischen dem ersten und dem zweiten Teil angesiedelt. Da Big Pharma solche wirksamen Alternativen zu vereiteln versucht, wird Kramers Behandlung an einem geheimen Ort in Mexiko angesetzt. Und die verläuft erfolgreich. Glaubt zumindest der überglückliche Fallensteller, während für das Publikum bereits die faule Atmosphäre von Betrug versprüht wird. Es ist schließlich ein Thriller mit bekannt geradliniger Agenta, und keine Nicholas Sparks Verfilmung.
Es bedarf weiter keiner ausladenden Erläuterungen, dass John Kramer den Betrügern selbstredend mit seiner Ingenieursgabe auf recht deftige, weil ausgetüftelt grausame Weise Benimm beibringen wird. Assistentin und Schülerin Amanda ist auch dabei, was sich etwas mit der Chronologie zu Teil II beißt, den die Macher unbedingt nach diesem Film angesiedelt sehen wollen. Wer möchte schon Erbsen zählen, bei einem Schocker, der noch immer stimmiger ist, als die meisten groß budgetierten Franchise-Produkte. Regisseur Kevin Greutert geht dabei stilistisch bis fast an die Anfänge zurück.
Greutert hat die ersten sieben Filme sehr effektiv am Schneidetisch montiert, bei Acht und Neun ziemlich schwach Regie geführt, und jetzt beide Positionen in Personalunion übernommen. Herausgekommen ist ein Film der nicht nur inhaltlich zwischen den ersten beiden Filmen liegt, sondern auch unterhaltungstechnisch wieder einmal deren schauriges Niveau erreicht. Im Kamerabereich ist Nick Matthews zum ersten Mal zugange, der hat aber den schmutzigen, halbdunklen Industrie-Look der Vorgänger regelrecht aufgesogen und perfekt übertragen. Es ist wie Nachhausekommen, mit haarsträubender Wonne.
Man darf und sollte guten Gewissens den Tatsachen in die noch nicht ausgestochenen Augen schauen, dass weder Tobin Bell noch Shawnee Smith zu den facettenreichsten Darstellern zählen. Aber sie haben ihre Rollen verinnerlicht und untrennbar von ihren eigenen Personen gemacht. Beide stehen das erste Mal im Vordergrund, wo sonst die Opfer und ihr grausiges Schicksal standen. Gelungen ironische Zwischentöne findet der Film, wenn beispielsweise ein geschundenes Opfer einen kleinen Jungen bedroht, und deswegen von der Peinigerin unter Tränen als unmenschliches Monster beschimpft wird.
Es sind überhaupt ungewohnte Töne in diesem Teil zu finden, was ihn sehr viel ansprechender macht als die meisten Vorgänger. Fast schon beschaulich ist die erste halbe Stunde, die statt den unbestreitbaren Sadisten Jigsaw, einen schon bemitleidenswerten John Kramer zeigt. Doch der Regisseur schafft es, Kramers Weg bis nach der Behandlung absurderweise emotional richtig ansprechend zu gestalten. Man ertappt sich, Kramer tatsächlich vermenschlichen zu wollen. Letztendlich wird diese überraschend sanfte, gut funktionierende Einführung in vielen Details für Jigsaws Rache nützlich.
SAW X findet für die Serie fabelhafte Neuerungen in seiner Erzählweise, und vor allem eine vielversprechende Rückbesinnung auf alte Qualitäten. Diese Qualitäten waren überschaubare Handlungsstrukturen und glaubwürdige, plausible Folterinstrumente. Und keine absurd überzogene Maschinenkonstrukte mehr. Dafür ist der Blutgehalt und die ertragbare Schmerzgrenze ungebrochen ausgeschöpft. Dadurch das Kramer als Jigsaw tatsächlich bei seinen ungesunden Bestrafungen persönlich zugange ist, gewinnt dieser Film noch an persönlicher Intensität – für Opfer und Zuschauende. Gelungenes Schocker-Kino mit der dringend benötigten Auffrischung, dank einiger Schritte zurück. Und wer aufpasst, bemerkt die klaren Vorbereitungen für eine mögliche Weiterführung. Mit dem dabei in Betracht zu ziehenden Charakter, wäre das ein mörderisches Vergnügen.
Darsteller: Tobin Bell, Shawnee Smith, Synnøve Macody Lund, Renata Vaca, Octavio Hinojosa, Paulette Hernandesz, Joshua Okamoto, Steven Brand u.a.
Regie & Bildschnitt: Kevin Greutert
Drehbuch: Pete Goldfinger, Josh Stolberg
Kamera: Nick Matthews
Musik: Charlie Clouser
Produktionsdesign: Anthony Stabley
USA, Mexiko, Kanada / 2023
118 Minuten