RUNNING AGAINST THE WIND

Running against 1 - Courtesy of W-FILM– Bundesstart 20.07.2023

In ärmsten Verhältnissen wachsen Solomon und Abdi im wüstenähnlichen Landstrich Ganda Abdi in Äthiopien auf. Nach dem Tod des Vaters, wird Solomon von Abdis Familie aufgenommen. Die besten Freunde werden zu Brüdern. Solomon möchte Fotograf werden, und Abdi träumt davon, als Läufer schneller als der Wind zu sein. Der polnische Kameramann Mateusz Smolka versinnbildlicht diese Träume in atemberaubenden Einstellungen. Solomon bewegt sich in wechselnden Landschaften von ungewöhnlichen Farben und abstrakten Formen. Abdi trainiert in der Steppe und läuft mit staubigen Windböen um die Wette. Die fantastische Bildgestaltung bewahrt sich Regisseur Jan Philipp Weyl den ganzen Film hindurch. Die Bilder werden der wichtigste Erzähler in diesem Film, der dadurch auf sehr viele überflüssige, somit vielleicht auch synthetische Dialoge verzichten kann.

Fast alle Beteiligten an dieser Produktion sind Amateure, und das erste Mal vor wie hinter der Kamera. Umso beeindruckender ist das Regirdebüt von Jan Philipp Weyl. RUNNING AGAINST THE WIND gibt vor auf wahren Begebenheiten zu basieren. Damit sind wohl in erster Linie die Erfahrungen des Deutschen Weyl gemeint, der sich Äthiopien und seinen Menschen verbunden fühlt. Und in einem Teil der Handlung stecken Anflüge aus der Lebensgeschichte des wirklichen Langstreckenläufers Haile Gebrselassie. Gebrselassie spielt sich als inspirierender Mentor in einer Nebenrolle selbst. Dann der Charakter des Künstlers Paul, dieser fühlt und bezeichnet sich als Äthiopier. Er ist letztendlich ein Abbild des Regisseurs, der sich auch selber spielt.

Als Kind klaut Solomon einem Entwicklungshelfer die Fotokamera, und flüchtet in die Hauptstadt Addis Abeba. Abdi bleibt vorerst zurück, aber sein Talent als Läufer wird erkannt und gefördert. Zehn Jahre vergehen. Die Aufnahme in die Nationalmannschaft bringt letztendlich auch Abdi nach Addis Abeba. Solomon hat seinen Traum verfehlt, und lebt mit Frau und Kind in den Slums. Kriminalität und Drogen sind für ihn nicht unbekannt. Während Solomon desillusioniert durchs Leben geht, gibt Abdi seinen wiedergefundenen Bruder nicht auf. Doch für eine bessere, familiäre Zukunft müssen die beiden erst einige steinige Lektionen voneinander lernen. Besonders einfallsreich ist die Geschichte also nicht. Dafür ist sie umso anspruchsvoller erzählt.

Running against 3 - Courtesy of W-FILM

 

Ashenafi Nigusu und Mikias Wolde, als Abdi und Solomon, sind keine professionellen Schauspieler. Das merkt man immer wieder in den leisen Untertönen gewisser Sequenzen. Aber das ist insofern Erbsenzählerei, denn der Regisseur fängt eventuelle Schwächen dadurch ab, dass er ohnehin seinen Film mit sehr vielen inszenatorischen Finessen aufwertet. Eine davon ist, zum Beispiel viele Szenen nicht zum bitteren Ende auszuspielen, sondern das Publikum den offensichtlichen Ausgang im Kopf selbst zu Ende erzählen zu lassen. Bei dem Fotokünstler Paul ist das leider ein wenig anders. Das Anliegen des Regisseur Weyl, Paul selbst zu verkörpern, ist in Anbetracht des Grundgedankens des Films absolut nachvollziehbar, doch darstellerisch nicht sehr überzeugend.

Aber eigentlich ist es falsch RUNNING AGAINST THE WIND an Einzelleistungen zu messen. Es ist eine äthiopische Geschichte, mit ihren Eigenheiten und kulturellen Widrigkeiten. Aber Weyl macht daraus eine globale Erzählung über Werte und Menschlichkeit, über Träume und Hoffnungen. Eine brutale Welt, die auch, aber nicht zwangsläufig durch körperliche Gewalt hoffnungslos scheint. Besonders im letzten Drittel schöpft der Film aus einer finsteren Atmosphäre von allgegenwärtiger Bedrohung und falschen Abhängigkeiten. Die Geschichte folgt in weiten Teilen auch den Regeln des kommerziellen Kinos. Dadurch wirkt die Auflösung in seiner hoffnungsvollen Stimmung angepasst, doch es wird dem Anliegen des Regisseurs gerecht.

Die Vermengung von Arthouse und Mainstream ist überaus gelungen, und verschafft Jan Philipp Weyl einen hervorragenden künstlerischen Freiraum. Diesen Freiraum nutzt vor allem, und das kann man nicht oft genug betonen, Smolka für seine eindringliche Bildsprache. Sie macht Wort meist irrelevant. Weyl selbst verzichtet in seiner Inszenierung auch auf dramaturgische Überhöhungen oder künstliche Spannungsbogen. Das allgegenwärtige Übel bricht nicht überraschend in die vermeintlich heile Welt. Solomon kann seinem angestammten Kreis von Junkies und Verbrechern nicht ohne Weiteres entkommen. Abdi kann seine Herkunft nicht ohne Weiteres abschütteln. Das Publikum weiß das, und das wiederrum nutzt der Regisseur für eine viel direktere Konzentration auf die zwei Hauptfiguren. Das ist immer nur leicht neben den Sehgewohnheiten des europäischen Kinos, und das macht RUNNING AGAINST THE WIND zu einer rundum ansprechenden Überraschung.

Running against 2 - Courtesy of W-FILM

 

Darsteller: Mikias Wolde, Ashenafi Nigusu, Joseph Reta Belay, Samrawit Desalegn, Genene Alemu u.a.
Regie: Jan Philipp Weyl
Drehbuch: Jan Philipp Weyl, Miachael Wogh
Kamera: Mateusz Smolka
Bildschnitt: Amanuel Tilahun Tadesse
Musik: Teddy Mak, Stefan Postavka
Produktionsdesign: Bartolomäus Kleppek, Irai de Souza, Elias Mulalem
Äthiopien, Deutschland / 2019
116 Minuten

Bildrechte: W-FILM
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