Beitrag der FANTASY FILMFEST WHITE NIGHTS 28.01. – 05.02.2023
NEUGDAESANYANG
– Bundesstart 02.03.2023
2,5 Tonnen Blut und ein Body Count von 57, verkündet Regisseur und Drehbuchautor Kim Hong-sun voller Stolz für die Pressearbeit. Das ‚voller Stolz‘ ist ein erfundener Zusatz dieses Verfassers, weil etwas ganz und gar nicht so richtig passen will, wenn solche Informationen aus dem Marketing kommen. Schon richtig, dass das asiatische Kino einen anderen Zugang zu Gewalt im Kino hat, die Südkoreaner im Besonderen. Aber bei PROJECT WOLF HUNTING verliert sich alles im Rausch der Extreme, was den Film jenseits der gewaltigen Blut- und Gewaltexzesse interessant machen könnte. Wie zum Beispiel der Handlungsaufbau des Films, der mit allen Regeln bricht, was das westliche Mainstream-Kino mühsam in den Köpfen des Publikums implantiert hat. Aber Kim Hong-sun kann auch über die verdrehte Handlungsstruktur seinem Film nichts Gutes tun, weil diese genauso absurd ist wie das Gewaltpotential.
Der erste Versuch, eine Gruppe extrem gefährlicher Krimineller von den Philippinen nach Korea per Flugzeug zu überführen, wurde blutig vereitelt. Im zweiten Anlauf wird extra ein Frachtschiff angeheuert, um unbemerkt und abgeschottet die Überführung zu vollziehen. Für jeden Gefangenen gibt es einen Polizisten, und eine Spezialeinheit überwacht vom Hafen aus mit GPS, Radar und bestem elektronischen Schnick-Schnack den Transport. Alles würde nach Plan laufen, wäre nicht Jong-doo mit an Bord, ein sadistischer Mörder mit Beziehungen zur Mafia. Man muss nicht einmal Eins und Eins zusammenzählen, was kommen wird.
Es sind alle Facetten von Schwerverbrechern und Gesetzeshütern mit an Bord (im buchstäblichen Sinne). Der ultra-aggressive Mörder, der altgediente Cop, der besonnene Verbrecher, die ehrgeizige Aspirantin, der dumpe Mitläufer, die nachlässigen Idioten, der undurchsichtige Chef. Und natürlich das dunkle Geheimnis im untersten Deck des Schiffes, dass es nicht geben dürfte. Kim Hong-sun inszeniert dieses Ensemble nach allen Regeln des Genres, mit allen althergebrachten Klischees. Mit dem leichten Unterschied, dass mit dem ersten Einsatz von Waffengewalt auch das Blut in Strömen fließt und Knochen brechen, und es von da an nicht nachlässt.
Die Gefangenen geben sich nicht damit zufrieden, befreit zu werden und das Schiff zu übernehmen. Schusswaffen, Eisenstangen, Handkanten oder Fußtritte, und viele anderen Alltagsgegenstände taugen dazu, die jeweiligen Gegner nicht einfach zu töten, sondern genüsslich zu malträtieren und zu zerfleischen. Warum, sei dahin gestellt, es geht eindeutig um den Effekt. Und Kim Hong-sun stellt diesen Effekt ganz klar über die Logik. Weil das asiatische Kino sich noch als stolzer Vertreter von Ehrenkodex gibt, sind die moralisch aufrichtigen Figuren, wesentlich zurückhaltender in ihrer Wehrhaftigkeit.
Mit der Waffe im Anschlag möchten die Gesetzeshüter erst einmal verhandeln, obwohl der Böse gerade einem anderen Polizisten freudestrahlend das Gesicht zu Brei getreten hat. Man merkt, dass der Filmautor Kim nicht einfach ordentliches Splatter-Kino im Sinn hat, sondern versucht neue Grenzen zu setzen. Das ermüdet allerdings sehr schnell. Wenn Jong-doo schadenfroh auf eines seiner Opfer uriniert, oder der männliche Drahtzieher der Befreiungsaktion einem ebenso männlichen Partner während des Oral-Sex das Genick bricht, soll das Tabus brechen. Die Absicht dahinter ist so durchschaubar, dass es stattdessen lächerlich wirkt.
Die Ansätze einer Mixtur zwischen dem geschlossenen Setting von STIRB LANGSAM und CON AIRs aufrechten Gefangenen verpufft. Die Kamera von Yun Ju-hwan bewegt sich äußerst agil durch die verschiedenen Decks, weiß die Protagonisten effektiv ins Bild zu setzen, was der Bildschnitt von Shin Min-kyeong fabelhaft unterstützt. Die Dynamik wäre für einen Action-Reißer genau richtig, der Drehort fabelhaft. Doch der Filmautor Kim Hong-sun weiß mit Action offensichtlich nichts anzufangen. Er will lieber cleveres Genre-Kino machen, indem er provokant alle Blaupausen gegen die eigentlichen Sehgewohnheiten inszeniert.
Nichts von dem was der Film an Erwartung aufbaut hat Bestand. Damit macht Kim Hong-Sun die meisten seiner Handlungspunkte irrelevant. Wenn zu Anfang einer der Beamten als vermeintlicher Held aufgebaut wird, und dann unvermittelt das Zeitliche segnet, wirkt das gegen einen möglichen Spannungsbogen. So verhält es sich mit vielen Charakteren und den meisten Situationen, als hätte der Regisseur alle 10 Filmminuten sein Konzept geändert. Mit der Spannung verhält es sich, wie mit den gewalttätigen Ausbrüchen. Es scheint alles immer wieder von vorne zu beginnen.
Was PROJECT WOLF HUNTING gerade für Gore-Enthusiasten nach und nach immer uninteressanter macht, ist die vollkommene Abstinenz von innovativen Splatter-Szenen. Der originellste Auswuchs zeigt sich wohl mit dem Alpha genannten Übermenschen, der einem Opfer den Arm ausreißt und es damit zu Tode prügelt. Das passiert in der zweiten Hälfte, wo sich der Film noch einmal komplett dreht, wo er doch schon die sechzig Minuten vorher keine wirkliche Linie besaß. Aus dem Schlachtfest mit nicht vorhandenem Spannungsbogen, wird plötzlich eine abstruse Farce um die Entwicklung von übermenschlichen Super-Soldaten.
Was mutmaßlich als überraschende Wendung gedacht war, erweist sich als absurder Wechsel in der Geschichte, der sich als schlampig zusammengeschweißtes Gerüst an Handlung erweist. Selbst hier hat Kim Hong-sun seine eigenen Ideen nicht wirklich im Griff. Etablierte Figuren werden im wortwörtlichen Sinne ausgesiebt, und auf einen Charaktere für eine mögliche Führungsrolle verzichtet der Regisseur, was aber auch durch die unstete Handlungsstruktur irrelevant werden würde. Der Fokus wird klar auf die Möglichkeit einer Fortsetzung ausgerichtet, was PROJECT WOLF HUNTING zu einem unschlüssigen, ultra-brutalen Stückwerk macht, welches in sich keinen dramaturgischen Zusammenhalt findet.
Darsteller: Seo In-guk, Jang Dong-yoon, Choi Gwi-hwa, Jung So-min, Ko Chang-seok, Sung Dong-il u.a.
Regie & Drehbuch: Hongsun Kim
Kamera: Yun Ju-hwan
Bildschnitt: Shin Min-kyeong
Musik: Kim Jun-Sung, Jo Ran
Stunts: Daniel Kwanghwee Choi
Südkorea / 2022
122 Minuten