– Bundesstart 24.08.2023
– Veröffentlichung 27.04.2023
Stunt-Frau ist das erklärte Berufsziel von Teenager Ria Khan. Die Britisch-Pakisterin wird dafür in der Schule verspottet, und im Kampfsport ist sie auch nicht gerade die Beste. Aber Ria ist wild entschlossen, hat sogar einen eigenen You-Tube-Kanal, bei dem sie Videos ihrer Trainingseinheiten unter ihrem Namen ‚The Fury‘ – die Wut – veröffentlicht. Ihr Motto wird das Publikum auch den ganzen Film hindurch begleiten, sehr zum Gelingen eines erhöhten Spaßfaktors: Die Götter flüsterten dem Krieger zu: „Du wirst der Wut nicht standhalten.“ Der Krieger flüstert zurück: „Ich bin die Wut!“
Leidenschaftliche Unterstützung erfährt sie von ihren beiden Freundinnen Clara und Alba. Eher leidenschaftslos, muss Schwester Lena, eine strauchelnde Künstlerin, bei den Videos aushelfen. Aber die Beziehung unter den Geschwistern ist stark und von Hingabe geprägt. Bis Lena unvermittelt ihre Kunst aufgibt, und aus heiterem Himmel den sehr suspekten Genetiker Salim heiraten will.
Bereits mit der kurzlebigen Serie WE ARE LADY PARTS hat Schöpferin und Autorin Nida Mazoor die Fernsehkultur aufsehen lassen. Die Geschichte einer Punk-Band von muslimischen Frauen in London. Bei ihrem Spielfilmdebüt bleibt Mazoor ihren pakistanischen Wurzeln mit starkem britischen Einfluss treu. Sie zaubert ein interkulturelles Spektakel, dass sich einer Kategorisierung vehement verweigert. Martial-Arts-Action und Komödie, Kulturdrama und Schulklamotte, Fantasy und Agentenfilm. Das wechselt Schlag auf Schlag, und manchmal vermischt sich alles untrennbar.
Ria muss das Geheimnis um Salims ungesunden Beziehung zu seiner dominanten Mutter aufklären, und ihre Schwester vor einem düsteren Schicksal bewahren. Mit der Unterstützung der Schulfreundinnen Clara und Alba scheint das kein Problem. Aber sie sind eben noch Teenager. Da wird der Raub der Schwester aus den Fängen des finsteren Bräutigams geplant wie bei MISSION: IMPOSSIBLE, aber dilettantisch ausgeführt wie in einem Samstag-Vormittag-Cartoon. Nur das mit Schnitt, Kamera und auffallenden Bond-Tönen, der Cartoon die Atmosphäre von MISSION: IMPOSSIBLE atmen darf.
In erster Linie hat Nida Manzoor einen abgedrehten Spaß inszeniert, der einiges wagt und neue Wege geht. Das tut POLITE SOCIETY verdammt gut, allerdings im Rahmen seiner Möglichkeiten. Glänzt der Film mit einigen sehr witzig umgesetzten Kampfszenen, vermisst man im Showdown letztendlich das ganz große Spektakel. Auch wenn der Kämpferin Ria am Ende gelingt, selbstredend, was Anfangs noch ihre große Schwäche war. Aber das ist absolut in Ordnung, weil man genau solche Versatzstücke bei dieser Art von Film erwartet. Und ganz besonders bei diesem.
Anleihen bei den Verrücktheiten von Stephen Chows SHAOLIN SOCCER lässt Manzoor erkennen, ebenso wie die Drahtseil-Artistik von TIGER & DRAGON. In der Kameraführung hätte Ashley Connor durchaus etwas einfallsreicher sein können. Manche Szene lassen größere Dimensionen in den Räumen und Abstand zu den Akteuren vermissen. Robbie Morrison beweist trotz der pulsierenden Dynamik im Schnitt ein starkes Gespür für den Überblick. Gerade bei den Kämpfen sind die Abläufe sehr elegant fließend, und lassen die schweißtreibende Choreographie der Aktricen bewundern.
Doch POLITE SOCIETY ist weit mehr als nur originelle Martial-Arts-Variante. Was den Film letztendlich auch zu dem universellen Vergnügen macht. Vorangestellt seien die ausgezeichneten Darstellerinnen, was den Film im Gesamten zu einem sehr feministischen Werk macht. Lediglich zwei Rollen sind an Männer vergeben. Jeff Mirza als Ria und Lenas Vater, und Akshay Khanna als durchtriebener Bräutigam. Dennoch ist die Inszenierung genau darauf bedacht, dass alle Akteure ihre Momente bekommen um zu glänzen. Und allen wird eine wesentlich Bedeutung im Lauf der Geschichte zuteil.
Aber wirklich getragen wird der Film doch von Priya Kansaras unbändiger, und auch ansteckenden Energie. Ihre Ria kann Scheitern so oft es das Drehbuch möchte, als Zuschauender will man einfach nicht den Glauben an ihren Erfolg verlieren. Nach dieser Darbietung wird die charmante Neueinsteigerin mit ihrer einnehmenden Präsenz die Casting-Büros fordern. In der grandiosen Schwesternrolle Lea, hat die faszinierende Ritu Arya ihre beliebten Attitüden aus der UMBRELLA ACADEMY mitgebracht, um sich überraschend und überzeugend zur pakistanischen Cinderella zu wandeln.
Nida Manzoor hat ein sehr genaues Auge darauf, dass die Energie und Beziehungen zwischen den Figuren stimmig bleiben. Egal welche Eigenschaft einer Figur in den einzelnen Szenen zukommt, sind die anderen im Ablauf nie unbedeutend. Mit POLITE SOCIETY beweist Manzoor ihr Talent, starkes Schauspielkino brillant zwischen amüsant und brüllend komisch pendeln zu lassen. Aber auch das Talent, Elemente des Thrillers auf den Kopf zu stellen, ohne peinlich zu werden. Selbst die stereotype Teenager-Komödie bekommt einen ganz eigenen Anstrich. So macht man exzellentes Unterhaltungskino.
Darsteller: Priya Kansara, Ritu Arya, Nimra Bucha, Akshay Khanna, Seraphina Beh, Ella Bruccoleri u.a.
Regie & Drehbuch: Nida Manzoor
Kamera: Ashley Connor
Bildschnitt: Robbie Morrison
Musik: Shez Manzoor, Tom Howe
Produktionsdesign: Simon Walker
Großbritannien / 2023
104 Minuten