– Bundesstart 21.12.2023
– Release 29.11.2023 (Fr)
Screener-Preview in japanischer Sprachfassung
Nach den Filmfestspielen in Cannes bezeichnete ein Kritiker PERFECT DAYS als Wim Wenders’ Opus Magnum. Aber gerade bei einem Film wie diesen sollte man sich mit Superlativen zurückhalten. Als Filmemacher ist Wenders selbst ein Mann der Zurückhaltung. Allerdings mit einem großen Einschlag. Deswegen darf auch die Geschichte von Hirayama durchaus mit wohlwollend schmückenden Worten bedacht werden, die an Superlativen grenzen. Hirayama ist Toilettenreiniger in Tokio. Im amerikanischen Kino wäre das Stoff für eine absurde Komödie, in Deutschland Hintergrund eines Sozialdramas. In Japan ist es eine Geschichte über nichts weiter als die eigene Zufriedenheit. Wim Wenders kam die Idee während einer Einladung nach Tokio, wo im Rahmen eines Projektes 17 öffentliche Toiletten von Architekten aus aller Welt individuell neu entworfen wurden. Aus der angedachten Prestige-Dokumentation wurde nichts. Es wurde viel besser.
Gedreht hat Franz Lustig, Wenders Stammkameramann, mit einer handlichen Sony Vollformatkamera und Canon Objektiven aus den 1970ern. Das gibt dem Material einen neutralen Charakter, und befreit den Film von einem neuzeitlich dokumentarischen Look. Für Handkamera sind die Bilder beruhigenderweise erstaunlich ruhig. Wobei die noch sichtbaren, aber seichten Bewegungen ein Gefühl der Nähe zu den Figuren schafft. Und in PERFECT DAYS geht es ausschließlich um die Figuren. Eine erzählende Handlung gibt es nicht wirklich. Und doch passiert unheimlich viel, vor allem mit dem Publikum.
Wir verfolgen Hirayama bei seiner täglichen Routine. Aufstehen, Morgenkaffee, Toiletten putzen, Mittagspause im Park, ein Foto durch die Blätter eines Baumes, Toiletten putzen, im Badhaus waschen, essen im Schnellimbiss, lesen von englischsprachigen Klassikern, zu Bett gehen. Wenders zeigt uns über eine Stunde immer wieder die gleichen Abläufe, aber Franz Lustig wiederholt nicht eine einzige Einstellung. Es ist die Banalität im Prozedere, das auf faszinierende Weise fesselt. Die Ruhe, die Wim Wenders so grandios beherrscht. In seinen Spielfilmen ist der Regisseur Meister des narrativen Stillstands.
Als Zuschauende werden wir auf fast meditative Art eingebunden. Wir bemerken jede auch noch so kleine Änderung in der Routine. Dabei lernen wir Hirayama erstaunlich gut kennen, und schätzen. Er ist bescheiden, geduldig, ruhig, und immer freundlich. Hirayama lächelt viel. Er ist mit sich und seinem einfachen Leben zufrieden. Gerade wegen der nach außen hin schlichten Art, ist für ihn jeder Tag ein PERFEKTER TAG. Erst in der zweiten Hälfte wirft die Handlung Stolpersteine in die vertrauten Abläufe, und stellt nicht Hirayamas Leben, sondern die Erwartungen des Publikums auf den Kopf.
Es sind die Zuschauer, die über die kleinen Brüche in Hirayamas Routine stolpern. Wer vorher geglaubt hätte, keine 123 Minuten ereignisloses Kino durchhalten zu können, erlebt sich selbst sehr schnell getäuscht. Man kann sehr schnell nicht genug davon haben, (kein Witz) von dieser Ruhe und der davon ausgehenden Kraft. Wenn sich unverhofft seine junge Nichte bei ihm einnistet, zu der er eigentlich keine Beziehung pflegt, glaubt man an den obligatorischen Einschnitt in der Dramaturgie des Filmes. Und wird überrascht. Das Großstadt-Girlie ist fasziniert und hilft bei der nur vermeintlich niederen Arbeit.
Es ist einige Zeit her, dass Wim Wenders außerhalb seiner ausgeprägten Leidenschaft für grandiose Dokumentationen ein Mainstream orientiertes Publikum angesprochen hat. Vielleicht die Neo-Western-Ballade DON’T COME KNOCKING, das war bereits 2006. In einer Zeit von massentauglichen Konformismus, ist PERFECT DAYS die perfekte Möglichkeit die fesselnde Kraft des Kino wieder einmal auf einer wesentlich bedeutsameren Ebene zu erfahren. Und niemand sollte dieses fantastische Spiel Kôji Yakusho verpassen. Er macht Hirayama zu einer der bemerkenswertesten Figuren im aktuellen Kino, in dieser beeindruckenden Reflexion über das wahre Leben. Nicht einfach nur realistisch, sondern tatsächlich wahrhaftig.
Darsteller: Kôji Yakusho, Tokio Emoto, Aoi Yamada, Arisa Nakano, Yumi Asô, Sayuri Ishikawa, Tomokazu Miura und Min Tanaka
Regie: Wim Wenders
Drehbuch: Takuma Takasaki, Wim Wenders
Kamera: Franz Lustig
Bildschnitt: Toni Froschhammer
Traumsequenzen: Donata Wenders
Music Supervisor: Milena Fessmann
Produktionsdesign: Towako Kuwajima
Japan, Deutschland / 2023
123 Minuten