OPPENHEIMER

Oppenheimer 5 - Copyright UNIVERSAL PICTURES

Oppenheimer – Bundesstart 20.07.2023

Vielleicht war es das Testgelände, welches Christopher Nolan zu seiner Struktur von mehr Ebenen im Drehbuch verführte. `Trinity´ nennt Oppenheimer, zumindest im Film, dass Gebiet für die Zündung der Bombe. Abgeleitet von der heiligen Dreifaltigkeit. Nolans Film setzt sich aus drei Ebenen zusammen. Biografie, Geschichte und Politik, die sind zwar nicht heilig, aber ergeben das große Ganze. Eigentlich sind diese drei Punkte nicht zu trennen, weil dass eine das andere ergibt, und sie zwangsläufig immer ineinandergreifen. Doch Nolan schafft es sehr präzise, diese Bereiche filmisch zu trennen und jedem einen eigenen Charakter zu geben. So bleibt OPPENHEIMER inhaltlich stets fokussiert.

Zum dritten Mal in Folge hat Christopher Nolan nun einen Film alleine geschrieben, basierend auf dem Buch ‚American Prometheus‘ von Kai Bird und Martin Shaw. Wie nicht anders zu erwarten, ist auch OPPENHEIMER für den Filmautoren ein Spiel mit der Zeit. Das die nicht lineare Erzählung hier so makellos und atemberaubend funktioniert, ist das eindeutige Werk von Cutterin Jennifer Lame. Sie hat bereits Verständlichkeit in die verwirrende Welt von Nolans TENET gebracht, legt hier aber noch einen zu.

In Stille blickt das emotionslos wirkende Gesicht von Cillian Murphy vollformatig in die Kamera, immer wieder unterbrochen von infernalisch lauten Zwischenschnitten von Funkenregen, kreisenden Atomen, oder Wasserpfützen auf denen sich Regentropfen wellenförmig ausbreiten, es kommt zu Interferenzen. Willkommen in den Gedanken von J. Robert Oppenheimer. Ein theoretischer Physiker im Bereich Quantenmechanik. Eine halbe Stunde verbringt Nolan mit einem Abriss vom  Oppenheimers Werdegang.

Es ist eine Abfolge von den renommiertesten Hochschulen und bekanntesten Naturwissenschaftlern. Die Zuschauenden sind zumindest mit den Namen vertraut, sie bekommen ein grobes Verständnis von diesem Umfeld. Und in diesem Umfeld ist der Schüler Oppenheimer seinen Lehrern immer voraus, verehrt sie aber über aller Maßen. Zuerst nimmt es sich aus wie eine ganz gewöhnlich Biografie mit linearer Struktur. Dann beginnt der Film in der Zeit vor und zurück zuspringen, mit atemberaubenden Tempo.

Ein Ausschuss der nach dem erfolgreichen Bau der Bombe Oppenheimers Integrität in Frage stellen soll. Der Aufbau von Los Alamos in der Wüste von New Mexico. Die persönliche Fehde des intriganten Kommissionsmitglieds Lewis Strauss, der sich vor einem Senatsausschuss rechtfertigen muss. Oppenheimers Affäre mit Jean Tatlock. Und immer wieder die moralischen Auseinandersetzungen unter den Wissenschaftlern während der Entwicklung. Es sind drei Zeitebenen, auf denen sich der Film bewegt.

Oppenheimer 2 - Copyright UNIVERSAL PICTURES

 

Die Wahl der Zeitsprünge ist dabei nie willkürlich, auch wenn es zuerst so scheint. Jeder Zeitenwechsel baut auf den anderen auf. In der Zukunft wird angerissen, was sich erst bei einem Rückblick erklärt. Oder umgekehrt. Mit Albert Einstein ergibt sich sogar ein perfektes `Rosebud´-Zitat, dass CITIZEN KANE in nichts nachsteht. Manchmal wird eine solide Diskussion mit nur einem Dialogfetzen aus einer anderen Zeit unterbrochen, und gibt ihr dadurch eine ganz neue Bedeutung. Zeit zum durchatmen gibt es kaum.

Das Jennifer Lame im Schnitt dem Publikum nie den Überblick verlieren lässt, ist an sich schon bewundernswert. Wie sie aber die zeitlich unterschiedlichen Episoden auch noch zu einem harmonisch fließenden Ganzen zusammenbringt, ist schlichtweg phänomenal. Dabei baut sich der Film immer dynamischer auf. Es gibt Szene, in denen einzelne Sätze unterschiedlicher Dialoge, komplexe und eigenständige Sequenzen formen. Nolans jüngste Kreation ist kein Film über das Spektakel, sondern ein Film über Menschen.

Inszeniert ist mit voller Ausrichtung auf die Personen. Es gibt, mit einer vorhersehbaren Ausnahme, auch keine künstlich aufgebauten Spannungsbögen. Dramatisierende Schnittkollagen werden genauso vermieden, wie aufwühlende Eröffnungsszenen. Das erste Bild von Los Alamos ist ein nüchterner Schwenk über die Baracken. Die meisten Szenen setzen mit einem direkten Schnitt ein. Der Regisseur will keine Emotionen vorfertigen, er entwickelt die angedachte Stimmung innerhalb der jeweiligen Sequenz.

Oppenheimer 4 - Copyright UNIVERSAL PICTURES

 

Natürlich gibt es diese großen Momente des Staunens, ohne sie an dieser Stelle vorweg zu nehmen. Die unglaubliche Dynamik die OPPENHEIMER vorantreibt, sind die präzise geschliffenen Beziehungen unter den Figuren. Dazu ein immerwährender Score von Ludwig Göransson, der sich im Vergleich zu TENET aber gesetzter, manchmal sogar intim ausnimmt. Zusätzlich unterstützt das unwirkliche Sound-Design von Randy Torres viele Szenen, um äußerst effektiv Atmosphäre und bewusst Unbehagen zu erzeugen.

Das J. Robert Oppenheimer eine sehr umstrittene Person war, kann nicht geleugnet werden. Ein narzisstisches Genie, ein unbekümmerter Polygamist, ein unpolitischer Radikaler. Das Christopher Nolan ihm neutral begegnet, ist der Sache geschuldet. Sein Charakter wird über die Nebenfiguren dem Publikum verständlich. Besonders das innige Verständnis und Vertrauen zwischen Oppenheimer und Projektmanager Major General Leslie Groves, dass paradoxerweise aus ihren gegensätzlichen Ansichten herrührt.

Die offene Beziehung zu seiner Frau Kitty. Die wissenschaftlichen, aber vor allem moralischen Diskurse mit seinen Kollegen, Edward Teller vorangestellt. In der gesamten Komplexität ergibt sich nicht einfach nur das Portrait eines Mannes, sondern zeichnet auch ein sehr präzises Bild dieser Zeit, und ihrer fragwürdigen Notwendigkeit. An dieser Stelle einzelne Darsteller hervorzuheben wäre grotesk. Sie alle verschmelzen (Kalauer beabsichtigt) mit ihren Rollen, und das auf sehr eindringliche und individuelle Weise.

Oppenheimer 1 - Copyright UNIVERSAL PICTURES

 

Die Frage nach der Notwendigkeit auf IMAX-Film zu drehen, wenn der Filmemacher ohnehin auf ein Effektspektakel verzichtet, erübrigt sich nach wenigen Minuten. Kodak hat hierfür sogar das erste Schwarzweiß-Material für IMAX Kameras entwickelt. Hoyte Van Hoytemas Aufnahmen sind derart brillant, dass selbst bei einer 4K-Pojektion noch ein plastischer Eindruck entsteht. Den Darstellern wird jede Künstlichkeit genommen, und sie bewegen sich in realen Umgebungen. Selbst wenn es sich um Kulissen handelt.

Der erstaunlich kurze Abspann ergibt sich aus dem Fehlen von Visual-Effects-Firmen. OPPENHEIMER ist ohne CGI-Einstellungen realisiert. Das Spektakel ergibt sich nicht aus Effekten und Kinozauber. Das Spektakel ergibt sich aus der unkonventionellen Inszenierung und ihrer elementaren Auseinandersetzung mit dem und den Menschen aus einer Zeit die sich immer wieder in Frage stellt. Eine Frage die stets aktuell bleibt, mit allen moralischen, aber auch philosophischen Aspekten.

Christopher Nolan hat seinen eigenen Kinozauber gemacht – schlicht gesagt, reine Magie. Mit einer der mutigsten Entscheidungen für die künstlerische Gestaltung eines dramaturgischen Höhepunkts im modernen Kino. Und zum Teufel mit den oben angeführten Worten – Cillian Murphy IST Oppenheimer, und er ist dieser Film. Es wird sehr lange dauern, bis Murphy erneut eine Chance für eine derartige Leistung geboten bekommt. „Jetzt bin ich zum Tod geworden, dem Zerstörer von Welten“.

Oppenheimer - Copyright UNIVERSAL PICTURESDarsteller: Cillian Murphy, Emily Blunt, Matt Damon, Robert Downey Jr., Florence Pugh, Alden Ehrenreich, Jason Clarke, Josh Hartnett, Tony Goldwyn, Dan DeHaan, Matthew Modine, Kenneth Branagh, Matthias Schweighöfer, Tom Conti, Casey Affleck, Macon Blair, David Dastmalchian, Rami Malek, Gary Oldman u.a.

Regie & Drehbuch: Christopher Nolan
Nach dem Buch von Kai Bird & Martin Sherwin
Kamera: Hoyte Van Hoytema
Bildschnitt: Jennifer Lame
Musik: Ludwig Göransson
Produktionsdesign: Ruth De Jong
Großbritannien, USA / 2023
180 Minuten

Bildrechte: UNIVERSAL PICTURES
Dieser Beitrag wurde unter Allgemein, Im Kino gesehen abgelegt und mit , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar