– Bundesstart 12.10.2023
– Release 27.09.2023 (Frankreich)
Es war zugegebenermaßen eine Überraschung, dass Luc Besson bei den Internationalen Filmfestspielen in Venedig 2023 mit einem Film den Goldenen Löwen ins Visier nehmen konnte. Noch viel überraschender waren die sehr guten Aussichten, die dem Franzosen nach der ersten Vorführung attestiert wurden. Letztendlich ging der Preis an POOR THINGS von Giorgos Lanthimos‘. Aber nach Jahren spektakulärer Mittelmäßigkeit, war Besson als Produzent, Autor, und vor allem Regisseur wieder im Gespräch, bei Arthouse und Mainstream gleichermaßen. Es wäre falsch zu sagen, er hätte sich immer wieder neu erfunden. Treffender wäre zu sagen, dass Luc Besson immer wieder variiert hat. So erkennt man im Goldenen Löwen Anwärter DOGMAN Spuren der eigenen Filme SUBWAY und LÉON. Aber es sind durchaus auch Anleihen von BATMAN RETURNS oder JOKER zu spüren. Doch niemand wird behaupten können, Luc Besson hätte kopiert oder gestohlen. Dafür ist der Filmemacher erwiesenermaßen viel zu autark und erfinderisch.
Ähnlichkeiten oder Vergleiche ergeben sich nicht aus plumpen Wiederholungen, sondern werden zu sehr willkommenen Motiven, die den Nerv des Publikums treffen. Es ist die Geschichte eines Mannes, der in Drag und blutverschmiert von der Polizei festgesetzt wird, die Ladefläche des Trucks voller Hunde. „Wenn sie mir nichts tun,“ warnt er die Polizisten, „werden die Hunde ihnen auch nichts tun“. Die Psychologin Evelyn, eine Frau mit eigenen Problemen, soll diesen Mann beurteilen. Die Kunst des Erzählens zeigt sich bereits darin, wie wenig Worte vonnöten sind, um Evelyns Situation zu klären.
Als Zuschauende werden wir bereits zu Anfang damit konfrontiert, was zur Verhaftung von Douglas geführt hat. Douglas, der Mann mit den Hunden und der Verkleidung von Marilyn Monroe, beginnt an dieser Stelle seine Geschichte von Anfang an zu erzählen. Wie er von seinem übergriffigen Vater in den Zwinger mit Kampfhunden gesperrt wurde. Wie er Jahre später mit Hilfe der Hunde entkommen konnte, aber dabei am Rücken verletzt wurde. Wie er mit den Hunden Diebstähle vollzog. Und wie er mit den Hunden Nachbarn gegen böse Jungs half. Was schließlich zum vorweg genommenen Showdown führt.
DOGMAN ist glänzendes Drama, dass sehr gut als solches allein stehen kann. Er ist aber zeitgleich ein ausgesprochen guter Thriller. Vor allem besticht er dadurch, dass er entgegen dem Trend, auf explizite Gewaltszenen verzichtet. Und dabei gäbe es reichlich an Möglichkeiten, denn Brutalität und Gewalt bestimmt das Leben von DogMan Douglas. Besson holt diesen Douglas aber aus dem verklärenden Schatten von Mysterium und Anonymität. Fast freundschaftlich erklärt er sich seiner Psychologin. Für einen Film wie diesen, ist es sehr ungewöhnlich, wie nahbar und sympathisch der Charakter wird.
Getragen wird DOGMAN von Caleb Landry Jones. Nicht alleine, aber was Besson an Geschichte und Inszenierung liefert, wird erst mit Jones wirklich lebendig. Er bringt die vielen Facetten des im Grunde ganz normalen Jungen, der als Drag-Queen seine Bestimmung findet, auf eine verständliche und nachvollziehbare Ebene. Hoffentlich ein guter Anstoß für Caleb Landry Jones, nach NITRAM aus 2021, noch wesentlich breiter wahrgenommen zu werden. Aber Jojo Gibbs ist dabei eine exzellente Stütze, als sehr geerdete Psychologin, die ihre Probleme sichtbar macht, ohne diese zur Schau zu stellen.
Die Beziehung und Verständigung zwischen Douglas und seinem großen Rudel an Hunden, wirkt wie das übernatürliche Element aus einem Superheldenfilm. Doch auch hier besticht der Regisseur wieder mit seinem schon verloren geglaubten Gespür für Inszenierung jenseits der groben Action. Die Hunde werden nie nach Niedlichkeitsfaktor in Szene gesetzt, oder überdramatisiert zur Schau gestellt. Dramaturgisch funktioniert die Verbindung Mensch/Hund hervorragend. Dennoch bleibt der bewusst eingesetzte Faktor des Phantastischen ein Grundproblem für die allgemeine Akzeptanz von DOGMAN.
Hier kommen aber sehr gut die Vergleiche zu Todd Phillips JOKER zum Tragen, bei dem die Fantastik des Originalmaterials trotz aller realistischen Darstellung nie wirklich verschwindet. Luc Besson dreht diese Wahrnehmung, in dem er mit grandiosem Fingerspitzengefühl ganz behutsam das Übernatürliche sehr natürlich in das reale Setting einbettet. Weil er in der Inszenierung nie übertreibt, und manches auch im Unklaren lässt. Und kaum das man sich versieht, ist der Film schon bei seinem angekündigten Showdown. Trotz seiner ruhigen Minuten, hat DOGMAN einfach keine Szene zu viel.
Denn da sind immer wieder diese Szenen zwischen Caleb Jones und Jojo Gibbs, die in ihren Unterhaltungen eine unglaublich intensive Vertrautheit ausstrahlen, die oft auch keine Worte braucht. Exzellentes Drama in einem berauschenden Thriller. Niemand kann abstreiten, dass Luc Besson zu den großen Erzählern des modernen Kinos zählt. Er ist vielleicht nicht so dem Massengeschmack angediehen, aber außer in seinen Frauen-als-Kampfmaschinen-Filmen, beweist er sich doch immer wieder mehr oder weniger als eigensinniger Visionär, der nicht den Erwartungen, sondern sich selbst treu bleibt.
Darsteller: Caleb Landry Jones, Jojo T. Gibbs, Christopher Denham, Grace Palma, Lincoln Powell, Alexander Settineri, Clemens Schick u.a.
Regie & Drehbuch: Luc Besson
Kamera: Colin Wandersman
Bildschnitt: Julien Rey
Musik: Éric Serra
Produktionsdesign: Hugues Tissandier
Frankreich / 2023
113 Minuten