– LESSON IN CHEMISTRY – Episoden 1 & 2

Lesson in Chemistry 1 - Copyright APPLE INC– Apple TV+ 13.10.2023

Dem Trailer nach zu urteilen, glaubt man bei LESSONS IN CHEMISTRY nicht mehr viel an Überraschungen erleben zu dürfen. Und dann nimmt auch gleich die erste Folge Konzept und Verlauf der Geschichte vorweg. Man wird in der Annahme bestätigt. Aber Apple wäre nicht Apple, erlebte man nicht höchsten Unterhaltungswert trotz einer vermeintlich vorhersehbaren Handlung. Zumindest in den ersten beiden Episoden. Nach wie vor macht sich bei Apple, im Vergleich zu den Mitbewerbern, der geringere Ausstoß an Inhalt in der weit höheren Qualität bemerkbar. Das Publikum blickt sieben Jahre in die Zukunft, Mitte der 1960er. Ein Fernsehstudio in angespannter Erregung, letzte Anweisungen, dass weibliche Live-Publikum ist in Aufruhr. Und die Stimmung lässt keinen Zweifel das Elizabeth Zott als Fernsehköchin nicht nur der Star ist, sondern ihre dadurch erworbene Macht auch auskostet. Heute gibt es Lasagne, im Studio und vor den heimischen Bildschirmen werden die Notizblöcke gezückt, denn diese Lasagne wird anders. Schon alleine, um den Herrn des Hauses eine subtile Übermacht zu demonstrieren.

Geht es um zeitgenössische Darstellung und Ausstattung, hat Matt Weiners MAD MEN zweifellos Maßstäbe gesetzt. Und nur wenige Serien konnten diese Qualität in ihrer unaufdringlichen, aber naturalistisch überzeugenden Atmosphäre wiederholen. LESSONS IN CHEMISTRY ist eine dieser Serien, deren Zeitkolorit sich nie in den Vordergrund drängt, aber die Zuschauenden sofort in Zweit und die Geschichte hineinzieht. Ob Autos, Kostüme, Frisuren oder Einrichtungen. Und natürlich die einzigartige Art Deco Architektur von Los Angeles. Eine Atmosphäre die fesselt, weil sie nicht künstlich wirkt.

Überblendung sieben Jahre zurück in die 1950er, wo Elizabeth noch als Labortechnikerin beim Hastings Research Institute arbeitet. Sie ist überzeugt alleinstehend, und sehr in sich zurück gezogen. Freunde hat sie weder privat, noch in der Arbeit. Ihren Doktor in Chemie konnte sie nie machen, was während der ersten zwei Folgen noch tiefgreifend behandelt wird, und ihren weiteren Lebensweg maßgeblich beeinflusst. Aber bei Hastings gibt ist noch Misanthrop und Allergiker Calvin Evans, ein Chemie-Genie der sich nur deswegen alles herausnehmen kann, weil er mit neuen Ideen dem Institut die Sponsoren sichert.

Zwei attraktive Hauptdarsteller und ihre interessanten, exzentrischen Figuren. Es ist eine wahre Freude, wie Regisseurin Sarah Adina Smith die Labortechnikerin und den Chemiker immerzu die Wege kreuzen lässt, ohne das diese sich wahrnehmen. Deswegen witzig, weil ihr Schicksal doch so unvermeidbar sein wird. Doch Smith inszeniert hier keine übliche Comedy, sondern führt nachvollziehbar vor, wie leicht die Geschichte anders verlaufen könnte. Das ähnelt den zigfach wiederholten Rezepten, der leidenschaftlichen Köchin Elizabeth. Immer reduziert auf die chemische Wechselwirkung ihrer Zutaten.

Lesson in Chemistry 4 - Copyright APPLE INC

Aber irgendwann passt die Chemie, dass Rezept wird perfekt. Über die beiden Hauptfiguren braucht man nichts weiter zu wissen, ihre spannende Geschichte soll sich selbst erzählen. Die Geschichte wird getragen von einer unheimlich faszinierenden Brie Larson (wieder einmal, siehe ROOM oder UNITED STATES OF TARA). Zusammen mit Lewis Pullman bildet Larson ein Paar, dessen vorsichtige Annäherung schlichtweg die perfekte Chemie besitzt – was kein Wortwitz sein sollte. Die dramaturgisch vorhersehbare Zusammenarbeit der beiden, wird durch die einfühlsame Regie absolut glaubwürdig.

Dennoch bleibt es die Geschichte einer Frau, die sich nicht unbedingt in einer Männerwelt behaupten will, aber muss, um ihren Traum zu verwirklichen. Elizabeth kämpft gegen das Patriarchat mit zwei Schritten vorwärts, aber grundsätzlich auch wieder einem Schritt zurück. Die ersten zwei Episoden sind weder als Komödie, noch als Drama angelegt, (der Begriff Dramödie ist kein schöner) sondern bewegen sich sehr ausgewogen dazwischen. Die bisherige Stärke dieser Serie. Neben den großartigen besetzten Rollen, prägen die feingeschliffenen und präzisen Dialoge diese exzellente Zeitreise.

Für die Zuschauenden ist es ein echter Brüller, wenn Elizabeth ernsthaft versucht, männlichen Kollegen das Prinzip von Sexismus nahe zu bringen. Bei den männlichen Figuren sorgen solche Worte für verwirrendes Unverständnis. Für die Charaktere ist der Status der Frau ein selbstverständlicher Status Quo, auch Elizabeth muss sich diesen gesellschaftlichen Normen immer wieder beugen. Sie lebt dies es als natürlich gegeben, während das heutige Publikum ungläubig staunt. Das ist aber niemals belehrend, versucht auch nie als Aufschrei verstanden zu werden. Das macht diese Folgen so anziehend.

Die Behandlung von Gleichberechtigung läuft angenehm und unaufdringlich nebenher, und wirkt daher noch viel stärker. Doch genauso verhält es sich mit Harriet Sloane, einer schwarzen Nachbarin im Viertel Sugar Hill. Aja Naomi King spielt diese Aktivistin angenehm gediegen, keine Figur die durch lautstarke Unbeugsamkeit auffällt. Eine glaubwürdige Frau, die ihre von der Gesellschaft auferlegten Grenzen kennt, und auch nicht filmreif überschreitet. Wer ein wenig mit den städtebaulichen Gegebenheit von Los Angeles vertraut ist, erkennt Harriets größeren Part in künftigen Folgen. Und die künftigen Folgen stehen auf jedem Fall im Programm dieses Rezensenten. Schließlich ist da zu allem guten Überfluss auch noch Six-Thirty…

Lesson in Chemistry 3 - Copyright APPLE INC

 

Darsteller: Brie Larson, Lewis Pullman, Aja Naomi King, Stephanie Koenig, Patrick Walker sowie Derek Cecil, Kevin Sussman, Thomas Mann, Andy Daly, Beau Bridges u.a.

„Little Miss Hastings“
Regie: Sarah Adina Smith
Drehbuch: Lee Eisenberg
Kamera: Zack Galler
Bildschnitt: Matthew Barbato
45 Minuten

„Her and Him“
Regie: Sarah Adina Smith
Drehbuch: Elissa Karasik
Kamera: Zack Galler
Bildschnitt: Matthew Barbato, Jack Cunningham
50 Minuten

Serie entwickelt von Lee Eisenberg
nach dem Buch von Bonnie Garmus
Musik: Carlos Rafael Rivera
Produktionsdesign: Catherine Smith
USA / 2023

Bildrechte: APPLE INC.
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