THE GREAT ESCAPER
– Bundesstart 23.11.2023
– Release 06.10.2023 (UK)
„Natürlich, wir haben nur die normal, kleinen, alltäglichen Dinge gemacht. Aber, bei Gott, wir haben sie gut gemacht. Und machen es noch immer,“ sagt die über neunzigjährige Rene zu ihrem Bernie, der gerade als gefeierter Held aus der Normandie zurückgekehrt ist. Aber nicht aus den Kriegswirren, sondern von den Feiern zum siebzigsten Jahrestag der Landung der Alliierten. Seinerzeit feierte Öffentlichkeit und Presse den Veteranen Bernard Jordan als Patrioten, das Kinopublikum feiert Bernie als Mann, der in seinem Leben genau wusste alles richtig zu machen. Weil ihm wegen seines Alters mit 89 die Reise von England nach Frankreich verwehrt wird, stiehlt sich Bernard Jordan heimlich aus dem Seniorenheim und fährt auf eigene Faust und Gefahr zu den Feierlichkeiten. Vordergründig ist es ein filmreifes Schelmenstück. Aber in Oliver Parkers Adaption, ist es ein Film über eine beständige und absolute Liebe.
47 Jahre nach DIE ROMANTISCHE ENGLÄNDERIN kommen Glenda Jackson und Michael Caine wieder gemeinsam vor die Kamera. Und es hat den Anschein, als ob beide all die Jahre nie getrennt waren. Die wahre Geschichte des Bernard Jordan ist eine gut vorhersehbare Geschichte. Selbst wenn man seinerzeit die Nachrichten nicht verfolgt hat, und einem Bernards Name noch nicht geläufig war, von William Ivory als Drehbuch in Filmform gebracht, schwingt sich die Handlung durch eine Abfolge von leicht zu durchschauenden Momenten. Und tatsächlich ist aber genau das die Stärke des Films.
Bernard ist an die Rollator gebunden, Rene kann ohne Rollstuhl gar nicht mehr außer Haus. Dennoch ist es dem Veteranen ein innerstes Anliegen den siebzigsten Jahrestag des D-Day in Frankreich zu feiern. Entgegen aller Warnungen, beider Gesundheit macht eigentliche jeden Moment ihr Ableben möglich, haut Bernard ab. Wie sich erst später herausstellt, mit dem Wissen von Rene. Auch wenn Bernie seine Flucht nie mit ihr besprochen hat. Solche berührenden Momente gibt es immer und immer wieder. Die Jordans haben eine Partnerschaft, die schon lange keine Worte mehr benötigt.
So weit viele Sequenzen von einem Motiv zum nächsten auch absehbar sein mögen, so überraschend sind manchmal auch deren Ausführung. Im Kleinen ist das zum Beispiel eine Szene, in dem durch Oliver Parkers raffinierte Szenenauflösung die liebenswürdige Pflegerin Adele, und mit ihr das Publikum glaubt, Rene hätte das Zeitliche gesegnet. Oder im Großen zeigt sich das in Bernies Beziehung zu dem gleichgesinnten Veteranen Arthur, mit dem sich für den ‚Ausbrecher‘ ganz neue Aspekte eines gleichgesinnten Schicksals ergeben. Es ist ein Film der kleinen Momente, die zu großen Augenblicken werden.
Parker spielt aber auch mit filmischen Imitationen, wenn er den gerne als deutschen Schurken vergeudeten Wolf Kahler ebenfalls als, jetzt eben jetzt gealterten, ehemaligen Wehrmachtssoldaten besetzt. Auch hier bürstet die Inszenierung die Erwartung gegen den Strich, in einer der sentimentalsten, und dennoch ansprechendsten Szenen. IN VOLLER BLÜTE – THE GREAT ESCAPER scheut sich nicht vor leichter Überzuckerung oder Pathos in homöopathischen Mengen. Jede Figur bewahrt sich ihr Würde und aus dem Augenblick erwachsene Glaubwürdigkeit. Eine Leistung, die von jedem der Darsteller ausgeht.
MONSTERS: DARK CONTINENT oder THE SWIMMERS Kameramann Christopher Ross weiß aber auch hier, immer die effektivste Einstellung zu finden. Meist beobachtet die Kamera bei Dialogen lediglich die Reaktion der Zuhörenden. Und nicht immer lässt der Regisseur das passieren, was man erwarten würde. In solchen Momenten verharrt Ross lange auf den Gesichtern der Protagonisten. Durch diese intensiven Einstellungen kommt man den Figuren sehr nahe, aber ohne sie vollständig zu erfassen. Die realen Ereignisse werden zum Hintergrund – für einen Film über echte Menschen mit echtem Charakter.
Oliver Parker inszeniert seine Figuren zu keinem Zeitpunkt mit großen Gesten. Er beobachtet, und baut damit für und Betrachter eine direkte Verbindung zu ihnen auf. Es sind die kleinen Gesten, die IN VOLLER BLÜTE – THE GREAT ESCAPER so spannend und anziehend macht. Und seien es nur eindringlich lange Blicke. Keine Szene ist überdramatisiert, oder gibt die Emotionen für das Publikum vor. Für diese überzeugende Atmosphäre hat Christopher Ross ebenfalls die passenden Bilder kreiert, in dem er Gemälden gleich, Einstellungen sehr präzise aufbaut, aber naturalistisch bleibt.
Doch trotz aller anmutigen Bilder und dem fabelhaften Ensemble, machen Glenda Jackson und Michael Caine diesen Film über eine wahre Geschichte zu ihrem ganz eigenen Fest. Nur sechs Monate nach seinem spektakulären Ausflug starb Bernard Jordan. Das Paar hat schon lange vereinbart gemeinsam zu gehen, so verstarb auch Rene nur sieben Tage später. Glenda Jackson ging von dieser Welt, vier Monate vor der Premiere von THE GREAT ESCAPER. Dieser Film ist ein großartiges Vermächtnis.
Darsteller: Michael Caine, Glenda Jackson, Will Fletcher, Laura Marcus, John Standing, Danielle Vitalis, Victor Oshin, Wolf Kahler u.a.
Regie: Oliver Parker
Drehbuch: William Ivory
Kamera: Christopher Ross
Bildschnitt: Paul Tothill
Musik: Craig Armstrong
Produktionsdesign: Nick Palmer
Schweden, Großbritannien / 2023
96 Minuten