HOLY SPIDER

Holy Spider - Copyright Profile Pictures - ONE TWO Films– Bundesstart 12.01.2023

Dies ist eine wahre Geschichte. Saeed Hanaei hat in den Jahren 2000 und 2001 in Maschhad, Iran, 16 Prostituierte ermordet. Wenn ihm das Gericht die Anklageschrift mit 17 Morden verliest, korrigiert Saeed Hanaei mit Bescheidenheit die Zahl nach unten. Die Besucher und die Ankläger sind hörbar amüsiert. Saeed lacht ebenfalls. Die grausamen Hintergründe der Morde und Saeed Hanaeis Geschichte scheinen an diesem Punkt fertig erzählt. Aber Ursache und Wirkung seines Handelns werden Fortbestand haben. Vielleicht ist Filmemacher Ali Abassi deswegen so wütend. Der vierzigjährige Iraner hat seine Ausbildungen in Dänemark und Schweden absolviert, und lebt in Dänemark, seinen iranischen Pass behält er aber weiterhin. Die Form, wie er diese Geschichte erzählt, ist hart und hat unversöhnliche Züge. Man begreift Abbasi, wenn er seinen dritten Spielfilm nicht als Thriller über einen Serienkiller verstanden haben will.

Die Journalistin Arezoo Rahimi ist aus Teheran über 800 Kilometer nach Maschhad gekommen, um einen investigativen Artikel über die anhaltende Mordserie an Prostituierten zu schreiben. Weil sie als Frau alleine reist, gibt man Arezoo trotz Reservierung erst ein Hotelzimmer, als sie sich als Journalistin ausweist. Dafür wird sie von den Hotelangestellten gemaßregelt, ihre Haare besser zu verdecken, oder es wird umgehend die Sittenpolizei verständigt. Augenblicklich wirkt die Einführung von Zar Amir-Ebrahimi als Arezoo, wie ein billiges Konstrukt für Beifall heischende Aktualität. Der Film feierte seine Premiere allerdings 4 Monate vor Mahsa Amini.

Bei Abbasis Inszenierung werden nur zwei Erzählebenen sichtbar. Es ist die Sicht des Täters Saeed, der seine Taten unter dem Aspekt ein Mann zu sein, allzu leicht verschleiern kann. Und es ist die Perspektive von Arezoo, die glaubt den Fall angemessen beleuchten zu können, doch in dieser schiitischen Gesellschaft nur Widerstand erfährt. Aber parallel existiert eine dritte Ebene, in der die soziopolitischen Ursachen und Wirkungen der zwei Stränge gegeneinander aufgewogen werden. Es ist der Aspekt des Status Quo in einem patriarchalischen System.

Die Mordserie findet in der Bevölkerung befriedigende Zustimmung, da die Absicht des Killers, die Welt vom Abschaum zu reinigen, den Nerv der religiösen Grundordnung trifft. Azaroo macht sich bald selbst auf die Jagd nach dem Killer. Die Untätigkeit der Behörden bestärkt Saeed, und seine Unachtsamkeit macht es für die Journalistin leichter, ihn zu ködern. Am Ende wird es eine andere Art von Gerechtigkeit geben. Aber keine Gerechtigkeit die einem vorherrschend christlichen Publikum in den Sinn käme. Zudem schafft es Abbasi mit der Schlußsequenz, das Unbehagen und Unverständnis noch weiter zu verschärfen.

Holy Spider 1 - Copyright Profile Pictures - ONE TWO Film

 

Der Film spielt zwar in Maschhad, aber es ist kein Film über den Iran. HOLY SPIDER ist auch kein Film über einen Serienkiller, sondern über eine Serienkiller-Gesellschaft. Das ist keine Feststellung der vielen Kritiker, welche diese Beschreibung nutzen, es ist Ali Abbasis eigene Aussage. Er zeigt Saeed Hanaei als gebrochenen Kriegsveteranen, aber unauffälligen Familienvater. Umso eindringlicher sind die brutalen Morde, die der Regisseur explizit inszeniert hat. Doch nicht minder erschreckend ist Azaroos Weg der Recherche, auf dem mit jedem Schritt die Ohnmacht einer Frau demonstriert wird, dadurch aber auch die Wahrheit verdeckt wird.

Das wir als Zuschauerin und Zuschauer gleichbedeutenden Zugang zu den beiden Hauptfiguren bekommen, verdreht die Form des herkömmlichen Thrillers. Dennoch treibt HOLY SPIDER bis zum Ende eine elektrisierende Spannung, eben nur auf einer ganz anderen emotionalen Basis. Nicht wegen eines ohnehin fehlenden klassischen Aufbaus, sondern durch offensichtliche oder indirekte Anspielungen, Aussagen und Zustände. Und damit umzugehen ist schwer. HOLY SPIDER ist an vielen Stellen sehr tendenziös, oft plakativ und lässt keine Interpretationsmöglichkeit.

Wenn sich Filme mit gegenläufigen Formen eines für westlich und christlich orientierten Verständnisses für gesellschaftliche Kultur beschäftigen, sind diese in der Regel auf Annäherung, Zugeständnis und Akzeptanz ausgerichtet. HOLY SPIDER will das gar nicht erst versuchen. Ali Abbasi ist radikal in seiner unversöhnlich wirkenden Konfrontation, mit der er keinen Dialog anregen will. Wie könnte er auch gegen einen ebenso unerschütterlichen Glauben und seine unerbittlichen Traditionen auch ankommen. Und genau das macht den Filmemacher auch so wütend. HOLY SPIDER ist eine Anklage mit provokanter Verallgemeinerung. Ali Abbasi mag diese Art der Aufarbeitung zustehen. Es liegt ganz bei uns, was wir daraus mitnehmen.

Holy Spider 2 - Copyright Profile Pictures - ONE TWO Films

 

Darsteller: Zar Amir-Ebrahimi, Mehdi Bajestani, Arash Ashtiani, Forouzan Jamshidnejad, Sina Parvaneh, Nima Akbarpour u.a.
Regie: Ali Abbasi
Drehbuch: Ali Abbasi, Afshin Kamran Bahrami
Kamera: Nadim Carlsen
Bildschnitt: Olivia Neergaard-Holm
Musik: Martin Dirkov
Produktionsdesign: Lina Nordqvist
Dänemark, Deutschland, Schweden, Frankreich / 2022
118 Minuten

Bildrechte: PROFILE PICTURES / ONE TWO Films
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