HEIMWEH – A HOUSE MADE OF SPLINTERS

A House Splinters - Copyright FINAL CUT FOR REALA HOUSE MADE OF SPLINTERS
– Nur bis 14.5.23 ARTE-Mediathek

Oscar 23Priyut bedeutet Unterschlupf. Das hier benannte Priyut ist ein Kinderheim in der Ukraine. Es liegt ungefähr 20 Kilometer vor der sogenannten Kontaktlinie, welche die ukrainische Armee von separatistischen Gruppen im Donbass trennt. Der dänische Dokumentarfilmer Simon Lereng Wilmont setzt diesen Film zwischen Schrifttafeln am Anfang und am Ende. Diese verweisen am Anfang auf die kriegerischen Konfrontationen 2014, und am Ende auf den Angriffskrieg 2022, und die durch die Nähe zur Kontaktlinie verbundenen Gefahren für das Priyut. Gedreht hat Wilmont in dem Kinderheim von 2019 bis 2020. Es ist natürlich legitim und auch wichtig, in Zeiten wie diesen, immer wieder in Erinnerung zu rufen, dass der Krieg in dieser Region allgegenwärtig ist. Aber inhaltlich ist es falsch. EIN HAUS AUS SCHERBEN ist ein bedrückendes Portrait über Kinder, für die der Krieg nicht weiter weg sein könnte.

Es ist ein trauriges, aber für das Priyut typisches Jahr, dass Filmemacher Wilmont zeigt. Die Absicht hinter dem sehr niedrig gehaltenen Bildkontrast und nach unten geschraubter Farbintensität ist nur allzu offensichtlich. Die suggestive Stimmung ist entsprechend schwermütig. Von Originalität zu sprechen, was die dramaturgische Umsetzung betrifft, wäre falsch. Simon Lereng Wilmont montiert seinen Film sehr plakativ auf den emotional größten Effekt ausgerichtet. Es wäre aber genauso falsch anzunehmen, dass dies HAUS AUS SCHERBEN zum Nachteil gereicht. Durch die unverhohlene Weise, die Zuschauerin und den Zuschauer gefühlsmäßig zu beeinflussen, kann Wilmont seine dokumentierten Schicksale wesentlich intensiver bewusst machen. Hervorgehoben sind Eva, Sasha, Kolya und in Ansätzen auch Polina. Die Kindern im Priyut sind entweder aus ihren Elternhäusern aufgrund von Alkohol und Gewalt geflohen, oder von den Behörden überführt.

A House Splinters 3 - Copyright FINAL CUT FOR REAL

 

 

Kolya wurde mit seinen mit zwei Geschwistern auf einer Müllhalde aufgegriffen, will aber unbedingt zu seiner alkoholkranken, und erziehungsunfähigen Mutter zurück. Sascha ist abgehauen, war mehrere Tage verschwunden, und will unbedingt zu einer Pflegefamilie. Und Eva ist schon das zweite Mal im Priyut, und hofft inständig, dass ihre Großmutter vom Gericht das Sorgerecht zugesprochen bekommt. Interviews gibt es nur wenige, und die kommen von den Betreuerinnen aus dem Off. Den Rest erklären Dialoge, die beim Filmen aufgenommen wurden. Was man dabei erfährt, ist nicht einfach nur erschreckend, sondern teilweise unglaublich. Keines der gezeigten Kinder hat bisher die Pubertät erreicht, und dennoch sind sie sich ihrer Situation vollkommen bewusst. Sie müssen auch schon selbst über ihr Leben entscheiden. Wie sie nüchtern, fast abgebrüht den Problemen von exzessiven Alkoholismus und Gewalt in ihrer Familie begegnen, sorgt immer wieder für Gänsehaut.

EIN HAUS AUS SCHERBEN ist auf eine erzählerische Art heruntergebrochen, die mit minimalistischsten Aufwand den besten Effekt auf die Empfindsamkeit der Zuschauerinnen und Zuschauer erzielt. Der Film kommt ohne künstlerische Ausschmückungen oder Überhöhungen aus. Regisseur Wilmont gönnt sich aber, unabhängig voneinander gedrehte Szenen und Sequenzen so zu montieren, dass sie wie direkte Reaktionen aufeinander wirken. Das ist durchaus legitim, weil es Emotionen verstärkt, die bedingt durch das passive Medium, ihr Publikum nur abgeschwächt erreichen würden. Das sind bewährte Technik in Dokumentationen, die speziell in diesem Fall noch lange nicht dem unbegreiflichen Schicksal dieser Kinder gerecht werden.

In beschämender Weise hat man sich beim Titel EIN HAUS AUS SCHERBEN zu einer deutschen Umbenennung mit dem zweideutigen Titel HEIMWEH – KINDHEIT ZWISCHEN DEN FRONTEN hinreißen lassen. Es ist die typisch redaktionelle Dummheit in deutschen Medien, Filme die mit ihrem Titel international bekannt gewordene sind, durch überhebliche Eigenkreationen unkenntlich zu machen. Ein Affront nicht nur gegen die Filmemacher, sondern auch unentschuldbare Irreführung eines interessierten Publikums.

A House Splinters 1 - Copyright FINAL CUT FOR REAL

 

Mit: Eva, Sasha, Kolya und Polina, sowie Marharyta Burlutska, Anjelika Stolyarova, Olga Tronova u.a.
Regie & Kamera: Simon Lereng Wilmont
Bildschnitt: Michael Aalgund
Musik: Uno Helmersson
Dänemark, Schweden, Ukraine, Deutschland, Finnland
2022
87 Minuten

Bildrechte: FINAL CUT FOR REAL
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