– APPLE TV+ 29.09.2023 – Ausgewählte Kinos 22.09.2023
In ihrem jüngsten Film ist Eve Hewson einfach großartig. Der Film selbst, ist es einfach nicht. Als alleinerziehende Mutter und Partylöwin der untersten Mittelschicht, mit vulgären Mundwerk und allzeit bereiter Weinflasche, erweitert Hewson zur größten Freude noch einmal ihr ohnehin starkes Portfolio. Mit einem weiteren Blick auf die Heimat Dublin, in der Musik als zentrales Allheilmittel für Liebe und Selbstfindung kleine Wunder vollbringt, kann Filmemacher John Carney seiner Filmografie kaum noch Bewegendes hinzufügen. FLORA AND SON hat herrliche Momente erfrischender Offenheit, raffinierter Einfälle und beeindruckender Darbietungen. Aber Carney inszeniert die wohlfühl orientierte Handlung einfach zu formelhaft.
Der pubertierende Max macht es seiner Mutter nicht leicht, aber Flora macht es ihm auch nicht schwer. Der Vater, ein bekannter Musiker im lokalen Milieu, stellt seinen Egoismus voran, weil er sich ja auf die eigene Karriere konzentrieren muss. Max bastelt am Computer Musik-Samples, was Flora zur irrigen Annahme führt, eine aus dem Müll gefischte Gitarre könnte ihren Sohn zum Geburtstag gefallen. Der Dank äußert sich mit einem ‚fuck you, cunt‘, worauf Flora in bester Weinlaune beschließt, selbst Gitarre zu lernen. Die Lehrerwahl via Internet fällt auf den adretten Jeff aus Los Angeles.
Man muss dem Buch von Carney zugestehen, dass die sehr geradlinige und vorhersehbare Geschichte reich verziert ist, mit inszenatorischen Überraschungen und bestechenden Milieubeschreibungen. Oft sind die Aktionen zwischen Flora and Son aberwitzig komisch, aber gleichzeitig auch erschreckend schmerzlich. Dabei ist Orén Kinlan als Max das maßgebliche Zünglein an der Glaubwürdigkeitsskala. Kinlan wurde bereits von der Irish Times zu einem der ’50 people to watch: irish talent‘ auserkoren. Und warum, zeigte er hier erneut sehr eindringlich. FLORA AND SON überzeugt als starkes Darsteller-Kino.
Wenn sich also eine Frau wie Eve Hewson nach zeitraubender Suche im Netz endlich für einen Mann wie Joseph Gordon-Levitt als Gitarrenlehrer entscheidet, dann überrascht der weitere Verlauf sicherlich die wenigsten. Hier kommt eines der besten und innovativsten Gimmicks des Regisseurs zur Geltung. In fließenden Übergängen wandelt sich der Lehrer vom Bildschirm zu einer im Raum befindlichen, ‚realen‘ Person. Die Restriktionen einer Video-Konferenz bleiben aber bestehen. Doch im direkten Zusammenspiel können Hewson und Gordon-Levitt ihre Gefühlswelten viel intensiver ausspielen.
Mit diesen Vollblut-Darstellern geht das was sie im Spiel ausdrücken, weit über das hinaus, was sie reden. Wirklich langweilig wird John Carneys Film eigentlich nie, auch wenn man seine Handlungspunkte leicht erahnen kann. Natürlich nähern sich Flora und ihr Sohn so weit an, um ein Stück zu komponieren. Für John Carney in all seinen Filmen das Leittehma, Musik ist universell und verbindet. Diese schlichte Wahrheit wird mit den richtigen Darstellern auch zu einem wunderbar unterhaltsamen Exkurs über das Leben, die Hoffnung, Träume und natürlich die Liebe. Und das alles mit Tiefgang.
Die Komplexität der Charaktere ist auch die einnehmende Stärke von FLORA AND SON. Vordergründig geht es um Musik. Die Figuren teilen sich auf in Folkpop, Dance Music, und YouTube-Samples. Es wird sehr viel philosophiert warum und wie Musik entsteht, den persönlichen Stil zu finden. Aber unterschwellig sind damit natürlich die Gefühlswelten der Figuren angesprochen. Beziehungen bauen sich auf, und vertiefen sich. John Carneys jüngster Film ist sehenswertes, ansprechendes Wohlfühlkino. Umso trauriger ist dann der missratene Höhepunkt, in dem Musik und Text kaum noch den Charakters des Films wiedergeben. Hier ist wirklich jede Inspiration verloren gegangen, um aus der Geschichte genauso anspruchsvoll auszusteigen.
Darsteller: Eve Hewson, Oré Kinlan, Joseph Gordon-Levitt, Jack Reynor, Sophie Vavasseur, Kelly Thornton u.a.
Regie & Drehbuch: John Carney
Kamera: John Conroy
Bildschnitt: Stephen O’Connell
Musik: John Carney, Gary Clark
Produktionsdesign: Ashleigh Jeffers
Irland, USA / 2023
97 Minuten