RUBY GILLMAN, TEENAGE KRAKEN
– Bundesstart 05.07.2023
Ruby Gillman wächst im Küstenstädtchen Oceanside auf. Im Gegensatz zum Rest der Einwohner, ist die Familie Gillman etwas anders. Bläuliche Haut und etwas schwammiger Gang. „Sag den anderen, wir sind aus Kanada“, ermahnt Mutter Agatha ihre Tochter Ruby immer wieder. In seiner gesellschaftsbezogenen Aussage, einer der besten Gags. Und RUBY GILLMAN hat einige von diesen hintergründigen Anspielungen. Es reicht nur nicht aus, um ein Publikum jenseits der Pubertät anzusprechen. Denn die Gillmans sind Kraken, die sich aber den Menschen angepasst haben. In dieser Zeit von erheblich schwächelnden Disney, sprich Pixar Produktionen, hat zuletzt DreamWorks Animation ordentlich Oberwasser gewonnen. Bei der Krakenfamilie Gillman sind es allerdings schon wieder flache Gewässer. Die fünfzehnjährige Ruby muss kurz vor dem Abschlussball feststellen, dass sie keine gewöhnliche, sondern eine Riesenkrake ist. Deswegen darf sie trotz der unmittelbaren Nähe zum Meer, nie ins Wasser, oder auf ein Boot. Es würde ihre bislang unterdrückte Wandlungsfähigkeit provozieren.
Wie so oft im Genre, sind auch bei RUBY GILLMAN gleich drei Autoren am Schreiben gewesen, aber ohne Beteiligung von einem der zwei Regisseure. Es gibt kaum einen Handlungspunkt, der nicht schon vorauszusehen wäre. Zudem ist die inhaltliche und strukturelle Nähe zu Pixars ROT einfach zu markant (allerdings ist wegen der extremen Vorproduktion bei Animationsfilmen ein Plagiat auszuschließen). Die Metapher des zuerst unkontrillierbaren Monsters als Hürde zum Erwachsenwerden funktioniert auch hier.
Ruby nimmt allen Mut zusammen, um ihren Schwarm Connor zum Abschlussball einzuladen. In einer Slapstick-Situation fällt Connor ins Wasser, und Ruby taucht hinterher um ihn zu retten. Sie wird zur Riesenkrake, kann es aber vor dem Geretteten verbergen. Dafür nimmt die neue Mitschülerin Chelsea Van Der Zee (Zwinker) die Aktion für sich in Anspruch. Sie ist in Wahrheit eine Meerjungfrau und sieht auch aus, wie das Pendant zu Disneys Arielle. Die Wasserwesen werden natürlich beste Freundinnen.
RUBY GILLMAN ist ein buntes und turbulentes Abenteuer, dem ruhige oder besinnliche Momente fremd sind. Unablässig tönt der Soundtrack, mit dem die Stimmung jeder Szene noch einmal hervorgehoben wird. Stephanie Economous Musikuntermalung wird nur unterbrochen, wenn ab der dreißigsten Minuten dann doch vermehrt generische Popsongs genutzt werden. Die sind dann selten nach Text ausgewählt, sondern dienen der ziemlich aufdringlichen Anbiederung an das junge Zielpublikum.
Eine visionäre Optik sucht man vergebens. Die Designer geizen etwas an Originalität bei den Settings und der Visualisierung von Ereignissen. Zum Beispiel sind die verschiedenen Meeresströmungen lediglich als blau gehaltene Streifen mit der Anmutung von Regenbögen dargestellt. Und das Reich von Rubys Großmutter, der Krakenkönigin, ähnelt einem verwirrenden Blick durch ein Kaleidoskop. Hingegen sind Rubys Erklärungen in Form von Tik-Tok-Videos eine gelungene Spiegelung des Zeitgeistes.
Die Figuren sind, wie nicht anders zu erwarten, auch bei RUBY GILLMAN anatomisch überzogen. Daran hat man sich aber bei der Animation mittlerweile gewöhnt. Die Krakenfamilie selbst hebt sich lediglich zweckmäßig von den Menschen ab. Besonders die Gestaltung der Riesenkraken enttäuscht, weil die Zugeständnisse an die menschliche Anatomie zu stark sind, und offensichtlich einem inspirierteren Fabelwesen nicht vertraut wurde. Als offensichtliche Arielle-Anleihe bleibt Chelsea die interessanteste Figur.
Doch wo sich der Film im unteren, manchmal auch gehobenen Mittelfeld bewegt, wird er immer wieder von den wunderbaren Charakteren aufgefangen. Der immer nur scheinbar abwesende Kumpel Trevin, oder Freundin Bliss, mit ihren ständigen Untergangsszenarien, und natürlich das stets positive Ungestüm von Onkel Bill, Was die Stimmdarsteller dann noch aus den keineswegs überfordernden Dialogen machen, ist eine freudige Überraschung. Hier holt der Film mächtig auf, was er anderweitig sträflich versäumt.
RUBY GILLMAN, TEENAGE KRAKEN ist ein immerzu lautstarkes Werk, dass eine mitreißende Dynamik entwickelt, und auch hält. Die konsequente Ausrichtung auf ein junges bis maximal jugendliches Publikum steht dem Film aber immer wieder im Weg. Vor allen anderen, wird Tony Collette in starker Erinnerung bleiben. Als Mutter Agatha ist Collette mit ihren leicht überreizten Ambitionen und behütendem Misstrauen eine erfrischende Ohrenweite – „Ruby, is that saltwater in your breath?“
Stimmen:
Ruby Gillman: Lana Condor / Patricia Carlucci
Vater Arthur: Colman Domingo / Tobias Schmitz
Mutter Agatha: Toni Collette / Katrin Fröhlich
Bruder Sam: Blue Chapman
Connor: Jaboukie Young-White
Großmutter: Jane Fonda / Sabina Trooger
Gordon Lighthouse: Will Forte / Thomas Wenke
u.a.
Regie: Kirk DeMicco, Faryn Pearl
Drehbuch: Pam Brady, Brian C. Brown, Elliott DiGuiseppi
Kamera: Jon Gutman
Bildschnitt: Michelle Mendenhall
Musik: Stephanie Economou
Produktionsdesign: Pierre-Olivier Vincent
USA, Japan / 2023
91 Minuten