SORCERER – Bundesstart 13.04.1978
Aus ABGESCHMINKT, Ausgabe Mai 1978, nach der amerikanischen Originalfassung:
Ein kleines, heruntergekommenes Dorf in Kolumbien bietet Unterschlupf für zwielichte Gestalten wie Betrüger, Terroristen und Mörder aus anderen Ländern. 218 Meilen weiter, inmitten des kolumbianischen Dschungels, brennt eine Ölquelle. Das Feuer könnte nur mit einer Explosion gelöscht werden.
Der Amerikaner ‚Dominguez‘ hat die Mafia beraubt. ‚Serrano‘ kommt aus Frankreich, und hat Millionen veruntreut. Der Palästinenser ‚Martinez‘ hat eine israelische Einrichtung gesprengt. Und von Mexikaner Nilo muss man annehmen, dass er als Auftragskiller Unterschlupf sucht.
Die Ölfirma lockt mit einer hohen Summe und neuen Ausweispapieren, wenn sich Männer finden, die zwei Lastwagen mit drei Kisten Nitroglyzerin an die brennende Ölquelle bringen. Dominguez, Serrano, Martinez und Nilo sind verwegen genug, um das Wagnis durch den unwegsamen Dschungel einzugehen. Dabei wird klar, warum die Ölfirma die Ladung auf zwei Lastwagen aufteilt. Es ist zweifelhaft, ob überhaupt einer der Transporter die Strapazen bewältigen kann.
Die Entstehungsgeschichte von ATEMLOS VOR ANGST hört sich so spannend an, wie der Film selbst. Die Auseinandersetzungen des Regisseurs und Filmemachers William Friedkin mit dem produzierenden Paramount Studio. Die Darsteller waren allesamt nicht erste, sondern fünfte, oder sogar sechste Wahl. Wetterbedingte Standortwechsel von aufwendigen Filmkulissen. Unangebrachte Launen des Darstellers Roy Scheider, was während der Dreharbeiten von Zeitungsberichten auf den Erfolg seiner vorangegangenen Filme geschoben wird. Das Versagen einiger Techniker bei den Filmeffekten. Der Wechsel des Kameramanns. Ein Film allein über das Abenteuer der Dreharbeiten nimmt sich schon sehr spannend aus. Doch die Beschwerlichkeiten während der Produktion haben dafür auch einen Film hervorgebracht, der eigenständig und deswegen kaum noch als Neuverfilmung von Henri-Georges Clouzots LOHN DER ANGST betrachtet werden kann.
Regisseur Friedkin hat sich das persönliche Einverständnis des Franzosen Clouzot geholt, um den 23 Jahre vorher entstandenen Abenteuerfilms noch einmal verfilmen zu dürfen. Wobei sich das Drehbuch eigentlich mehr an Georges Arnauds Roman hält. Zeigt der erste Film noch ohne Ausschmückungen lediglich den Auftrag, gibt Friedkin jedem der dubiosen Männer eine ausführliche Vorgeschichte. Im neuen Hollywood, zu dem Friedkin als Filmemacher seit DIE HARTEN UND DIE ZARTEN zweifellos zählt, ist es üblich geworden, für den Delinquenten Sympathien zu entwickeln. Eine sehr fragwürdige Entwicklung, die 1967 mit BONNIE & CLYDE von Arthur Penn bereits für den breiten Markt hoffähig gemacht wurde. William Friedkin beherrscht die Präsentation seiner unmoralischen Protagonisten perfekt. Zuerst nimmt er ihre Vergangenheit aus dem Kontext von Recht und Gerechtigkeit. Und erst mit dem Auftrag stellen sich die Männer in der zweiten Hälfte ganz bewusst ihrer Schuld und Sühne.
In ATEMLOS VOR ANGST entwickelt Friedkin eine sehr archaische Stimmung. Obwohl mit allen Mitteln des modernen Kinos in Szene gesetzt, lässt der Film die Strukturen des eigentlich vergangenen Abenteuerfilms wieder aufleben, in dem er eine gänzlich von Männern dominierte Umgebung schafft. Obwohl thematisch weit entfernt, erinnert das an FLUG DES PHÖNIX oder auch dem Ende von DER WEISSE HAI. Die einzige Frauenrolle im Film zitiert Anfangs ein Gedicht, dass das spätere Schicksal der Protagonisten vorweg nimmt. Der zweite Teil wirkt dann auch entgegen des modernen Kinos, aber daraus entwickelt der Film seine unfassbare Spannung. Er ist konzentriert und fokussiert, auf die elektrisierende Anstrengung der Darsteller, sowie den schweißtreibenden Szenen mit den Lastwagen. Wobei die Fahrt über die verfallene Hängebrücke schon jetzt als lange nicht zu übertreffender Meilenstein des Reißers gezählt werden muss.
William Friedkin hat eigentlich keinen Actionfilm gemacht, sondern pures und Adrenalin treibendes Spannungskino. Die Episode mit der Sprengung eines querliegenden Baumes ist schon allein durch Schnitt und Bildeinstellung unheimlich fesselnd. Es ist ein bemerkenswertes Attribut des Regisseurs, wie perfekt er in Abstimmung von Montage, Kamerabildern, und exzellenter Tonmischung zu gestalten versteht. Leider wird die europäische Kinofassung in gekürzter und chronologisch veränderter Form anlaufen, dem Effekt aber hoffentlich keinen Abbruch tun. Im Heimatland ist ATEMLOS VOR ANGST gerade mit überwältigenden Ergebnissen gestartet. Da in den nächsten Tagen einzig und allein konkurrenzlos der Science-Fiction-Film KRIEG DER STERNE anlaufen wird, steht einem verdient phänomenalen Erfolg wirklich nichts im Weg. Womit sich nach BRENNPUNKT BROOKLYN und DER EXORZIST, die Serie von Maßstäbe setzenden Kinohöhepunkten des William Friedkin kaum aufhalten lässt.
‚Drive-In‘ ist eine Sparte von Inhalten die vergessenen, unbekannten oder missverstandenen Filmen aus der Ära der Autokinos Tribut zollt. Die jeweiligen Artikel sind nach Bemühen so verfasst, wie es der Wahrnehmung zum individuellen Starttermin des bestimmten Filmes entsprochen hätte. Die dabei angegebenen Ausgaben von ‚Abgeschminkt‘ sind einer alternativen Realität entnommen.
Darsteller: Roy Scheider, Bruno Cremer, Amidou, Francisco Rabal, Ramon Bieri, Peter Capell, Karl John, Friedrich von Ledebur u.a.
Regie: William Friedkin
Drehbuch: Walon Green
nach dem Roman ‚Lohn der Angst‘ von Georges Arnaud
Kamera: Dick Bush, John M. Stephens
Bildschnitt: Robert K. Lambert, Bud Smith
Musik: Tangerine Dream
Produktionsdesign: John Box
USA / 1978
deutsche Fassung 92 Minuten
121 Minuten