WOMEN TALKING
– Bundesstart 12.02.2023
Wo die Geschichte angesiedelt ist, bleibt zuerst vage. Mädchen und Frauen in identischen Gewändern und Hauben, Jungs und Männer in karierten Hemden mit Denim-Latzhosen. Es ist eine unwirklich anmutende Szenerie, bei der Bildgestalter Luc Montepellier die Farben fast verschwinden lässt. Der Film baut sich auf wie eine Allegorie auf die Anfänge der Emanzipationsbewegung. Es gibt drei gemalte Bilder unter denen Frauen ihr Kreuz zur Abstimmung machen können. Sie können weder lesen noch schreiben. Die Bilder stehen für aufgeben, kämpfen und weggehen. Es sind Optionen, was für eine Haltung die Frauen in der Gemeinde gegen die Männer und gegen gewälttätige Repressalien einnehmen werden. Und Sarah Polley inszeniert das so strukturiert und bildlich raffiniert, dass die stark verblasste Farbpalette die wortlos inszenierte, aufkommende Spannung noch intensiviert.
Da ist die zynische Mariche, die wütende Salome, die besonnene Ona, die altersweise Agata, oder die konservative Janz. Es gibt noch mehr Mädchen und Frauen, die sich an der Aussprache beteiligen, aber es sind diese Frauen, die jeweils eine emotionale Richtung in der Debatte um die Zukunft der Gemeinde verkörpern. Um die Zukunft ihrer aller Leben. Durch die stringent gehaltene Richtung jeder einzelnen Frau, werden die Dialogpassagen wesentlich konzentrierter, was auch Wiederholungen vermeidet. Eigentlich ist der gesamte Film ein Dialog.
Es wird also sehr viel geredet, was um Längen spannender ist, als es das Publikum für möglich halten würde. Umso auffälliger sind dann die Handlungsteile außerhalb der Scheune. Polley inszeniert diese Abschnitte mit einem Hauch unheilvoller Mystik durch hohe Kontraste und starke Schatten, und vor allem ohne Dialog oder Erklärtext. Der Mann wird zum metaphysischem Phänomen. Im oberen Teil der großen Scheune, kommt es zum unablässigen Abwägen, wie konsequent und mit welcher Konsequenz sich die Frauen aus der strikten Ordnung ihres Lebens befreien können oder müssen. Dieses Leben voller Demut und verordneter Selbstaufgabe.
Wäre am Ende der Ausbruch aus dem Kreislauf von Gewalt und Unterdrückung doch ein Sünde, die mit dem Zorn Gottes einhergehen würde, und damit Exkommunikation zur Folge hätte. So prophezeit es jedenfalls Janz, die einzige mit konkreter Haltung gegen ein mögliches Aufbegehren. Ausgerechnet Janz, die ihren Beinamen Scarface der großen Narbe im Gesicht verdankt. Wie es zu der Entstellung kam, muss nicht erklärt werden. Frances McDormand verkörpert Janz mit merklichem Argwohn gegen die zweifelnden Frauen. Und McDormand war es, die umgehend die Filmrechte erwarb, als Miriam Toews Roman 2018 erschien.
Regisseurin Sarah Polley, Ende der 1990er erfolgreiche Hoffnungsträgerin im Independent-Film, erarbeitete umgehend Konzepte und Drehbuchentwürfe, noch bevor sie gegenüber McDormand ihr Interesse an der Verfilmung bekundete. Polleys merkliche Leidenschaft überträgt sich umgehend auf die Leinwand. Die künstlerische wie inhaltliche Umsetzung ist brillant. Wie die unaufdringlichen Details im Kostüm-Design, dass jeder Familie einen eigenen Entwurf in den Gewändern mit zugewiesenen Farbtönen gibt. Auch wenn das wegen der zurückgesetzten Farbintensität schwer zu identifizieren ist. Aber es ist so, und unterstreicht die Hingabe aller Gewerke.
Doch in erster Linie ist es Luc Montepelliers Kameraführung. Ohne die wäre trotz Polleys unglaublich fokussierten Regie, die Erzählung nie so intensiv. Die Regisseurin kann sehr viel erklären, ohne das Publikum mit Begleittexten zu bevormunden. Was sich gut in der Eingangssequenz mit der verletzten Ona zeigt, deren Bedeutung erst im weiteren Verlauf verständlich wird. So gewinnt DIE AUSSPRACHE eindringliche Spannung, ohne manipulative Effekthascherei oder lehrhaften Zeigefinger. Das wichtigste sind aber die Gesprächspassagen, was im Normalfall zu ermüdenden Längen führt.
Und Essenz dieses Films sind eben ausgedehnte Dialogsequenzen. Das können nur wenige Menschen wirklich ansprechend inszenieren, wenn der gewichtige Ton in der Stimmung erhalten bleiben muss. Polley kann das, mit einer faszinierenden Koordination von Einstellungen und Schnitt – und dem überwältigenden Ensemble. Auf die Darstellerinnen einzeln einzugehen, würde nur den Rahmen sprengen, und auch nichts Neues über sie erzählen. Rooney Mara, Jessie Buckley oder Claire Foy, die Namen der jungen aber bereits festen Größen im Geschäft sprechen für sich. Schön das Judith Ivey wieder einmal in einer angemessen anspruchsvollen Rolle zu sehen ist.
Eines der nebensächlich wirkenden Details, ist die Erwähnung das DIE AUSSPRACHE im Jahr 2010 spielt. Die Romanautorin Miriam Toews, die mit Polley am Drehbuch arbeitete, ist selbst Mennonitin. Ihre Erzählung ist eine wahre Geschichte aus einer abgeschiedenen und streng von modernen Einflüssen isolierten Mennoniten-Gemeinde. Innerhalb der Glaubensgemeinschaft betäubten Männer die Frauen um sie zu missbrauchen und auch zu schwängern. Der Glaube an die Sache und die Angst vor Exkommunikation machte es den Frauen lange unmöglich darauf zu reagieren.
Aber die Grenzen zwischen Gestern und Heute verschwimmen. DIE AUSSPRACHE ist Allegorie auf die Emanzipationsbewegung, und gleichzeitig ein aktueller Kommentar über die Rolle der Gesellschaft gegenüber Frauen. Aber vorrangig ist der Film starkes Kino mit hohem Anspruch. Sarah Polley setzt ihrem Film den Titel von Toews Roman voran – ‚Dies ist ein Akt weiblicher Vorstellungskraft‘.
Darsteller: Rooney Mara, Judith Ivey, Emily Mitchell, Frances McDormand, Jessie Buckley, Claire Foy, Kate Hallett, Ben Whishaw u.a.
Regie: Sarah Polley
Drehbuch: Sarah Polley, Miriam Toews
Kamera: Luc Montepellier
Bildschnitt: Christopher Donaldson, Roslyn Kalloo
Musik: Hildur Guðnadóttir
Produktionsdesign: Peter Cosco
USA / 2022
104 Minuten