– Deutschlandstart 07.09.2023
– Release 21.04.2023
2011 brachte Simon Curtis MY WEEK WITH MARILYN in die Kinos. Es geht um die kurze Phase, in der Filmstudent Colin Clarke zum persönlichen Assisstenten von Marilyn Monroe erkoren wurde. Die Zuschauenden erfahren und beobachten den Star durch die Augen eines unbedarften Außenstehenden. Dieses clevere Konstrukt nutzt auch Mary Harron in ihrer Biografie über den Surrealisten Salvador Dalí. Mit dem Unterschied, dass Colin Clarke eine reale Person war, und die Geschichte mit Marilyn auf seinem Buch basiert. Kunstgalerie Assistent James Linton ist eine fiktive Person, die sich Drehbuchautor John Walsh ausgedacht hat, und mit er sehr wenig anzufangen weiß. Anders als Clarke bei Marilyn, ist James für Dalí lediglich ein Werkzeug, um den spanischen Maler mit Abstand betrachten zu können. Somit vermeidet DALILAND auch jede emotionale Sicht des Künstlers selbst. Weitere Vergleiche mit Curtis‘ Film wäre an dieser Stelle nicht zielführend. Am Ende stellt sich dann heraus, welcher der beiden Filme der wirklich bessere ist. Inhaltlich und technisch.
Es ist Anfang der Siebzigerjahre in New York. Der alternde Maler Salvador Dalí hat nur noch drei Wochen Zeit, genügend Gemälde zu schaffen, um die Ausstellung einer New Yorker Galerie zu füllen. Der Galerie-Assistent James Linton soll dem Surrealisten nicht mehr von der Seite weichen, und ihn am arbeiten halten. Doch der Exzentriker Dalí lässt sich immer wieder nur allzu leicht ablenken. Auf der einen Seite sind es seine legendär gewordenen, verschwenderischen Parties. Auf der anderen Seite seine sexhungrige Gattin Gala, die wesentlich jüngere Männer bevorzugt, mit Einverständnis des Künstlers.
Es gibt sehr viel Punkte in Mary Harrons Film, die faktisch und belegt sind. Und die führt sie auch vor Augen, und arbeitet sie ab. Wirklich neue Erkenntnisse ergeben sich aus dem Film aber nicht. Jedenfalls keine, die bisher unbedarfte Besucher nicht ganz schnell und ohne lange zu suchen nachschlagen könnten. Dann ist da aber immer noch Ben Kingsley, der einfach fantastisch ist. Wie immer. Und das ist das Problem, weil Harron viel mehr eine Variation von Ben Kingsley inszeniert. Oftmals überkommt einen des Gefühl, als wäre der porträtierte Künstler lediglich in Namen und Schnurrbart anwesend.
Ähnlich problematisch verhält es sich mit Salvadors Ehefrau Gala. Barbara Sukowa hat sich die Figur hervorragend einverleibt. Sie überzeugt mit herrischer Egozentrik in ihrer eigenen Auslegung der Rolle. Von dem verbrieften Verlangen nach jüngeren Männern, dass von Dalí geduldet wurde, ist kaum etwas vorhanden. Der Film ist viel zu konzentriert auf ihre Beziehung zu dem kaum bekannten Broadway-Sänger Jeff Fenholt, den sie wie ein euphorischer Teenager mit allen zur Verfügung stehenden, finanziellen Mitteln zu protegieren versucht. Von der sexbesessenen Grand Dame ist kaum noch etwas übrig.
Dafür hat der wirklich überzeugend überhebliche Zachary Nachbar-Seckel als Fenholt, eine der besseren Szenen. Er, der lediglich Jesus in ‚Jesus Christ Superstar‘ gesungen hat, erklärt dem aufstrebenden Schockrocker Alice Cooper, warum Cooper mit seiner Art von Musik nie Erfolg haben wird. Was auch über Christopher Briney gesagt werden kann. Jedenfalls wird dem Neueinsteiger mit diesem Film kaum Erfolg beschert sein. Sein James Linton ist lediglich darauf beschränkt zu beobachten und zu gehorchen. Buch und Regie geben dem Charakter weder Eigenständigkeit, noch die Möglichkeit zur Entwicklung.
Salvador Dalí ist in die Jahre gekommen. Vergnügen bringen dem Exzentriker nur gleichbedeutend schrille Feiern. Gemalt wird nicht mehr aus Inspiration, sondern für den Erhalt des Image. Der luxuriöse Lebensstil wird mit gefälschten Lithographien unterhalten. Doch nichts davon inszeniert Harron spannend, oder auch nicht als skurrile Farce, was der Aura und der Reputation von Dalí angemessen wäre. Und das überträgt sich auch auf die Bilder. Zumindest in kleinen Dramen kann Kameramann Marcel Zyskind angemessene Stimmung schaffen, wie zuletzt im Vater-Sohn-Psychogramm FALLING.
Bei DALILAND ist die optische Atmosphäre einfach nicht stimmig zum ausschweifenden Lebensstil. Selbst wenn es Harrons Absicht gewesen sein mag, diesen schmalen Auszug eines Lebens als intimes Portrait zu inszenieren, fehlt in bestimmten Sequenzen einfach der Bezug zwischen Sein und Schein. Zyskind hat sich auf unterkühlte Farben festgelegt. Was schon einmal im Gegensatz zu den Werken des Künstlers steht. Die Drehorte sind spärlich ausgestattet, und lassen besonders in den Partyszenen eine ansprechende Räumlichkeit vermissen. Opulenz gibt es im Film nur, wenn davon gesprochen wird.
Gäste bei den Parties sind mit langer Brennweite gedreht, was lediglich den optischen Eindruck von mehr Personen erweckt als Statisten am Set waren. Das enttäuscht insofern, weil die Geschichte ohnehin nicht wagt anders, oder etwas Neues zu erzählen. Harron hätte mutiger sein müssen, um Salvador Dalí über das Maß der bekannten Verschrobenheit interessanter zu machen. Mehr visuelle Ideen, oder die fiktive Ebene mit James Linton stärker ausbauen. Das Amanda Lear mit Andreja Pejic von einer wirklichen Transgender Person dargestellt wird, ist schon einmal ein sehr koketter Entschluss.
Den Maler mit dem Betrug der Lithografien zu konfrontieren, oder seine vermeintlich schwindende Inspiration und Schaffenskraft in den Vordergrund zu stellen, anstatt es in Kontrast zu seiner Laufbahn als Künstler zustellen, ist eher destruktiv. Es ist auch nicht skandalös oder emotional aufreibend. Dafür darf sich der Maler überhaupt nicht angemessen in eigenen Worten äußern. Ben Kingsley wird der Gestalt Dalí absolut gerecht, dem Wesen des Surrealisten aber keineswegs. Mary Harron hat bekanntlich auch AMERICAN PSYCHO inszeniert, dass lässt für ihre zukünftigen Projekte wieder hoffen. Bis dahin wäre vielleicht MY WEEK WITH MARILYN auch einmal wieder interessant.
Darsteller: Ben Kingsley, Christopher Birney, Barbara Sukowa, Rupert Graves, Andreja Pejic, Suki Waterhouse, Zachary Nachbar-Seckel, Alexander Beyer mit Ezra Miller, Avital Lvova u.a.
Regie: Mary Harron
Drehbuch: John Walsh
Kamera: Marcel Zyskind
Bildschnitt: Alex Mackie
Musik: Edmund Butt
Produktionsdesign: Isona Rigau
Großbritannien, Frankreich, USA / 2022
97 Minuten