– seit 17.03.2023
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Dies ist eine wahre Geschichte. Zwischen 1962 und Januar 1964 ermordete ein einzelnes Individuum 14 Frauen im Alter zwischen 19 und 85 Jahren. Der Begriff Serienmörder wird erst zirka 10 Jahre später definiert. Von diversen Zeitungen bekam der Mörder verschiedene Namen, aber das von den Reporterinnen Loretta McLaughlin und Jean Cole vom Record American genutzte ‚Boston Strangler‘ wurde zum offiziellen Synonym des Monsters. Diese Adaption der Ereignisse von Drama-Spezialist Matt Ruskin, folgt den Begebenheiten mit akribischer Faktentreue. Lediglich Alessandro Nivolas Charakter des ausgebrannten, kapitulierenden Detective Conley ist eine Verschmelzung verschiedener Polizeibeamter, die mit den beiden Journalistinnen kollaborierten, auch wenn diese in ihren Artikeln dem Polizeiapparat keine gutes Zeugnis ausstellen konnten. Doch grundsätzlich wird der Film dem Ablauf und den Fakten gerecht. Doch an manchen Stellen in der Inszenierung hätte es vielleicht besser getan, sich zugunsten der Dramaturgie bescheidene künstlerische Freiheiten zu nehmen.
Loretta McLaughlin ist beim Record American eigentlich für den Life-Style, sprich die Hausfrauen-Seite zuständig, während Jean Cole bereits im Undercover-Einsatz an Kriminalartikeln schreibt. Loretta studiert bereits außerhalb der Bürozeiten Artikel anderer Zeitungen, und stellt die ersten Verbindungen bei bestimmten Mordfällen fest. Widerwillig lässt sich Chefredakteur Jack Maclaine darauf ein, die ambitionierte, aber unerfahrene Loretta über die Morde schreiben zu lassen, womit sie tief in eine Männerdomäne vordringt. Allerdings stellt ihr Maclaine die abgebrühte Jean an die Seite.
Im Umgang mit den Geschlechterrollen gibt sich Regisseur Matt Ruskin recht sparsam. Es gibt hin und wieder die üblichen Kommentare über Frauen in diesem Männerjob, einen wirklichen Einfluss hat es aber weder inhaltlich, noch auf die Charaktere. Keira Knightley darf einige Male sehr ängstlich und eingeschüchtert auf verstörende Anrufe und Drohbotschaften reagieren. Diese Standardsituationen tragen aber nicht zur Spannung bei, sondern wirken nur willkürlich und dem Zeitkolorit geschuldet. Wirklich überzeugend ist es nicht.
Ganz anders verhält es sich bei Carrie Coon, deren Jean Cole jede Szene dominiert. Cole ist ein Charakter von dem man gerne viel mehr erfahren hätte, weil Coon sie mit einer Präsenz erfüllt, welche sie zur eigentlichen Hauptfigur machen könnte. Keira Knightley hingegen gelingt es nicht, ihre Rollen von Hausfrau und Journalistin im Laufe der Ermittlungen angemessen verschmelzen zu lassen. Ihre Familienszenen entsprechen dem üblichen Szenario, in dem der Gatte zuerst mächtig stolz auf seine Frau ist, später aber daran scheitert, mit ihrem wachsenden Erfolg umgehen zu können.
Im Film wird auch keinerlei Interesse gezeigt, die Beziehung der beiden Frauen zu vertiefen, die in der Realität durch ihre Aufgabe viel mehr verbunden haben muss, als nur kollegiale Zusammenarbeit. Immerhin haben beide zusammen 29 Artikel über den ‚Boston Strangler‘ geschrieben, wie die Zuschauerin und der Zuschauer aber erst am Ende erfahren. Und genau daran ist Matt Ruskin interessiert, an der technischen Aufarbeitung und Rekonstruktion der Ereignisse. Es geht darum, wie Journalismus noch als integre Profession funktionierte und Polizeiarbeit sich selbst im Weg stehen konnte.
Für sich alleine, kann das auch spannend sein, weil uns Ruskin zeigt, dass keine der beiden Seiten mit solchen, bis dahin unvorstellbaren Taten wirklich umzugehen versteht. Die Erzählstruktur ist dabei nicht ohne bittere Ironie, wenn man mit den Ereignisse konfrontiert wird, und die Umstände aus heutiger Sicht verarbeitet. Gerade der aufgeklärte, aber auch manchmal paranoide Blick von heute lässt einen beim Film oftmals das Blut gefrieren. Parallel zu den wachsenden Erkenntnissen, sieht man immer wieder das nächste unbedarfte Opfer, wie es dem Mörder Einlass gewährt.
Seine ruhelose Dynamik gewinnt der Film durch die ständigen Wechsel der Schauplätze. Redaktionsräume, Tatorte, Polizeirevier, abgeschiedene Restaurants. Die beiden unterschiedlichen Fronten von Ermittlern schieben sich unter der Hand gegenseitig immer ihren neuesten Erkenntnisstand zu, unscheinbare Details bauen sich zu erkennbaren Mustern aus, dazwischen entbrennt Kompetenzgerangel zwischen Reportern und Polizisten. Was allerdings untergeht, ist eine Beziehung zwischen Publikum und den Opfern. Ruskin nutzt die Darstellung der Verbrechen mehr für den Schockeffekt, anstelle einer emotionalen Annäherung.
Mit einem herausragenden Produktionsdesign von John Goldsmith (grandios bei A MOST DANGEROUS YEAR in seiner Achtzigerjahre Ausstattung, und dem packenden Minimalismus von ALL IS LOST), präsentiert sich BOSTON STRANGLER als Lobeshymne auf den soliden und unbestechlichen Journalismus in einem atmosphärisch überzeugenden Zeitkolorit. Er würdigt die kleinteilige, nervenaufreibende Arbeit und das Gespür, sowie moralische Verpflichtung ehrbarer Reporter. Als beispielhafte Emanzipationsgeschichte ist er aber zu wenig mit den Motivationen seiner Hauptfiguren und den einhergehenden Widrigkeiten durch die Männerdominanz beschäftigt.
Matt Ruskin kann sich mit seiner Adaption zweifellos irgendwo zwischen den Journalisten-Thrillern DIE UNBESTECHLICHEN und ZODIAC zuhause fühlen. Ihm fehlt aber Alan J. Pakulas schonungslos nüchterne Geradlinigkeit, oder die aufwühlend emotionale Verschmelzung aller Leidenschaften und Schrecken zu einem untrennbaren, sich selbst befeuernden Ganzen, wie bei David Finchers Film.
Darsteller: Keira Knightley, Carrie Coon, Chris Cooper, Alessandro Nivola, Rory Cochrane, David Dastmalchian, Robert John Burke, Morgan Spector u.a.
Regie & Drehbuch: Matt Ruskin
Kamera: Ben Kutchins
Bildschnitt: Anne McCabe
Musik: Paul Leonard-Morgan
Produktionsdesign: John P. Goldsmith
USA / 2023
112 Minuten