Ti Wests X

X - Copyright CAPELIGHT PICTURES – Bundesstart 19.05.2022

Ziemlich unscheinbar und auf leisen Sohlen kommt er daher, lediglich hartgesottene Genre-Freunde waren auf ihn aufmerksam geworden. Bei den Fantasy Filmfest Nights war er vertreten, hat aber für weniger Furore gesorgt, als er tatschlich verdient hätte. Ti Wests X ist einer der ganz seltenen Fälle von Horrofilm, der mehrere Lager im breiten Spektrum des Genres befriedigend anzusprechen versteht. Die Nostalgiker, das Pärchen beim ersten Date, den Splatter-Freak, sogar die Schauer-Liebhaber, und als Ausrufezeichen: Die Metaphysiker.
Es ist 1979, das letzte Jahr von einem Jahrzehnt, in dem der Horrorfilm in alle Richtungen neu ausgelegt wurde, und von da an nur noch schlechte Epigonen hervorbrachte. Eine Gruppe von sechs Leuten begibt sich in unendlichen Weiten des texanischen Hinterlandes. Ein Gästehaus bei einer herunter gekommenen Farm soll ihnen als improvisiertes Studio für die Produktion des Films ‚The Farmers Daughter‘ dienen.

Sollte jemand an dieser Stelle nach dem TEXAS CHAIN SAW MASSACRE rufen (ja, Chain Saw getrennt geschrieben), dann hat sie oder er absolut recht. Und gleichzeitig liegt sie oder er aber auch falsch, wird aber auf alle Fälle sehr angenehm überrascht. Ti Wests Kameramann Eliot Rockett weiß genau, wie er vom ersten Bild an optisch die Verbindung zum großen Vorbild herstellt, aber damit auch gleich wieder bricht. Schon die allererste Einstellung ist ein Geniestreich für sich.

Das die Gruppe hier im prüden und erzkonservativen Hinterland einen Pornofilm dreht, scheint den altersschwachen Farmer und seine kränkelnde Frau nicht weiter zu belasten. Eine noch kaum spürbare unheimliche Stimmung scheint aus dem Kreis der drei Frauen und drei Männer selbst zu kommen. Und aus dieser Atmosphäre heraus, bereitet der Regisseur immer wieder fabelhaft angelegte Jump-Scares vor. West löst diese Schreckensmoment aber einfach nicht ein, sondern widersetzt sich dem Klischee.

Auf das gröbste herunter gebrochen ist X ein klassischer Horrorstreifen. Aber sein Macher weiß sehr viel damit anzufangen. Er spielt mit Versatzstücken, bricht mit ihnen, setzt sie wieder zusammen. Wenn das Morden beginnt, wird dem Nerd sicherlich sofort auffallen, was mit den in Stein gemeißelten Regeln des Teenie-Slashers passiert ist. So unendlich viele armselige Filmemacher wurden vernichtend geschlagen, als sie sich an den selbstreflektierenden Metaebenen versuchten, mit denen damals ein bestimmter Klassiker aus den Neunzigern den Horrorfilm neu definierte.

X 2 - Copyright CAPELIGHT PICTURES

 

Wo andere Filme glaubten mit den übergeordneten Ebenen intelligent und anspruchsvoll zu wirken, ist es bei X schlichtweg stimmig. Die Metaebene bekommt eine ganz natürliche Färbung die sich homogen in die Erzählstruktur einfügt. Wenn die Filmcrew abends bei Joint und Bier zusammen sitzt, diskutieren sie natürlich ihr gedrehtes Material und das Buch. Bis die scheue Tontechnikerin eine unerwartete Entscheidung trifft, die wirklich den Rahmen ihrer aller beengten Welt sprengt. Die eigentliche Kunst der Sequenz ist, wie unaufdringlich und selbstverständlich sie inszeniert ist.

In der Quantität von Splatter-Szenen kann sich X angenehm zurück halten, dafür passt die Qualität, welche den Freund des fiesen Ablebens zufrieden stellt. Ein paar unheimliche Schauermomente gibt es auch, die im Genre mittlerweile kaum noch zu finden sind. Und das durchweg sympathische Ensemble verfeinert das Ganze mit Figuren die für diese Art von Film überraschend glaubwürdig und echt getroffen sind. Auch hier verweigert der Film das bedienen von Klischees.

Herauszuheben ist dabei fairer weise Brittany Snow als nymphomanische Hauptdarstellerin, die mit atemberaubender Natürlichkeit strahlt. Sie nimmt ihrer Rolle die Anrüchigkeit, und macht aus der sextollen Männerfantasie einen echten Kumpel-Typ. Eigentlich gibt es in dieser Geschichte keinen wirklichen Bösewicht. Wenn man genauer betrachtet wie sich die Lage auf der Farm entwickelt, und sie entwickelt sich sehr unschön, bleibt fragwürdig, wer für das Schlamassel wirklich verantwortlich ist.

Wie sich das ganze Geschehen auf Mia Goth‘ Charakter Maxine auswirkt, bleibt etwas ungenau. Es muss eine tiefere Bedeutung haben, in welch vielschichtigen Facetten sie von Ti West inszeniert wurde. Manchen mag es nicht bewusst werden, andere müssen sich eine Antwort selbst erarbeiten. Es ist schwer zu beschreiben, wenn man nicht dem Spaß vorgreifen will. Letztendlich ist aber auch nur ein weiterer Hinweis, wie fabelhaft der Regisseur und Drehbuchautor die Mechanismen von Horror, und Kino im allgemeinen beherrscht und umgesetzt hat.

X 1 - Copyright CAPELIGHT PICTURES

 

Darsteller: Mia Goth, Brittany Snow, Jenna Ortega, Scott Mescudi (Kid Cudi), Martin Henderson, Stephen Ure u.a.
Regie & Drehbuch: Ti West
Kamera: Eliot Rockett
Bildschnitt: Ti West, David Kashevaroff
Musik: Tyler Bates, Chelsea Wolfe
Produktionsdesign: Tom Hammock
USA – Kanada / 2022
105 Minuten

Bildrechte: CAPELIGHT PICTURES
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