– Bundesstart 28.04.2022
Um die Herrschaft an sich zu reißen, wird König Aurvandil, Regent der Insel Hrafnsey von seinem niederträchtigen Bruder Fjölnir ermordet. Gerade in den Ritus von Herrschaft und Männlichkeit eingeführt, kann Prinz Amleth über das Meer fliehen. Königin Gudrún muss zurück bleiben. „Ich werde dich rächen, Vater. Ich werde dich retten, Mutter. Ich werde dich töten, Fjölnir.“
Von den Wikingern aufgenommen, ist er zum Berserker heran gezogen worden. Als sich nach Jahren die Gelegenheit ergibt, begibt sich Amleth nach Island und lässt sich als Sklave an Fjölnir verkaufen. Dieser hat zwischenzeitlich Amleths Mutter Gudrùn geheiratet und lebt ebenfalls im Exil, nachdem ihn der König von Norwegen vertrieben hat. Amleth gewinnt ein gewisses Vertrauen im Gefolge des großen bäuerlichen Hofes von Fjölnir, aber immer mit seinem Mantra im Gedanken.
Robert Eggers THE NORTHMAN hält, was seine Prämisse verspricht. Aber, er geht noch weit darüber hinaus. Den Filmtitel nur mit vorangestellten Namen zu nennen, ist ein Attribut welches im Augenblick kaum einen besser zu Gesicht steht als Robert Eggers. Mit Ari Aster ist er wohl in diesen Zeiten einer der außergewöhnlichsten Filmemacher, die den Spagat von Mainstream zu Arthouse selbstverständlich erscheinen lassen. Und dennoch verschrecken sie leicht beide Zuschauergruppen am jeweiligen Ende der Kinopalette.
Eggers hat mit THE WITCH das Horrorgenre wahrlich nicht neu erfunden. Genauso wenig wie Aster. Aber er hat die Mechanismen verdreht und die Ansätze verschoben. Das hat er mit THE LIGHTHOUSE noch einmal etwas weiter überspannt, um sich letztendlich mit seinem erst dritten Langfilm NORTHMAN dem Mainstream so weit anzunähern, dass es anfangs überrascht. Aber mit fast schon absehbarer Selbstverständlichkeit stellt er auch den gewöhnlich scheinenden Rachefeldzug von Amleth auf den Kopf.
In manchen Bildern, wieder einmal Jarin Blaschke an Eggers Seite, spürt man eine trügerische Künstlichkeit. Zweifellos sind diese Bilder, wie die finsteren Langboote auf einer abweisend rauen See, Computer generierte Imitationen. Aber sie vermittelt tatsächlich einen ganz anderen Eindruck. Es unterstützt die Unwirklichkeit jener Zeit, jener Geschichten, jener Mythen und Legenden. Robert Eggers spielt mit den Wahrnehmungen der Zuschauer. Es ist auch unwirklich, wie selbstverständlich Zustände inszeniert werden, die eigentlich Entsetzen auslösen sollten.
In einer Sequenz begleitet die Kamera den erwachsenen Amleth als Kämpfer für die Wikinger, wie er mit seinen Gefährten den Männern eines überfallenen Dorfes nachstellt um sie zu töten. Es ist eine Plansequenz ohne Unterbrechung von den Toren des Dorfes durch die düsteren, matschigen Wege. Es wird sehr viel gestorben, und es wird sehr blutig gestorben. Frauen und Kinder werden gar nicht beachtet, weil sie später noch von Nutzen sein könnten. Diese Kamerafahrt definiert die komplette Atmosphäre des Films, und ihre Auflösung definiert den Charakter des vermeintlichen Helden. Er tut, was ihm in sein eigenes Leben geraubt hat.
Durchzogen mit dem Nachhall alter Geschichten, der Folklore und den Mythen von mehr als tausend Jahren, geht die Handlung sehr sparsam mit dem spirituellen Übernatürlichen um. Darin wird Eggers nie konkret, Coautor ist LAMB-Macher Sjón, aber die Möglichkeit von Geistern, Hexen und Walhalla ist allgegenwärtig. Robert Eggers THE NORTHMAN lebt von einer sehr archaischen Kraft, und seiner maskulinen Erhebung. Am Ende wird alles auf den Kopf gestellt.
NORTHMAN ist lang, in Teilen fast schon zu lang. Der Weg der Rache sieht sonst im Kino anders aus, aber genau hier trennt sich Eggers auch vom einhergehenden Filmklischee. Es mag alles stimmen, die Ausstattung, die Riten, das Weltbild, die fast schon tragische Männlichkeit. Was aber am Ende von Amleths Reise dagegen hält, ist das Wesen des Menschen selbst. Und genau deswegen ist es ein Film von Robert Eggers. Es überrascht keineswegs, wie er überrascht, nur um am Ende dann doch… Aber genau deswegen ist es schwer seine Filme eingehender zu betrachten.
Darsteller: Alexander Skarsgård, Nicole Kidman, Ethan Hawke, Claes Bang, Gustav Lind, Anya Taylor-Joy, Willem Dafoe, Björk u.a.
Regie: Robert Eggers
Drehbuch: Sjón, Robert Eggers
Kamera: Jarin Blaschke
Bildschnitt: Louise Ford
Musik: Robin Carolan, Sebastian Gainsborough
Produktionsdesign: Craig Lathrop
USA / 2022
137 Minuten