nominiert: LIVE-ACTION KURZFILM
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Dieser Film wirkt wie ein Fiebertraum. Die Einstiegssequenz könnte einer britischen Komödie entsprungen sein, in der das turbulente Leben einer Familie mit ausländischen Wurzeln als Hintergrund dient. Die Wohnung in der Vorortsiedlung ist klein, aber die acht Familienmitglieder sind ausgelassen und glücklich. Der Vater spricht unbeirrt Urdu, die anderen bereiten sich auf eine Feier vor. Es ist eine heile Welt, die man kennt. Oder glaubt zu kennen. Vor allem wenn man diese Welt von einer Seite aus betrachten kann, wo man als Mensch nicht unentwegt hinterfragt wird. Anlass für die Entwicklung der Geschichte war Riz Ahmeds Konzeptalbum ‚The Long Goodbye‘, das der Rapper und Schauspieler 2020 mit dem Produzenten Tom Calvert aufgenommen hat.
Der Filmemacher Aneil Karia hatte sich mit dem Musiker getroffen, und mit ihm zusammen THE LONG GOODBYE ausgearbeitet. Eine verstörende Produktion, die vielmehr erweitertes Musikvideo ist, als in sich geschlossener Film. Und das macht auch die unglaubliche Wucht aus, mit der LONG GOODBYE den Zuschauer regelrecht überfällt. Das dynamische Szenario im Haus wird unterbrochen von Lärm auf den Straßen des Viertels, und die Familie weiß, was das bedeutet.
Die wirkliche Stärke von LONG GOODBYE ist seine nicht vorhersehbare Absurdität, die den Zuschauer unvermittelt trifft. Hier spiegelt sich eine berechtigte Angst, die in ihrer Darstellung überzogen scheint. Aber nicht, wenn man es aus der Sicht der Erzähler betrachtet. LONG GOODBYE ist eine genau gezeichnete Zustandsbeschreibung, die Betroffene auf beiden Seiten des Spektrum anspricht. Von Aneil Karia initiiert und inszeniert, resümiert der Film eine brandaktuelle sozipolitische Stimmung in der Gesellschaft die immer unverhohlener aufbricht.
Was radikales und extremes Gedankengut der Gemeinschaft antut, setzen Aneil Karia und Riz Ahmed mit gleicher radikalen Vereinfachung und extremer Überspitzung entgegen. Was in den knapp zwölf Minuten zuerst befremdlich wirken mag, hinterlässt einen umso stärkeren Eindruck. LONG GOODBYE schließt mit einem drei Minuten langen Monolog als Rap, der den Kreis zu Ahmeds Album wieder schließt. Ein Monolog der durchaus auch zweimal gehört werden will, um ihn im vollen Umfang zu erfassen.
Haben sie dich gefragt wo du her bist, wo du wirklich herkommst
Die Frage klingt einfach, aber die Antwort ist lang
Ich könnte sagen Wembley, aber das wollen sie nicht hören
Ich bin als Brite geboren und ich mag eine Tasse Tee
aber Tee kommt nicht von den Briten
sondern von da wo meine DNS abstammt und meine Gene her sind
Eine Suche nach einem Land, das für uns verloren ist
… und das Land heißt Würde
Darsteller: Riz Ahmed, Sudha Bhuchar, Nikkita Chadha, Taru Devani, Asmara Gabriella, Marissa Hussain, Hugo Nicholson, Hussina Raja, Ambreen Razia, Reynah Rita, Rish Shah u.a.
Regie: Aneil Karia
Drehbuch: Aneil Karia, Riz Ahmed
Kamera: Stuart Bentley
Bildschnitt: Amanda James
Musik: Redinho
Produktionsdesign: Ruth Crawford
Großbritannien – Niederlande / 2020
13 Minuten