THE EYES OF TAMMY FAYE

nominiert: HAUPTDARSTELLERIN & MAKEUP

Eyes TF - Copyright 20th CENTURY STUDIOS– auf DISNEY+ ab 23.03.2022

Tamara Faye war zweifellos eine exzentrische und schillernde Persönlichkeit, was ziemlich schnell Jessica Chastains Faszination für Amerikas berühmteste Televangelistin erklärt. Ausschlaggebend war der in 2000 entstandene Dokumentarfilm gleichen Titels, von Fenton Bailey und Randy Barbato, den Chastain 2012 sah und sie sofort für eine Spielfilm-Fassung begeisterte. Trotz ihrer Bemühungen dauerte es sieben Jahre bis 2019 die erste Klappe geschlagen wurde. Es wurde eine Biografie mit allen hinlänglich bekannten Standards, die das Genre glaubt haben zu müssen.

Blick ins Heute: Tammy Faye offensichtlich vor einem wichtigen Auftritt, blickt zurück. Alles geschieht trotz widriger Umstände. Kindheit und das Finden zu Gott. Die große Liebe und die Verwirklichung Gottes Wort zu verkünden. Gründung des erfolgreichsten christlichen TV-Kanals. Schließlich der unvermeidbare Absturz, wegen Veruntreuung und Untreue. Man kennt dieses Muster auswendig, unter dem die meisten Biografien leiden.

Warum man Michael Showalter in den Regiesessel setzte und Abe Sylvia das Drehbuch verfasste, ist schwer nach zu vollziehen. Beide haben sich Reputationen mit guter und unterhaltsamer Fernseh-Kost verdient. Aber eine derartige Lebensgeschichte, in eine inszenatorische Schablone zu pressen, die lediglich aus uninspirierten Versatzstücken herkömmlicher Biografien besteht, wird ihren Figuren überhaupt nicht gerecht. Da hätten Abe Sylvia und Michael Showalter etwas über den Bildschirmrand hinaus sehen müssen.

Die biedere Inszenierung will irgendwie nicht mit der Exzentrik von Tammy Fayes zügelloser Hingabe an ihre eigenen Werte zusammenpassen. Und die hauptsächlich durch extremes Makeup und dem Verdacht auf Veruntreuung in Erinnerung gebliebene Predigerin wird von Jessica Chastain mit vergleichbarer, zügelloser Hingabe gespielt. Am Ende reduziert sich dieser Film auf die Schauspielerin, gegen die das übrige Ensemble nicht ankommt. Schlicht – weil ihnen keine Aufmerksamkeit gegeben wurde.

Eyes TF 1 - Copyright 20th CENTURY STUDIOS

Autor Abe Sylvia ist mehr daran interessiert möglichst viele Handlungselemente zu verarbeiten, anstatt diverse Punkte zu vertiefen. Er geht den einzelnen Figuren nicht auf den Grund, und ihre wahren Motivationen bleiben vage, oder der Zuschauer muss sich selbst um Erklärungen bemühen. In einer von nur sehr wenigen starken Szenen, gesteht Andrew Garfield als Jim Bakker unter Tränen einen Seitensprung mit Folgen. Gibt aber seiner Frau die Schuld dafür, die allerdings Avancen von anderen Männern stets ablehnte.

Szenen wie das Geständnis kratzen aber nur an der Oberfläche. Sie bedienen lediglich einen emotionalen Effekt, wo eine tiefergreifende Auseinandersetzung effizienter gewesen wäre. Es wird im Handlungsverlauf nie deutlich, ob sich die einzelnen Figuren tatsächlich ergänzen, oder einander nur benutzen, ob sie in ihrem christlichen Eifer ihre Ansprüche zu hoch stecken, oder das Wort Gottes nur eine vorgeschobene Fassade für die persönliche Bereicherung ist. Gibt man dem Zuschauer freie Interpretationsmöglichkeiten, kann einer Figur schnell Unrecht wiederfahren.

Auf alle Fälle ist TAMMY FAYE die große ‚Jessica Chastain Show‘. Die komplette Inszenierung ist allein auf sie ausgelegt, auf Chastain sogar mehr, als auf den Charakter Faye. Die für Tamara Faye übliche Schminke hat Linda Dowds nicht einfach übertragen, sondern die schrille Intensität des Makeups Chastains Gesicht angepasst. Auch die perfekten Gesichtsprothesen lassen Tammy Faye umgehend erkennen, verstecken aber nicht die Züge und Augenpartien der Darstellerin.

Die besten Szenen spielt Jessica Chastain auch alleine aus, weil der Regisseur ohnehin nicht viel mit der Chemie zwischen den Darstellern anzufangen weiß. Faye wird zum einzig greifbaren Charakter im Film, was die Schwächen in der Schauspielführung der anderen Darsteller nur noch deutlicher macht. Dabei überzeugt das hingebungsvoll gestaltete Zeitkolorit von Ausstattung bis hin zu den Kostümen. Selbst der spielerische Wechsel zwischen normalen Aufnahmen und zeitgemäß nachgestellte Fernsehbildern innerhalb einiger Szenen ist gelungen.

THE EYES OF TAMMY FAYE überzeugt aber nicht als Portrait von sich gegenseitig beeinflussenden Menschen. Ein differenzierter Zugang wäre durchaus angebracht gewesen, vielleicht mit mehr Humor, vielleicht als beißende Satire, ganz sicher aber mit einem ausgereifteren Drehbuch und einer mutigeren Regie. Humor kann man TAMMY FAYE nur vorwerfen, wenn man über die Figuren lacht, aber nur weil nicht klar ist, ob man sich über sie lustig macht. Und das ist definitiv der falsche Ansatz. Am Ende sitzt Faye wieder dort, wo wir sie am Anfang zum ersten Mal gesehen haben. Man kennt das Muster zu genüge, es folgt der glamouröse Neubeginn. Alles in allem ist das einfach zu wenig.

Eyes TF 2 - Copyright 20th CENTURY STUDIOS

 

Darsteller: Jessica Chastain, Andrew Garfield, Cherry Jones, Sam Jaeger, Gabriel Olds, Vincent D’Onofrio, Mark Wystrach, Louis Cancelmi u.a.
Regie: Michael Showalter
Drehbuch: Abe Sylvia
nach der Doku von Fenton Bailey & Randy Barbato
Kamera: Mike Gioulakis
Bildschnitt: Mary Jo Markey, Andrew Weisblum
Musik: Theodore Shapiro
Produktionsdesign: Laura Fox
USA / 2021
126 Minuten

Bildrechte: 20th CENTURY STUDIOS
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