– Bundesstart 23.06.2022
Preview 21.Juni in deutscher Sprachfassung
Regisseur Scott Derrickson erzählt voller Stolz, Autor Stephen King hätte diesen Film mit einem seiner eigenen Buchvorlagen verglichen. „(Black Phone) ist STAND BY ME in der Hölle“. Und STAND BY ME ist unbestritten einer der besten King-Verfilmungen soweit, also sollte das Lob auch von Bedeutung sein. Aber von jemanden der selbst die Neuverfilmung von THE STAND in höchsten Tönen lobte? Der mittlerweile alles frenetisch beklatscht, was in Zusammenhang mit seinen Romanen steht? Die Zeiten sind Geschichte, als der Horrormeister zum Beispiel noch heftig gegen Kubricks SHINING wetterte. Als bekennender Verehrer des Autors, wie der hier schreibende Rezensent, sollte man das durchaus auch ansprechen. Die Vorlage für Scott Derrickson und Robert Cargills Drehbucht zu THE BLACK PHONE stammt aus der Feder von Joe Hill. Wer weiß, dass Joe Hill der Sohn von Stephen King ist, sollte sich den lobenden Vergleich mit STAND BY ME noch einmal durch den Kopf gehen lassen.
Das Derrickson nach der Mega-Produktion von DOCTOR STRANGE das Verlangen nach einer kleinen, überschaubaren Regiearbeit haben würde, ist nachvollziehbar. Von den ‚künstlerischen Differenzen‘ bei STRANGE 2 will man gar nicht erst reden. Dass er sich dabei erneut den Zwängen von Blumhouse Productions unterworfen hat, ist vielleicht sentimental begründet. Schließlich hat Derrickson mit SINISTER selbst erfolgreich gemacht, worauf sich alle Blumhouse Produktionen seither stützen.
Auf diese Weise gleicht auch BLACK PHONE allen Blumhouse-Filmen seit SINISTER. Dabei hätte die Geschichte des entführten Finney Shaw allen Grund und beste Gelegenheiten, aus dem sich ständig wiederholenden Trott auszubrechen. Der Grabber, also Greifer, hat in einer kleinen Stadt in Colorado bereits vier Kinder entführt. Es ist 1978, und der oft von Mitschülern terrorisierte dreizehnjährige Finney erwacht als fünftes Opfer in einem schallisolierten, kargen Kellerverlies.
Es ist ein Leichtes BLACK PHONE vorzuwerfen, er würde schamlos am Nostalgie-Erfolg von STRANGER THINGS und der Kinofassung von IT hängen. Das ist insofern nicht gerechtfertigt, weil Joe Hills Kurzgeschichte gleichen Titels bereits 2004 veröffentlicht wurde. Aus cineastischer Sicht kommt hinzu, dass Scott Derrickson und Coautor Robert Cargill die retrospektiven Möglichkeiten des Siebzigerjahre-Settings überhaupt nicht wirklich nutzen.
Anstatt sich tatsächlich von jenem Nostalgie-Trend inspirieren zu lassen, macht Derrickson was alle Spukgeschichten und Geisterfilme in den letzten Jahren konform macht, und wiederrum seiner Phantasie entsprungen war. Es ist die identische Umsetzung aller optischen und tontechnischen Elemente, inklusive der Gestaltung des Titelvorspanns. Von verwackelten Jump-Cuts, 8mm-Aufnahmen, Szenenaufbau, Ausleuchtung und unsinnig gestalteten Schockmomenten mit überflüssig kreischenden Toneffekten.
Einen Film IN den Siebzigern spielen zu lassen, ist etwas ganz anderes, als einen Film AUS den Siebzigern zu machen. So wie hier dargestellt, wäre die Handlung in der Neuzeit überhaupt nicht möglich. Wie Ethan Hawke als ‚Grabber‘ die Kinder entführt, müsste im Heute ganz anders dargestellt werden, was den Ton der Erzählung aber auch verändern würde. Und der Ton ist tatsächlich anders zu den sonstigen, unzähligen Horrorgeschichten. Die zeitgeistige Atmosphäre ist spürbar, entfaltet sich aber nicht zufriedenstellend.
Konzentriert sich die erste Hälfte noch auf Urängste und die Hilflosigkeit von Kindern in der Welt der Erwachsenen, schlägt die Erzählung in der zweiten Hälfte eine andere, sehr ungewöhnliche Richtung ein. Aber diese zwei Richtungen spielen nicht gegeneinander, sondern verzahnen sich langsam immer weiter, was ganz hervorragend funktioniert. Lediglich Jeremy Davies als gewalttätiger Vater kann nicht überzeugen, was aber auch an der stereotypen Inszenierung des Charakters liegt.
Mit Mason Thames hat man einen hervorragenden Finney besetzt, der eine altersbedingte Fragilität aufweist, aber die Entwicklung bis hin in seinem Showdown-Modus stark auszuspielen versteht. Wie er sich aus seiner mehr als misslichen Lage zu befreien versucht, ist das überraschende Kernstück von BLACK PHONE. Dank Mason Thames charismatischer Energie, funktioniert die zweite Hälfte des Films noch eine wesentliche Spur intensiver als schon der Anfang.
Was BLACK PHONE ausmacht, ist die effektive Vermischung von obligatorischen Horrorszenarien und überzeugenden Thriller-Elementen. Wermutstropfen ist die Figur des ‚Grabber‘, dem kein Hintergrund und keinerlei Motivation zugestanden wird. Aber Ethan Hawke spielt ihn mit furchteinflößender Finesse. Wo der Darsteller in GOOD LORD BIRD noch mit sich überschlagender Energie überzeugte, fesselt er hier mit einer ungewöhnlichen Reduktion, und dies zu 90 Prozent versteckt hinter der markanten Maske.
Ist man bei den Vorzügen von BLACK PHONE, darf die dreizehnjährige Madeleine McGraw nicht ausbleiben. Als hellseherisch begabte Schwester Gwen, dominiert sie in jeder Szenen. Ihre vulgären Schimpftiraden, werden wohl vielen Besuchenden lange Zeit in Erinnerung bleiben. Auf diese Weise hangelt sich THE BLACK PHONE an vielen positiven Eigenschaften entlang, die am Ende ein unerwartet spannendes Gruselvergnügen ergeben. Aber es ist auf keinen Fall STAND BY ME, doch immer wieder ein Blick in die Hölle.
Darsteller: Mason Thames, Madeleine McGraw, Ethan Hawke, Jeremy Davies, E. Roger Mitchell, James Ransone, Troy Rudeseal u.a.
Regie: Scott Derrickson
Drehbuch: Scott Derrickson, C. Robert Cargill
Kamera: Brett Jutkiewicz
Bildschnitt: Frédéric Thoraval
Musik: Mark Korven
Produktionsdesign: Patti Podesta
USA / 2022
102 Minuten