THE 355

The 355 - Copyright LEONINE DISTRIBUTION– Bundesstart 06.01.2022

Als Jessica Chastain während der Dreharbeiten zu X-MEN: DARK PHOENIX von der Idee für einen Action-Film heimgesucht wurde, hatte sie auch gleich Regisseur Simon Kinberg für dieses Projekt im Sinn. DARK PHOENIX war eigentlich Kinbergs Regiedebüt, aber er hatte SHERLOCK HOLMES (2009) und DAS GIBT ÄRGER geschrieben. Vielleicht hatte die wandelbare Chastain solche Filme im Sinn, als sie schon im Vorfeld mit Kinberg liebäugelte, dabei aber scheinbar vergessen, dass dieser auch MR. & MRS. SMITH und FANTASTIC FOUR (2015) verfasst hatte. Ein Sinneswandel wäre nach der Fertigstellung des sehr verhaltenen DARK PHOENIX noch möglich gewesen. Nicht das Simon Kinberg ein schlechter Regisseur wäre. Bei weitem nicht. Aber seine Drehbücher sind von Arbeiten zu Arbeit von ausschweifender Diskrepanz. Und lässt man dann seinen Blick über die Darstellerliste von THE 355 schweifen, hätte so ein Aufgebot zu etwas wahrhaft Besonderem herausfordern müssen.

Es geht um nichts Geringeres, als die Herrschaft über die Welt. Eine Festplatte, mit der man sich ungehindert in alle noch so perfekt gesicherten Netzwerke einloggen kann. Die CIA-Agentin Mason und ihr Partner Nick möchten die Festplatte vom spanischen Agenten Luis übernehmen, doch bei der Übergabe in Paris, platzt die deutsche Geheimdienstlerin Marie dazwischen. Im Chaos geht die Platte an die Bösewichte, und in die Verfolgungsjagd wird noch Graciela hinein gezogen, die eigentlich nur die Psychoanalytikerin von Luis ist. Das Durcheinander der Geheimdienste kann letztendlich nur von Technikerin Khadijnh geordnet werden, und die ist vom britischen MI6.

Das THE 355 jedes Element von Handlungsverlauf und Charakterzeichnung aus den Setzkästen von Spionage-Thriller und Actionfilm zusammengesetzt wurde, ist wirklich nicht das Schlimmste an dem Film. Obwohl es immer wieder enttäuscht, weil man unablässig auf diesen einen besonderen Kniff wartet, wo sich das Vorhersehbare in eine eigenständige Idee verdreht. Das umwerfende Ensemble ist einfach zu anmutig, um selbst das Stereotyp ihrer klinischen Heldenbeschreibung besonders lästig zu empfinden. Nein, das wirklich Schlimmste an THE 355, ist die dreifache Auferstehung eines Charakters, der drei mal für den Zuschauer als tot inszeniert wurde.

Wie der Kasper aus der Kiste steht diese Filmfigur unerwartet immer wieder in der Szenerie. Bei den ersten beiden Male ist es schlichter Betrug am Zuschauer mangels inspirierter Ideen, dies wenigstens plausibel als geheimdienstliches Täuschungsmanöver auslegen zu können. Beim dritten Mal glaubt man zuerst an einen Schnittfehler, versucht dann verzweifelt hinter diesem vermeintlichen Fehler eine originelle Wendung zu finden, und bekommt dann als Zuschauer in der letzten Szene ungestraft einen kalten Waschlappen um die Ohren geschlagen. Diese letzte Szene ist angedacht als erlösender Befreiungsschlag für die heldenhaften Hauptfiguren, aber auch für die schadenfreudige Zufriedenheit des Publikums.

The 355 a - Copyright LEONINE DISTRIBUTION

Mit dieser Art von Handlungselementen funktioniert Spannungskino einfach nicht. Einen Charakter wiederholt zurück zu bringen, dabei dem Zuschauer nicht einmal das Gefühl zu geben er hätte etwas versäumt, und auch nicht zu versuchen es wenigstens rückwirkend glaubhaft zu machen, ist einfach schlampig. Und es ist ignorant, wenn man einen Film innerhalb seines Rahmens ernst nehmen soll. Und ernst nehmen könnte man ihn durchweg. Die Darstellerinnen, in erster Linie Chastain und Kruger, weisen mit massiven körperlichen und waffentechnischen Einsatz ihren männlichen Kontrahenten eindeutig die Richtung. Sie verkommen aber nicht zu den unmenschlichen Überzeichnungen, die Luc Besson in regelmäßigen Abständen für die Leinwand produziert.

Hier zeigt sich Kinbergs Stärke in der Inszenierung. Zum einen bringt er Lupita, Penéope, Bingbing, Jessica und Diane gerade in den Action-Szenen so ins Bild, dass sie immer gut als die eigenen Darsteller ihrer Figuren zu erkennen sind. Zum anderen stehen die meisten Einstellungen trotz der sehr energetischer Schnittfrequenz immer lange genug, dass alle Zweifel ausgeschlossen werden, ob man in ’solchen‘ Kleidern tatsächlich diese akrobatische Art von Kampfkunst ausüben könnte. Wenn inhaltlich schon einiges im Argen liegt, überzeugt THE 355 wenigstens mit sehr gut durchdachten, effektvoll umgesetzten und dynamischen Action-Settings die in einem stimmungsvollen Fluss inszeniert sind.

Und mit ihrer jeweils charismatischen Natürlichkeit sind auch die Interaktionen der Hauptdarstellerinnen der Geschichte entsprechend sehr launig und mit Freude zu genießen. Lediglich längst verbrauchte Klischees lassen die Damen hin und wieder stolpern. Aber das ist, wie schon ausladend behandelt, das geringste Problem mit THE 355, dem schon einmal in Andeutungen ein zweiter Teil mit auf den Weg gegeben wurde. Dann sollte aber auch das Produktionsdesign etwas in sich gehen, damit nicht wieder einige Handlungsorte in Aufbau und Lichtstimmung so identisch wirken wie hier.

The 355 b - Copyright LEONINE DISTRIBUTION

 

Darsteller: Jessica Chastain, Lupita Nyong’o, Diane Kruger, Penèlope Cruz, Fan Bingbing, Èdgar Ramirez, Jason Flemyng, Sebastian Stan u.a.
Regie: Simon Kinberg
Drehbuch: Theresa Rebeck, Simon Kinberg
Kamera: Tim Maurice-Jones
Bildschnitt: John Gilbert, Lee Smith
Musik: Junkie XL
Produktionsdesign: Simon Elliott
USA – China / 2022
124 Minuten

Bildrechte: LEONINE DISTRIBUTION
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