SPIRAL – Das Ritual

Spiral 1 - Copyright DIGITAL INTERFERENCE PICTURESSPIRAL
– Bundesstart 14.07.2022
– Kanada / 2019

Traditionsgemäß gehören in Amerika die ersten drei Monaten des Jahres dem Horrorfilm. Die Sommermonate sind dann für die kalkulierten Blockbuster reserviert. In Ermangelung derselben, wird in Deutschland tief gegraben, um das Sommerloch zu füllen. Seltsamerweise hat der Amerikaner als solcher weniger damit zu kämpfen, weil dieser gegebenenfalls einfach denselben Blockbuster zweimal schaut. Der deutsche Kinobetreiber vertraut seinem Publikum nicht, und schließt Lücken bevor sie entstehen. Zum Beispiel mit längst vergessenen Horrorfilmen, die nie oder kaum eine deutsche Verwertung erfahren hatten, aus welchen Gründen auch immer. Demnach sind diese Werke weitgehend unbekannt, und Horror geht irgendwie immer. Besonders wenn er sich intellektuell gibt, was Kurtis David Harbers Geschichte auch marktschreierisch vor sich her trägt.

Das schwule Pärchen Malik und Aaron ziehen von der Großstadt in eine ländliche Kleinstadt, um Ruhe zu finden von dem, was ihren Lebensstil kompliziert macht. Mit dabei Tochter Kayla, leibliche Tochter aus Aarons vorangegangener Heteroehe. Es ist 1996, und die Zeiten von Homophobie noch lange nicht vorbei. Allerdings schicken die Autoren Minihan und Poliquin, sowie Regisseur Harder voraus, dass die gesellschaftliche Lage heute grundsätzlich anders sein müsste. Was wesentliche Komponente ihres Filmkonzeptes ist.

Ob der Vergleich mit Jordan Peeles GET OUT irreführende Marketingstrategie ist, oder ernsthaft rezensente Bewertung, ist nur schwer zurückzuverfolgen. Gerechtfertigt ist dies allerdings nicht, auch wenn die guten Absichten erkennbar sind, und einige originelle Ideen überzeugen. Das Trauma eines homophoben Angriffs sitzt bei Malik tief, was das Landleben ebenfalls heilen sollte. Aber merkwürdige Beobachtungen und bedrohliche Vorkommnisse machen ihm zunehmend zu schaffen.

Paranoia und einhergehende Angst sind die treibenden Motive in SPIRAL. Und der Regisseur spielt ziemlich geschickt damit, weil Aaron oder Kayla von den geschilderten Ereignissen selbst nichts mitbekommen. Langsam entwickelt sich die Komponente von übernatürlichen Einflüssen, die mit Sein und Schein spielt. Der Versuch der Macher clever zu sein bleibt aber ein Versuch. Die gut gemeinte Wendung funktioniert nicht, weil sie von einer zweiten Überraschung ad absurdum geführt wird.

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Es gibt zwar Hinweise, dass Maliks Erfahrungen doch keine metaphysischen Ereignisse sein müssen, aber die Inszenierung stellt dies für den Zuschauer zuerst nicht in Aussicht. Viel zu spät offeriert der Film erzähltechnische Variationen, die zur Orientierung für den Zuschauer notwendig gewesen wären, welche er aber letztendlich selbst wieder verwirft. Die Hinführung zu einer an sich originellen Auflösung wirkt wie ein billiger Taschenspielertrick, wo eine raffiniertere Inszenierung gefragt gewesen wäre.

Rein von seiner Intention her betrachtet ist SPIRAL kein schlechter Gruselfilm. Er hat ausgezeichnete Darsteller, die fantastisch harmonieren. Selbstredend stehen dabei Jeffrey Bowyer-Chapman und Ari Cohen tragend im Vordergrund, die eine realistische Beziehung auf die Leinwand bringen. In seiner Umsetzung ist der Film allerdings ziemlich schlampig. Wie in einigen Kamerafahrten, die unheimlich lange eine intensive Spannung aufbauen, allerdings im Nichts enden, ohne Schockeffekte oder Überraschung.

Worüber Kurtis David Harpers Film aber wirklich stolpert, ist seine homosexuelle Prämisse. In der Absicht hört sich das vielversprechend an, aber die Macher gehen nicht den ganzen Weg. Während die Darsteller glaubhaft interagieren, verweigert die Inszenierung eine glaubwürdige Direktheit. Zum Beispiel werden ‚Schwuchtel‘ oder ‚Tunte‘ nicht einmal ausgesprochen, und sind auch nicht zu lesen. Bei der Möglichkeit auf Sex wird das Licht ausgemacht.

Nicht das es notwendig wäre. Grundsätzlich ist es bewundernswert, wenn es Filmen gelingt mit Andeutungen mehr auszudrücken, als mit expliziter Direktheit. Nur ist es bei SPIRAL sehr auffällig, dass er gar nicht subtil sein möchte, sondern sich regelrecht davor drückt. Immer wieder spricht der Film in Dialogen an, wie natürlich gleichgeschlechtliche Partnerschaft ist, gleichzeitig nährt sich der okkulte Zirkel im Film von der Angst vor Homosexualität.

Dennoch, oder gerade deswegen spielt SPIRAL 1996. Wie auch immer. Das führt zur grundsätzlichsten der Fragen: Warum denken die Autoren, zu jener Zeit wäre es für homosexuelle Paare in einem ländlichen Umfeld vor diskriminierenden Übergriffen sicherer als in der Großstadt? Es ist keine Erbsenzählerei. Selbst für einen billigen Horrorfilm nicht. Es betrifft die essenzielle Basis der Geschichte, und die einhergehende Rechtfertigung.

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Darsteller: Jeffrey Bowyer-Chapman, Ari Cohen, June (Jennifer) Laporte, Ty Wood, Lochlyn Munro, Chandra West u.a.
Regie: Kurtis David Harder
Drehbuch: Colin Minihan, John Poliquin
Kamera: Bradley Stuckel
Bildschnitt: Kurtis David Harder, Colin Minihan
Musik: Avery Kentis
Produktionsdesign: Matthew Carswell
87 Minuten

Bildrechte: DIGITAL INTERFERENCE PICTURES

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