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Gleich die ersten Minuten werden Cineasten und Genre-Enthusiasten in Ekstase versetzen. Zumindest hätte sich dies WEREWOLF BY NIGHT durchaus verdient. Von allen Filmen in den letzten Jahren, die versucht haben den Geist der Universal-Monster-Filme aus den Dreißigerjahren wiederzubeleben, oder sich deren unverkennbare Machart anzueignen, dieser kann es und er tut es auf überwältigende Weise. Wobei man aber anfügen muss, dass auch ein atmosphärischer Anteil von Jack Arnolds Klassikern zu spüren ist. Das Langfilmdebut von Komponist Michael Giacchino, welches streng genommen trotz nur 52 Minuten Laufzeit auch tatsächlich ein Langfilm ist, überzeugt durch exzellentes Verständnis für den Stil und die Atmosphäre einer vergangenen Kinoepoche. Die Marvel Studios wollten dringlich den ersten Horrorfilm im MCU, und vollmundig wurde DOCTOR STRANGE 2 damit propagiert. Aber hier ist er nun wirklich.
Ein Wettbewerb zwischen den fünf stärksten Monsterjägern ist ausgerufen. Nach dem Ableben des obersten Jägers, Ulysses Bloodstone, müssen die Fünf im Labyrinth-Garten von Bloodstone Manor eine Bestie erlegen. Der Wettbewerb geht um Leben und Tod, auch unter den Jägern selbst. Der Gewinner erhält den Blutstein und wird damit Anführer. Unerwartet kommt die ungeliebte Tochter des Verblichenen dazu und erhebt Anspruch auf Teilnahme am Wettbewerb. Und ein anderer Jäger scheint anderweitige Ziele zu verfolgen.
Der Titelschriftzug, die Musik, ein Sprecher, die Tonqualität, die Kameraführung, der Schnitt, das Bildmaterial. Das ist der Gänsehaut erzeugende Einstieg, und die Atmosphäre hält Michael Giacchino auch durch. Es ist definitiv sein Film, auch wenn sich der Produktionsaufwand nicht von dem eines üblichen MCU-Films unterscheidet, und unheimlich viele Menschen unheimlich viel mitzureden haben. Der Film wurde auch herkömmlich und in Farbe gedreht.
Aber es war Michael Giacchino, der eine eigene Schnittfassung in schwarzweiß fertigte, und damit Top-Dog Kevin Feige überzeugte. Inszeniert ist die Monster-Hatz ohne ein Gramm Fett, jede Szene ist auf die exakte Länge gefasst, wie es auch die einzelnen Sequenzen benötigen. Bedächtiges ist nicht zu langatmig, und dynamische Hetzjagden in ihrer Schnelligkeit nicht zu konfus inszeniert. Es gibt reichlich Zeit die Chemie zwischen den Hauptfiguren zu genießen, aber es wird nichts überstrapaziert.
Kenner des Comic-Universums von Marvel und Beobachter des Studiobetriebes wissen natürlich umgehend Bescheid. Es ist das schon lange in Planung befindliche Filmdebut von Jack Russell (was hat sich Erfinder Roy Thomas nur dabei gedacht?), der ersten Marvel-Inkarnation des Werwolf bei Nacht. Wie nicht anders zu erwarten gibt es ausgezeichnete Überraschungen, nicht nur inhaltlich und inszenatorisch, sondern auch in Form einer anderen, wohlbekannten Marvel-Figur.
Ausstattung, Beleuchtung, Set-Design sind tadellos. Die Dialoge bewahren sich den Ton jener Zeit, und verzichtet auf moderne Diktion. Dafür sind sie locker und humorvoll, ab und an mit einer Brise nicht übertriebenen Sarkasmus. Bei all der überzeugenden Liebe zum Detail muss der Erbsenzähler die Frage stellen, warum WEREWOLF im Cinemascope-Format gedreht wurde, wenn er als TV-Special sowieso durch 16:9 beschränkt ist, aber in Wirklichkeit das Academy-Format 1,33 : 1 angebracht gewesen wäre.
Es gibt einige Naheinstellungen und ein paar Weitwinkelaufnahmen die nicht in die Zeit passen, und in wenigen Sequenzen gewinnt das gebügelte Ursprungsmaterial von Digital Oberhand. Was hingegen hervorragend funktioniert ist der magische Blutstein, das einzige Objekt das mit Rot farbig dargestellt ist. Die überzeichneten Lichteinstreuer, neudeutsch auch als Lens Flare verschrieen, die der Blutstein verursacht, geben ihm eine wunderbar übernatürliche Präsenz. Anzunehmen, dass Giacchino durch die häufige Arbeit mit Mister Lens Flar himself, J.J. Abrams, dazu inspiriert wurde.
Bei aller Liebe und Begeisterung muss aber auch eingestanden werden, dass sich gerade bei einem jungen Publikum die Sinnhaftigkeit von altgetrimmten Schwarzweißmaterial verständlicherweise weniger erschließt. Die obsessive Verklärungen der vergangenen Epochen ist eben ein Ding von Filmenthusiasten, wie eben der hier schreibende Verfasser. Aber grundsätzlich ist Michael Giacchino etwas gelungen, wovon die Macher des Marvel Cinematic Universe immer nur gesprochen haben, um dann doch wieder die bewährten Wege zu gehen.
Was entfällt, sind langwierige oder auch unzureichende Einführungen von Charakteren. Das gesamte TV-Special ist als solches ausgelegt, bleibt aber dennoch konsequent seiner Geschichte verschrieben. Dafür das diese hier präsentierten Figuren schon längere Zeit für die Kinofilmreihe in Betracht gezogen wurden, ist WEREWOLF BY NIGHT der perfekte Einstieg. Er ist außergewöhnlich, originell, und endlich der Horror, der so lange versprochen wurde. Und die letzte Sequenz, bei dem man den Rezensenten dann bei einer nicht unwichtigen Auslassung im oberen Text erwischen wird, zeigt eine weitere Möglichkeit auf, wie WEREWOLF BY NIGHT wünschenswerterweise seine ganz eigene Form und Atmosphäre bewahren könnte. Die Auslassung wird auf Verständnis stoßen, wenn man im Film schließlich angenehm davon überrascht wird.
Darsteller: Gael Garcia Bernal, Laura Donelly, Herriet Sansom Harris, Kirk R. Thatcher, Eugenie Bondurant, Leonardo Nam, Daniel J. Watts und Carey Jones u.a.
Regie & Musik: Michael Giacchino
Drehbuch: Heather Quinn, Peter Cameron
nach den Comics von Gerry Conway, Michael G Ploog, Roy Thomas, Jean Thomas
Kamera: Zoë White
Bildschnitt: Jeffrey Ford
Produktionsdesign: Maya Shimoguchi
USA / 2022
52 Minuten