SLOW HORSES

Slow Horses - Copyright APPLE TV+– ab 01.04.2022 bei APPLE TV+

Am Anfang steht der junge Agent River Cartwright, in einer Action-Sequenz, die in Aufwand, Dynamik und Kontinuität für eine Fernsehserie extrem ungewöhnlich ist. Derartige logistische Spektakel kann die Serie natürlich nicht beliebig wiederholen, aber dieser Anfang setzt ein Zeichen, dass man von SLOW HORSES einiges erwarten kann.
Zum Beispiel, dass Agent Cartwright nach dem fulminanten Einstand in das dunkelste Loch versetzt wird, dass eine öffentliche Behörde überhaupt haben kann. Wegen seiner exponierten Lage nennt man den britischen Geheimdienst MI5 auch ‚The Park‘, seine Außenstelle für in Ungnade gefallene Mitarbeiter heißt ‚Slogh House‘. Cartwright bildet sich ein, nicht ins ‚Dreckloch‘ zu gehören und glaubt an die Möglichkeit einer Rehabilitation. Das sieht Dienststellenleiter Jackson Lamp anders, dem sein Arbeitgeber und vor allem seine Untergebenen vollkommen am XXX vorbeigehen.


SLOW HORSES ist gemein, brutal, unsensibel, satirisch, schwarzhumorig und ungemein spannend. Es ist ein sehr raffiniertes Gesamtkonzept. Zum Beispiel gibt es für die jungen Zuschauer mit Jack Lowden und Olivia Cooke Identifikationsfiguren, sowie Augenfutter, und die älteren Semester bekommen Gary Oldman und Kristin Scott Thomas. Die Ersteren überzeugen mit leichter Hand das ältere Publikum, und die Letzteren dürfen einfach nur sie selbst sein, womit sie jedermann(frau) im Griff haben.

Aber diese Vier allein bedeuten nicht ansatzweise, was SLOW HORSES tatsächlich so stark macht. Jeder einzelnen Figur im Slough House wird eine bedeutsame Rolle zugeschrieben. Nicht einer dieser Charakteren wird in den Drehbüchern und von der Regie vernachlässigt. Noch viel wichtiger, sie sind allesamt Menschen mit sehr eigenständigen und glaubwürdigen Wesenszügen. Die Autoren haben in dieser Beziehung extrem sensibel geschrieben. Aber nur in Gemeinschaft ist es ihnen möglich, den gegebenen Fall zu lösen.

Das ist gar nicht so einfach, weil das Dreckloch nicht vorgesehen ist irgendetwas Sinnvolles für den MI5 zu tun. Im Park gibt man sich auch größte Mühe sachdienliches von den Slow Horses zu ignorieren. Auch das mit der Gemeinschaft ist so eine Sache, weil eigentlich keiner etwas mit dem anderen zu tun haben will. Warum die einzelnen Personen ins Dreckloch Slough House strafversetzt wurden ist eigentlich streng geheim, glaubt jeder von sich. In Wirklichkeit weiß der eine vom anderen, nur wird nicht darüber geredet. Es sei denn, es wird gelästert.

Mittelpunkt ist selbstredend Gary Oldmans Jackson Lamp, der am Schreibtisch säuft wie ein Loch, heruntergekommen ist wie frisch unter der Brücke, und der auch die Qualität seines Leibeswindes kommentiert, wenn ihm gerade vor Frauen mal wieder einer entweicht. Seiner Verachtung gegenüber seinen Mitarbeiter lässt er freien Lauf. Die Serienmacher haben aber keine stupiden Proll geschaffen, sondern dem Zuschauer offenbart sich nach und nach eine sehr komplexe Persönlichkeit.

Slow Horses 1 - Copyright APPLE TV+

 

Eine Gruppe Rechtsradikaler entführt einen pakistanischen Studenten, und möchte ihn nach Art des eingebildeten Feindes am nächsten Morgen öffentlich hinrichten. Gleichzeitig versucht Cartwright herauszufinden, warum The Park an einem Investigativjournalisten interessiert ist. Die Serie hält das Szenario sehr realistisch, weil einen wesentlichen Bestandteil davon die Arroganz von The Park ausmacht. Falsche Dienstwege oder Befehlsverweigerung werden raffiniert ausgenutzt, weil sie von der anderen Seite ignoriert werden.

Die eigentliche Story nimmt sich ziemlich gewöhnlich aus. Und das ist womit SLOW HORSES ziemlich genial spielt. Die Erwartungshaltung des Zuschauers, und die Vorhersehbarkeit der Geschichte. Immer wenn die Handlung bekannte Spannungselemente aufbaut, setzt die Geschichte eine unerwartete Überraschung dagegen. Immer wenn die Zuschauer glauben den Verlauf zu erahnen, entwickelt sich etwas ganz anderes. Die Serie ist ein ständiger Fluss an geforderter Aufmerksamkeit.

Das funktioniert alles so ausgezeichnet, weil auch die Figuren der kriminellen Gegenseite so hervorragend, mit verblüffender Vielschichtigkeit gezeichnet sind. Immer wenn man ein Charakter-Klischee durchschaut hat, wechseln diese unvermittelt die Richtung. Das führt zu Überraschungen, zu sehr vielen Überraschungen. Nicht nur im Handlungsverlauf, sondern wesentlicher in den Charakterentwicklungen. Das muss nicht immer gut enden, und geht auch manchmal gegen den Strich der Zuschauer.

SLOW HORSES ist eine der Serien, bei der jeder nach der ersten Episode sagen kann, ob sie weiter gesehen werden soll, oder nicht. Und auf dieses Gefühl kann man sich dann auch verlassen, ähnlich MAD MEN oder BREAKING BAD. Bitterböse, ein klein wenig zynisch, manchmal irre komisch, und dann wieder gesellschaftlich reflektierend. Aber nie unglaubwürdig. Dafür durchweg spannend, mit einer realistischen Atmosphäre.

Wer Blut geleckt haben sollte, kann sich beruhigen. Obwohl noch nicht beworben, ist Staffel Zwei bereits abgedreht, allerdings noch ohne Starttermin. Obwohl Apple TV+ noch einem ernsthaft konkurrenzfähigen Ausstoß an Produkten stark hinterher hinkt, ist SLOW HORSES ein weiterer perfekt gebrannter Ziegelstein für ein sehr solides Haus. TED LASSO, oder Jon Stewart, Kidmans ROAR, und Hanks in FINCH, etc. Ihre Qualität macht diese Streaming-Plattform mittlerweile extrem gefährlich für die Mitbewerber.

Slow Horses 2 - Copyright APPLE TV+

 

Darsteller: Jack Lowden, Gary Oldman, Kristin Scott, Thomas, Saskia Reeves, Rosalind Eleazar, Dustin Demri-Burns, Christopher Chung, Olivia Cooke, Antonia Aakel, Paul Hilton u.a.
Regie: James Hawes
Drehbuch: Morwenna Banks, Mark Denton, Will Smith, Jonny Stockwood
nach dem Roman von Mick Herron
Kamera: Danny Cohen
Musik: Daniel Pemberton, Toydrum
Produktionsdesign: Tom Burton
Großbritannien – USA / 2022
6 Episoden
280 Minuten

Bildrechte: APPLE TV+
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