Beitrag des Fantasy Filmfest 2022
CERDITA
– Bundesstart
27.10.2022
Das Anliegen von Autorenfilmerin Carlota Pereda ist alles andere als subtil. Ob sie einst selbst den thematisierten Anfeindungen ausgesetzt war, oder zu den Täterinnen gehörte, lässt die Spanierin außen vor. Das reduziert aber nicht ihre Aussage, dass es als Teenager wirklich angsteinflößend sein kann. Egal von welcher Seite aus man es betrachtet. Pereda versetzt uns in die Opferrolle, in die der übergewichtigen Sara, die mit ihrer Familie in einem kleinen Kaff irgendwo in der Prärie von Spanien wohnt. Und das Landleben macht Saras Situation nicht einfacher, wo jeder jeden kennt, und wo jeder dem anderen geradeheraus sagt was durch den Kopf geht. Gerade deswegen nimmt man auch nichts so schnell für übel. Und wenn Sara von den gleichaltrigen Jugendlichen Schweinchen genannt wird, darf sie eben nicht so wehleidig sein. Für das Publikum des Fantasy Filmfest, dass so einige harte Sachen erleben musste, war PIGGY in diesem Jahr einer der zweifellos unangenehmsten Filme.
Als ob es inhaltlich nicht schon genug wäre, zwängt Peredas Kameramann Oliver Arson alles ins bildliche 1,33:1 Format. Das ist subtil, hat aber auch etwas bösartiges, weil in einigen Aufnahmen die Kadrierung der Einstellung den unterschwelligen Anschein erweckt, Laura Galán als Sara würde tatsächlich das Bild ausfüllen. Grundsätzlich ist die Arbeit von Oliver Arson ausschlaggebend für die stets angespannte Atmosphäre des Films. Die anfänglich leicht überbelichtete Szenerie verstärkt das Gefühl des unbarmherzig heißen Sommers, der gleichsam für Saras Innenleben steht.
Erst wenn Sara aus ihrer ebenso unbarmherzigen Situation auszubrechen versucht, werden auch die Handlungsorte sinnbildlich düsterer. Carlota Pereda lässt aber niemals zu, den Körper von Sara, sprich Laura Galán in irgendeiner Weise zur Schau zu stellen. Aber die Regisseurin hat ein Anliegen, und um das voranzubringen muss Sara auf andere Weise hässlich sein, als über ihre Körperlichkeit. Denn die Grenze der Akzeptanz von Seiten des Publikums wäre sonst sehr schnell überschritten.
Sara ist einfach eine unangenehme Person. Sie redet nicht, kaut ständig auf ihren eigenen Haaren herum, und wenn sie aus Frust ein Schokotörtchen in sich hineinstopft, ist das unansehnlich. Es rechtfertigt nicht die Grausamkeiten ihrer ehemaligen Mitschüler- und Freundinnen. Oder die quälenden Tiraden ihrer Mutter, die Teilnahmslosigkeit des Vaters, oder das ignorante Umfeld. Aber Saras Erscheinung jenseits ihrer Körperfülle, ist ein Ausgleich mit dem die Zuschauenden emotional arbeiten müssen.
Mit dem perfekt nach Typus besetzten Ensemble, ist es sehr leicht, sofort in die abweisende Atmosphäre von Saras Leben gezogen zu werden. Laura Galán arbeitet merklich hart daran, nicht in die erwartete Rolle des von Selbstbewusstsein erstarkten Mädchens zu fallen. Was Sara zu einer schmerzhaft realen Figur macht. Und auch wenn sich Aguilar, Salas und Ferreiro als niederträchtige Teenager alle Mühe geben, niemand ist so hassenswert wie Carmen Machi als unentwegt unzufriedene und eifernde Mutter.
Brian De Palma hätte diesen Film gemocht, der selbst immer die charakterlichen Werte seiner Hauptpersonen verschwimmen ließ, und nicht nach der dramaturgischen Logik, sondern menschlichen Schwäche fragte. So schraubt auch Carlota Pereda das Vordergründige nach unten. In der zweiten Hälfte tritt der Film allerdings merklich auf der Stelle, und Kenner könnten sich einreden, dass die Filmemacherin ein wenig überfordert war, ihren vier Jahre vorher gedrehten Kurzfilm gleichen Titels auf Spielfilmlänge zu bringen.
Sara wird von einem mysteriösen Fremden immer wieder aus ihrer brutalen Routine von psychischem und physischem Terror gerissen. Was einige szenische Wiederholungen mitbringt. Da kommt die spektakuläre, sehr blutige Auflösung dann fast schon wieder überraschend, weil der Ton plötzlich eine unerwartete Wendung nimmt. Für den Zuschauern eröffnet sich eine weitere Ebene der Herausforderung, weil der Showdown in seiner expliziten Brutalität noch einmal alle moralischen Ansprüche und Werte ins Wanken bringt. Horror hat viele Gesichter, und PIGGY hat ein sehr unangenehmes Gesicht.
Darsteller: Laura Galán, Carmen Machi, Claudia Salas, Pilar Castro, Fred Tatien, Irene Ferreiro, Camille Aguilar, José Pastor u.a.
Regie & Drehbuch: Carlota Pereda
Kamera: Rita Noriega
Bildschnitt: David Pelegrin
Musik: Oliver Arson
Produktionsdesign: Óscar Sempere
Spanien / 2022
99 Minuten