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Auch mit bestem Willen kommt einer nicht umhin, bei der Prämisse von NO EXIT unweigerlich an James Mangolds Thriller IDENTITY von 2003 zu denken. Und Vergleiche werden nicht ausbleiben, die dann ganz eindeutig ausfallen. Wegen einer gesperrten Passstraße müssen fünf Menschen im Besucherzentrum eines Nationalparks das Ende eines Schneesturms abwarten. Darby ist eine von ihnen, die aus einer geschlossenen Reha-Klinik ausgebrochen ist, um ein letztes Mal ihre todkranke Mutter zu sehen. Die Fünf bilden, und das dürfte nicht überraschen, einen guten Querschnitt unterschiedlichster Charaktere. Der Sturm verhindert jede Netz-Verbindung, was Darby nicht abhält dennoch auf dem Parkplatz ihr Glück zu versuchen. Dabei entdeckt sie in einem verschlossenen Lieferwagen ein gefesselt und geknebeltes Mädchen. Ohne Verdacht zu erregen, versucht Darby bei einem zeitvertreibenden Kartenspiel herauszufinden, wer ein Verbündeter sein könnte.
Der zweite Langfilm von Regisseur Damian Power besteht nur aus selbstentlarvenden Elementen. Was man zu sehen bekommt ist auch für den Rest des Films gesetzt. Postitiv fällt da zuerst Simon Rabys Bildgestaltung auf. In einem ungewöhnlichen, aber sehr effektiven Überflug können wir Darbys Auto beobachten, wie es aus dem normalen Verkehr ausschert und sich Richtung Hinterland bewegt. Das beeindruckt, wiederholt sich aber als Einstellung. Diese Wiederholung zählt allerdings nicht zu den Problemen, mit denen NO EXIT kämpfen wird.
Die Nachtaufnahmen sind beeindruckend, und die eigentliche Handlung spielt ausschließlich Nachts. Mit herausragenden Kontrasteinstellungen, verlieren sich auch bei unbeleuchteten Settings keine Details. Für den Zuschauer bleibt alles sicht- und nachvollziehbar, auch wenn der Eindruck einer fehlenden Lichtquelle erweckt werden soll. Aber gleichzeitig nutzt Simon Raby seine Konzept der Kontrastierung auch für effektive Silhouetten- und Schattenaufnahmen.
Viel mehr Gutes kann Damian Powers seinem Film dann auch nicht mehr abringen. Szenen im Einzelnen kann er sehr gut inszenieren. Figuren beobachten und Spannung aufbauen. Aber nichts geht davon zusammen, weil die komplette Geschichte durchsetzt ist mit absurden Zufällen und haarsträubenden Unwahrscheinlichkeiten. Darby findet heraus, wer der Fahrer des Lieferwagens ist. Aber damit gehen auch einige Wendungen einher, die kein bisschen überraschen können. Ausverkauf im Laden für Thriller-Klischees.
Das Versagen der angedachten Thriller-Momente hat aber auch mit dem Casting zu tun, wo jede Rolle exakt mit dem Typus besetzt wurde, der von der äußeren Erscheinung her passt. Und sie spielen auch noch genau nach diesem Rollenklischee. Darby ist als Junkie auf Entzug mit jeder Faser das Abbild eines Junkies auf Entzug, da gibt es keine ablenkenden Charaktereigenschaften. Und wenn sich der gutaussehende Danny Ramirez als eloquenter und nahbarer Ash vorstellt, muss kein Genre-Freund mehr rätseln.
Lediglich bei Dennis Haysbert hegt man im Verlauf immer noch die Hoffnung, dass er als Ex-Marine und nun abhängiger Spieler Ed, dem Narrativ eine Überraschung bereitet. Aber NO EXIT verlässt sich wunderlicher Weise lieber auf seine erzählerischen Unzulänglichkeiten. Da erklärt sich der Böse in epischer Länge, bis dem Guten genug Zeit verschafft wurde zu reagieren. Die Figuren handeln nie aus ihrem Charakter heraus, sondern nur nach den Bedürfnissen des sogenannten Spannungsaufbaus.
Im dritten Akt bricht der Film dann auch noch aus seiner Erzählstruktur aus, was einem vermeintlichen Fluss vollkommen unterbricht, keinen Sinn ergibt, und grundsätzlich unnötig ist. Als Regisseur hätte Damian Power dies in der Nachbearbeitung sehr leicht ändern können. Was hingegen das Autorenduo Barrer und Ferrari auch nicht verleugnen kann, ist eine unverhohlene Vorliebe für LETHAL WEAPON. Anders ist der exzessive Gebrauch einer Luftdruck-Nagelmaschine nicht zu erklären.
NO EXIT ist kein guter Film. Er ist ein guter Zeitvertreib für den Fernsehabend, weil das Streaming-Abo ohnehin bezahlt ist. Für Cineasten und Thriller-Fans ist er vielleicht noch Rätselspaß, was genau anders gemacht werden müsste, damit der Film in beabsichtigter Form funktionieren würde. Schade um die ungenutzten Talente und der verschenkten Leistung von Simon Raby.
Darsteller: Havana Rose Liu, Danny Ramirez, David Rysdahl, Dale Dickey, Mila Harris und Dennis Haysbert u.a.
Regie: Damian Power
Drehbuch: Andrew Barrer, Gabriel Ferrari
Kamera: Simon Raby
Bildschnitt: Andy Canny
Musik: Marco Beltrami, Miles Hankins
Produktionsdesign: Gary Mackay
USA / 2022
95 Minuten