NIGHTMARE ALLEY

NightMare Alley - Copyright DISNEY ENTERTAINMENT– Bundesstart 20.01.2022

Eigentlich müsste Stanton Carlisle in einer Reihe stehen mit Tom Joad oder Atticus Finch. Figuren die den Geist eines gelobten Landes nicht in Frage stellen, aber sein unbarmherziges Wesen. Später werden Literaten wie Toni Morrison oder Cormac McCarthy ein dysfunktionales Amerika in die Moderne schreiben, und damit aufzeigen, dass Tom Joad oder Atticus Finch ihre Gültigkeit bewahrt haben. So wie auch Stanton Carlisle, der von William Lindsay Gresham auf den Weg geschickt wurde, um in die Abgründe von Gottes eigenem Land zu blicken. Woher er kommt, ist ungewiss. Was Stanton getan hat, lässt sich nur erahnen. Während der großen Depression findet er Arbeit bei einem heruntergekommen Jahrmarkt, erfährt die Tricks verschiedener Darbietungen, und lernt die Mechanismen der Geek-Show. Verwahrloste Säufer die sich für eine tägliche Ration Schnaps als absonderliche Kreaturen einem geifernden Publikum präsentieren lassen, und zur Befriedigung der Sensationsgier zum Beispiel einem lebenden Huhn den Kopf abbeißen.

Wenn Guillermo del Toro seine Interpretation von Horror auf die Leinwand bringt, wirkt das Übernatürliche dabei stets wie ein Katalysator. Der unangenehme, realistische Bezug der Geschichte zur Wirklichkeit kann damit vom Zuschauenden ausgeblendet werden. Kann, gelingt aber nur selten. Del Toro macht Filme über Menschen, und das in unterschiedlichsten Umfeldern. Selbst eine explizite Geisterhaus-Erzählung wie CRIMSON PEAK gewinnt bei dem Filmemacher ihre gruselige Atmosphäre durch widerspruchsfreie Charakterzeichnungen.

Durch das Hellseher-Gespann Zeena und Pete findet Stanton seine Berufung in der trickreichen Wahrsagerei. Schließlich zieht es ihn mit der Künstlerin Molly von der traurigen Mittellosigkeit des Jahrmarkts in das glamouröse Leben der Großstadt. In der dekadenten Oberschicht steigt Stanton mit nur wenigen Auftritten Dank seiner erlernten Fähigkeiten zur übersinnlichen Attraktion und einem bewunderten Medium auf. Und dann tritt die Psychotheraputin Lilith Ritter in sein Leben, die mit dem Wissen über ihre reichen Patienten einen besonderen Plan verfolgt.

Ist der Film Noir bevorzugt im Krimi angesiedelt, zeigt sich Novel Noir etwas spielerischer in seinen Settings. Gresham hat in seinem Roman sehr viel einfließen lassen, was keiner Zuordnung bedarf. Seine direkt und ungeschönt erzählte Geschichte ist schlicht eine Reflexion über die Große Depression im allgemeinen, herunter gebrochen auf die Figur Stanton Carlisle. Guillermo del Toro, der die Adaption mit Kim Morgan verfasste, nutzt die vielen Aspekte sehr eindringlich, aber auch sehr ausführlich.

NightMare Alley 2 - Copyright DISNEY ENTERTAINMENT

NIGHTMARE ALLEY ist lang, manche werden sagen zu lang, aber er ist niemals langweilig. Das liegt in weiten Teilen an der ausgefeilten Bildgestaltung von Dan Laustsen, der das überwältigende Set-Design und die greifbare Ausstattung von Brandt Gordon und Shane Vieau unter der Führung von Tamara Deverell absolut beherrscht. Das ungute Gefühl welches mit der Atmosphäre einhergeht, erzeugt genau das, was man bei del Toro als Horror definieren könnte. Ein stete Anspannung die aus den Bildern entsteht. Die schmutzigen Grüntöne und finstere Goldfärbungen sind nicht subtil, sondern beseelte Aussagen in ihrer eigenen Form.

Das sich del Toro soviel Zeit nimmt, kommt den Figuren nur entgegen. Er überhastet nicht, und gibt sehr viel Raum, um die Geschehnisse und die Motivation der Figuren immer plausibel und nachvollziehbar zu machen. Und vor allem wird der Zuschauer ein Teil der Erzählung, weil genau verfolgen kann wie Stanton Carlisle einem unverrückbaren Abgrund entgegen strebt. Natürlich überschreitet Stanton die Grenzen, welche ihm für seine betrügerischen Prophezeiungen auferlegt wurden. Wegen der für ihn entgegengebrachten Bewunderung, fühlt er sich erhaben, wohingegen seine ehemaligen Jahrmarktskollegen mit Demut ihr Schicksal richtig einzuordnen wussten.

In einem ungewöhnlichen Gewand, optisch und atmosphärisch, erzählt Guillermo del Toro ein große amerikanische Tragödie. Wenngleich man NIGHTMARE ALLEY auch ganz einfach als originellen Thriller betrachten kann. Aber dazu wäre er einfach zu schade. Der Film fordert zu einer genauen Betrachtung heraus. Letztendlich schuldet man das schon dem überwältigenden Ensemble.

Man muss sehr weit zurück blicken, um wie hier einen Film zu finden, in dem jeder einzelne Schauspieler einfach perfekt seine Rolle ausfüllt, wo keiner übertreibt und niemand überflüssig scheint. Alle Figuren greifen stimmig ineinander und sind in sich selbst schlüssig. Und das ist wahrlich auf Höhe von Tom Joad und Atticus Finch.

NightMare Alley 1 - Copyright DISNEY ENTERTAINMENT

 

Darsteller: Bradley Cooper, Cate Blanchett, Toni Collette, Rooney Mara, Willem Dafoe, Richard Jenkins, Mary Steenburgen, David Strathairn, Ron Perlman u.a.
Regie: Guillermo del Toro
Drehbuch: Guillermo del Toro, Kim Morgan
nach dem Roman von William Lindsay Gresham
Kamera: Dan Laustsen
Bildschnitt: Cam McLauchlin
Musik: Nathan Johnson
Produktionsdesign: Tamara Deverell
USA – Mexiko / 2021
150 Minuten

Bildrechte: DISNEY ENTERTAINMENT
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