– Bundesstart 31.03.2022
Mundpropaganda ist meist schneller als die Wirklichkeit. Deswegen muss sollte man fairerweise ein großes ‚Nein‘ vorweg schreiben, und sagen dass MORBIUS alles andere als ein schlechter Film ist. Startverschiebungen, Nachdrehs, Testvorführungen, Nachbearbeitung. Bei unsachlichen Halbwissenden sind das alles Indikatoren für einen schlechten Film. Der vertraute Kinofan erkennt darin eine sachgemäße Auseinandersetzung für eine qualitative Verbesserung. Bei vielen Filmen, die Nachdrehs und Nachbearbeitung vor dem Start erfuhren, war es zum Besten. Und bei den meisten hat ein Außenstehender nicht einmal davon erfahren. Was also ‚eventuell‘ gewesen sein soll ist kein Argument. Das MORBIUS nicht die ohnehin viel zu hoch gesteckten Erwartungen erfüllt, liegt an vielen kleinen Einzelheiten. Die machen den Film aber keineswegs schlecht.
Anfangs versucht das Buch noch durch zeitliche Vor- und Rücksprünge die Geschichte etwas zu verschachteln. Erst in Costa Rica, wo sich der durch eine Blutkrankheit stark eingeschränkte Dr. Michael Morbius auf die Jagd noch Vampir-Fledermäusen macht. Dann in der Zeit zurück nach Griechenland, wo Morbius bereits als Jugendlicher wegen seiner körperlichen Einschränkung ans Krankenbett gebunden ist. Im Bett nebenan der gleichaltrige Milo mit der selben Blutkrankheit. Sie werden beste Freunde. Sprung nach vorne, zeitlich nach Costa Rica. Als Doktor und Forscher hat Morbius synthetisches Blut entwickelt.
Die erste halbe Stunde erzählt sich als herkömmliche Entwicklungsgeschichte. Hintergründe, Beziehungen, Motivationen, Weiterentwicklung. Regisseur Daniel Espinosa inszeniert zügig, aber nicht originell. Wirklich auffallend ist hier nur das stark Computer unterstützte Set in Costa Rica. Mit viel gutem Willen, kann man dies später als beabsichtigtes Zugeständnis werten, um optisch eine gewisse Künstlichkeit zu demonstrieren, mit der schon Horrorfilme in den 50ern unfreiwillig ihre exotischen Settings als Kulissen entlarvten.
MORBIUS schlägt genau diese Richtung ein. Der besessene Wissenschaftler, der selbstzerstörerisch sein Ziel erreichen will. Es ist eine abgewandelte Variante von ‚Dr. Jekyll und Mr. Hyde‘, in einer Mixtur vieler vorangegangener Horror- und Gruselstreifen um den verrückten Professor, der zu seinem eigenen ärgsten Feind wird. Wo sich auch immer eine moralische Konfrontation aufbaut. Auch wenn sich die Autoren Matt Sazama und Burk Sharpless an unzähligen Handlungselementen und Versatzstücken aus dem fantastischen Kino längst vergangener Zeit bedienen, kreiert Regisseur Espinosa nicht die entsprechende und angemessene Atmosphäre.
Eine radikalere atmosphärische Ausrichtung hätte MORBIUS noch viel weiter vom Mainstream der gewohnten Comic-Verfilmungen entfernt, aber er hätte tatsächlich etwas ganz eigenes geschaffen. So wirkt es nur halbherzig, manchmal unfreiwillig komisch, und einfach nicht stimmig, weil Espinosa seinen Film trotz allem unentwegt modern erscheinen lassen will. Das beißt sich mit dem sehr einfach und absehbar gehaltenen Handlungsaufbau. Das was der Zuschauer als Ehrerbietung glaubt erkannt zu haben, relativiert sich bis zum Ende hin immer mehr.
Die Entwicklung des synthetischen Blutes hilft Dr. Morbius bei seiner eigenen Beeinträchtigung allerdings wenig, bis gar nicht. Aber weitere Experimente mit DNA von Vampir-Fledermäusen erscheinen vielversprechend. In einem geheimen Labor an Bord eines Schiffes auf hoher See, beginnt Morbius mit Selbstversuchen. Finanziert wird die Forschung von Jugendfreund Milo, der zu Geld gekommen ist, aber bald sterben wird, wenn die Blutkrankheit nicht bald geheilt werden kann.
Es hat schon sehr viel nostalgisches, wenn Morbius unter den gestrengen Augen seiner Assistentin, in nur wenigen Minuten seine Experimente aufbaut, auswertet und sofort im Versuch umsetzt, der augenblicklich anschlägt. Es ist natürlich nur ein Film, dafür aber schon liebevoll naiv. Weniger liebevoll ist allerdings das Forschungsergebnis, wenn Morbius in spontaner Transformation zum blutsaugenden Monster mutiert. Im beruhigten Zustand kann Morbius die Veränderung kontrollieren, aber wehe wenn er gereizt wird. Die am Computer generierten Wandlungen von Mensch zu Vampir-Fratze, die in einigen Szenen sogar nur blitzartig zu sehen sind, überzeugen und sind sehr effektiv eingesetzt.
Weniger überzeugend sind Morbius‘ und später auch Milos künstlich erzeugten Bewegungsabläufe als Vampire. Aber Espinosa inszenierte die wenigen Action-Sequenzen ohnehin viel zu hektisch und unübersichtlich. Und überraschend unspektakulär. Auch wenn der Film düster gestaltet ist, atmosphärisch wie optisch, lässt er einen zu erwartenden Gruselfaktor vermissen, was der Vampir-Thematik angemessen wäre. Selbst die Hommage an NOSFERATU mit dem im Hafen einlaufenden, führungslosen Geisterschiff, wird durch die allzu plumpe Namensgebung etwas getrübt.
MORBIUS ist zügig inszeniert und hat keine unnötigen Längen. Auch handwerklich präsentiert der Film tadellose Leistungen, wo aber auch die Darsteller nicht hinten anstehen. Anzumerken wäre vielleicht das Fehlen einer tieferen Auseinandersetzung mit den moralischen und ethischen Fragen, welche die Thematik mitbringt und den Film inhaltlich immens aufgewertet hätte. All die positiven und weniger guten Betrachtungen täuschen aber nicht darüber hinweg, dass dieser Film nicht wirklich seiner Bestimmung nachgeht.
Dr. Michael Morbius ist zweifelsfrei ein Charakter des gezeichneten Marvel-Universums. Und ebenso unumstritten war MORBIUS für Sonys SPIDER-MAN-Reihe konzipiert. Die wirklich spärlichen Hinweise darauf muss interessierter Zuschauer selbst erfahren. VENOM und sein zweiter Teil integrierten sich in ähnlich kryptischer Form in das von Marvel ausgekoppelte Schurken-Universum, das Sony aufbauen möchte. Aber diese Filme waren dafür wesentlich eigenständiger umgesetzt, um alleine bestehen zu können. MORBIUS ist ein sehr unterhaltsamer Film ohne Längen, der wirklich solide inszeniert wurde. Doch er setzt keine ’nerd’igen Bezüge um Fan-Herzen in Begeisterung zu versetzen, genauso wenig wie es im gelingt ein unverwechselbares Profil mit eigenständiger Atmosphäre aufzubauen. Letztendlich macht ihn das am Ende belanglos.
Darsteller: Jared Leto, Adria Arjona, Jared Harris, Matt Smith, Tyrese Gibson, Al Madrigal, Bentley Kalu, Corey Johnson u.a.
Regie: Daniel Espinosa
Drehbuch: Matt Sazama, Burk Sharpless
Kamera: Oliver Wood
Bildschnitt: Pietro Scalia
Musik: Jon Ekstrand
Produktionsdesign: Stefania Cella
USA / 2022
104 Minuten