– Bundesstart 16.06.2022
Andy ist heute 33 Jahr alt, und es wäre interessant wie er LIGHTYEAR in Retrospektive sehen und empfinden würde. Im Jahr 1995 wurde es sein absoluter Lieblingsfilm, in einem Alter wo manche Szenen im Film vielleicht etwas fragwürdig scheinen. Meist sind es Verständnisprobleme, wie eine spezielle Kindermatinee offenlegt. Da versuchen dann Väter vergeblich bemüht leise zu reden, und ebenso vergeblich zu erklären, warum Buzz Lightyear nach jedem Raumschiffflug um die Sonne gleich alt bleibt, aber seine Freund auf dem Planeten immer älter werden. Als Rezensent erfährt man bei einer solchen Matinee aber auch sehr gut die direkten Reaktionen, die der Film bei seinem Zielpublikum auslöst. Und so wird auch unmissverständlich deutlich, wer der eigentliche Star in LIGHTYEAR ist, und bald selbst als Spielzeug die Kinderzimmer erobert. Heute, an dieser Stelle werden wir Andys Meinung leider nicht vernehmen, jenem Jungen aus dem Film TOY STORY, der zu seinem sechsten Geburtstag eine Buzz Lightyear Action Figur geschenkt bekommt.
Bei einem riskanten, aber notwendigen Flugmanöver muss Space Ranger Buzz Lightyear vom Sternenkommando eine Siedlungsschiff auf dem Planeten T’Kani notlanden. Nach einem Jahr haben die gestrandeten Wissenschaftler einen künstlichen Treibstoff entwickelt, der das große Schiff wieder von T’Kani wegbringen soll. Aber um die richtige Zusammensetzung des Treibstoffs zu finden, muss Lightyear immer und immer wieder zu Testflügen starten.
Mit 25 Filmen haben sich Pixar-Animation selbst einen Standard gesetzt, der auch in LIGHTYEAR in vollem Umfang zu sehen und erleben ist. Bildgestaltung und Schnitt, Beleuchtung und Tondesign sind makellos, und würde als Lehrstück so mancher Live-Action-Großproduktion wirklich gut tun. Wobei es noch immer etwas bei den Gehbewegungen hakt. Beim Laufen und Rennen entlarvt sich noch immer die Animationsfigur, was aber im Gesamtkunstwerk Animationsfilm besonders bei Pixar eigentlich kaum ins Gewicht fällt.
Allerdings sieht es da im Bereich Story und Story-Entwicklung etwas anders aus. (An alle Stammtisch-Dampfplauderer: Es hat NICHTS mit Disney zu tun) Da zeigte sich die Marke Pixar bei einigen der jüngsten Filme etwas weniger originell und kaum überraschend. ONWARD, LUCA und ROT gaben sich sehr ambitioniert, scheiterten aber am eigentlichen Gütesiegel. Kinder und Erwachsene auf ein Level zu bringen, und alles innerhalb der Geschichte schlüssig gestalten.
Wenn die Mannschaft des abgestürzten Raumschiffs innerhalb eines einzigen Jahres eine ganze Siedlung inklusive Entwicklungslabor und Startrampen für Raumgleiter baut, dann ist das definitiv nicht schlüssig. Durch die Zeitdilatation im relativen Raum, vergehen bei jedem Testflug für Buzz nur einige Minuten, auf der Planetenoberfläche allerdings Jahre. Der beharrliche Buzz sieht dabei seine Vorgesetzte und gleichsam beste Freundin Alisha Hawthorne immer älter werden. Bis er schließlich neben ihrer erwachsenen Enkeltochter Izzy kämpfen muss.
LIGHTYEAR kann keine Brücke zu TOY STORY und seinen Figuren schlagen, matephysisch ist dieser Film schließlich nur ein Fantasieprodukt in der realen Welt der Spielzeuge Woody und Buzz. So reflektieren die Macher sehr raffiniert das allgemeine Science-Fiction-Kulturgut, aber sehr stilvoll und als richtigen Spaß für Nerds. Die Kleinen bleiben da Außen vor. Optisch gibt es Erinnerungen an KRIEG DER STERNE, inhaltlich können die Schreiber INTERSTELLAR nicht verhehlen.
Auch beim Sternentor von ODYSSEE IM WELTRAUM hört der Zitatenschatz nicht auf. Disney viel geschmähtes Epos DAS SCHWARZE LOCH wird gewürdigt, und so geht es immer zu. Dramaturgisch hingegen haben sich die drei Autoren, zu denen auch der Regisseur zählt, sehr zurück genommen. Sie setzen auf Sicherheit. Es braucht nicht sehr viel, vielleicht sogar weniger, um den Ausgang verschiedener Szenen vorweg zu sehen, oder welches Element später noch in einer ebenso vorhersehbaren Situation zum tragen kommen wird.
Disney wird immer gefürchtet, weil sie ein gestrenges Ohr auf die Übersetzungen und Sprecher in anderen Ländern haben, und die Kontrolle darüber eigentlich nicht abgeben. Eigentlich. Denn LIGHTYEAR erweckt umgehend den Anschein, dass sich niemand verantwortlich zeichnete. Besonders Lightyears neuster Freund hört sich erschreckend nach Laienspielgruppe an. Wenn man selbst bei Animationen sieht, dass Sprachduktus und Emotionen nicht mit den Figuren übereinstimmen, müsste dies Konsequenzen haben.
Den Anspruch, ein Film aus 1995 zu sein erfüllt LIGHTYEAR nicht. Dazu ist er zu modern in allen Bereichen, von Kameraführung, über Schnittrate, zu Sprache. Aber er ist eine sehr geschickte Einstiegsdroge für die TOY STORY Filme. Aus einem bestimmten Blickwinkel betrachtet, ist LIGHTYEAR kein guter Film. Aber einseitig betrachtet tut man ihm schlichtweg unrecht. Regisseur Angus MacLane wird bei Pixar ganz sicher nicht den Status von Pete Docter erreichen, aber im Weltraum gibt es bekanntlich auch kein Oben und Unten, und so sollte man dann letztendlich LIGHTYEAR auch ansehen. Es kommt darauf an wie man sich ihm annähert, dann kann er auch strahlen.
Stimmen:
Chris Evans: Buzz Lightyear
Uzo Aduba: Alisha Hawthorne
James Brolin: Emperor Zurg
Taika Waititi: Mo Morrison
Keke Palmer: Izzy Hawthorne
Peter Sohn: Sox
Isiah Whitlock: Commander Burnside
Dale Soules: Darby Steel
u.a.
Regie: Angus MacLane
Drehbuch: Jason Headley, Angus MacLane, Matthew Aldrich
Bildgestaltung: Jeremy Lasky
Beleuchtung: Ian Megibben
Bildschnitt: Anthony Greenberg
Musik: Michael Giacchino
Produktionsdesign: Tim Evatt
USA / 2022
100 Minuten