Beitrag des Fantasy Filmfest 2021
– Bundesstart 06.01.2022
Dieser Besprechung wurde bereits am 30.10.2021 im Rahmen des Fantasy Filmfest 21 veröffentlicht, und liegt der isländischen Sprachfassung mit deutschen Untertiteln zugrunde.
Um das Besondere von LAMB hervor zu heben, müsste jemand näher auf seine außergewöhnliche Geschichte eingehen. Würde man allerdings dafür nötige Aspekte ansprechen, hätte das sicherlich auf die meisten Zuschauer eine abschreckende Wirkung. Das hört sich extrem verkopft an, ist es aber keineswegs. Wie notwendig es ist, bei einer Besprechung die essenziellen Handlungspunkte auszusparen, werden alle bestätigen, die LAMB bereits sehen konnten. Auch wenn sich das Leben der Schafzüchter Maria und Ingvar in der brachialen Einöde von Island zuerst sehr verhalten und ernüchternd ausnimmt.
Es ist kein einfacher Film. Es ist ein Film, der mit den Konventionen des Kinos bricht, um diese dann wieder zu etwas eigenständigem zusammen zu fügen. In diesem Sinne wird die unwirklich scheinende Natur Islands nicht zum beseelten Landschaftsspektakel. Die Natur ist beeindruckend, aber nie einladend. So bettet sich auch der Alltag des Abseits jeder Zivilisation lebenden Paares in diese fordernde Örtlichkeit ein. Mit vertrauter Übereinstimmung verrichten sie ihren Alltag ohne sich erklären zu müssen.
Die einleitende Kamerafahrt ist eines der stimmungsvollsten Kinomomente jüngster Vergangenheit. Sie bestimmt auch umgehend die Atmosphäre von LAMB, auch wenn man glaubt, dass Valdimar Jóhannsson seinen Film in eine andere Richtung lenken würde. Aber nicht nur Eli Arensons grandios, beunruhigende Bilder führen immer wieder zurück zu der bedrohlichen Grundatmosphäre. Einen wesentlichen Anteil an der unheilvollen Stimmung trägt Björn Viktorssons unterschwelliges, ständig präsentes Sound-Design.
Aber LAMB ist kein Horrorfilm. Oder vielleicht doch? Für diesen Film lassen sich einige Genrebezeichnungen finden, bei der jede für zutreffend wäre. Und doch wäre es falsch, ihn wirklich zuordnen zu wollen. Als das Leben von Maria und Ingvar endlich eine positive Wendung nimmt, erschließt sich auch ihre vorangegangene Apathie. Doch das einsame Leben auf der Farm wird dadurch nicht einfacher. Dem Zuschauer wird durchaus bewusst, dass das Glück für das Paar Unheil nach sich ziehen wird, kann es aber nicht definieren.
Mit dem überraschenden Besuch von Ingvars Bruder wird die Situation am Hof nur angespannter, weil er den Ursprung des vermeintlichen Glücks nicht begreifen will. Aber da ist noch mehr, etwas nicht greifbares. Nur die Tiere, Hunde, Schafe, oder die Katze reagieren in verstörender Weise auf etwas, das wir als Zuschauer nur auf tonaler Ebene wahrnehmen können. Es ist wirklich schwer zu sagen, wann zuletzt ein Film so intensiv Bilder von Tieren zu nutzen verstand, um damit richtig Gänsehaut zu erzeugen.
Immer wieder bewegen sich die Schafe oder der Hund auf die Kamera zu, und ihr Blick verharrt auf etwas, das unseren Augen verborgen bleibt. Was die Szenen so eindringlich und furchteinflößend macht, ist der vollkommene Verzicht auf musikalische Unterstützung. Lediglich dieser starre, emotionslose Blick der Tiere, damit die Kälte entlang unserer Wirbelsäule lange nachhält. Aber bis zum erzählerischen Befreiungsschlag am Ende wird es dauern, bis dahin lässt uns Valdimar Jóhannsson nicht aus dem Griff von ungläubiger Faszination und undefinierbarem Schrecken. Und das mit einer unerschrockenen, auf sich selbst vertrauenden Originalität die LAMB ausmacht. Eine Geschichte wie diese ohne erklärende Dialoge zu erzählen, aber auch glaubhaft zu machen, ist nicht nur für einen Regiedebütanten außergewöhnlich.
Das Ende muss man dann ebenso erlebt und gesehen haben, wo pure Worte alles nur zerstören würden. Mit provokativer Heftigkeit überrascht uns eine Auflösung der Ereignisse, die auf faszinierende Weise selbstverständlich erscheint. Denn Jóhannsson hat uns eine unwahrscheinliche Welt offeriert, in die wir schnell und ohne Zweifel hinein gewachsen sind. Was kaum möglich gewesen wäre, hätten wir im Vorfeld den eigentlichen Kern der Geschichte erfahren. Und Island mit seiner unwirklichen, Ehrfurcht gebietenden Natur, ist ein entscheidender Faktor für die einnehmenden Atmosphäre dieses ungewöhnlichen Films.
Darsteller: Noomi Rapace, Hilmir Snær Guðnason, Björn Hlynur Haraldson u.a.
Regie: Valdimar Jóhannsson
Drehbuch: Sjón, Valdimar Jóhannsson
Kamera: Eli Arenson
Bildschnitt: Agnieszka Glinska
Musik: þórarinn Guðnason
Produktionsdesign: Snorri Freyr Hilmarsson
Island – Polen – Schweden / 2021
107 Minuten