– Bundesstart 04.08.2022
Nahum 3:6: Ich werde dich mit Schmutz bewerfen, ich werde dich verachten und dich zum Schauspiel machen.
Jordan Peele zitiert am Anfang von NOPE aus der King James Bibel. Obiges Zitat allerdings aus der internationalen Neufassung, was aber weniger von Bedeutung ist. Vielmehr ist von Interesse, in welchem Zusammenhang das Zitat mit der gezeigten Geschichte steht. Der geneigte Leser ist sicherlich nicht verwundert, dass er hier keine Antwort finden wird. Das Mysterium entsteht dabei aus der Frage ob der Rezensent es nicht erklären kann, oder wirklich nichts verraten will. Ein Mysterium, wie NOPE selbst. Jordan Peeles jüngster, mit Spannung erwarteter Film, der die Geschichte der Pferdetrainer Otis und Emerald Haywood erzählt. Zwei gegensätzliche Geschwister, welche die Farm mit den für Filmaufnahmen trainierten Pferden von ihrem Vater übernommen haben. Dieser kam bei einem bizarren Unfall ums Leben, für den wahrscheinlich das unbekannte Objekt verantwortlich ist, welches über dem abgeschiedenen Tal hinter den Wolken verborgen ist.
So sehr sich Jordan Peele auch als Darsteller und Autor in der Komödie verdient gemacht hat, so intensiv arbeitet er daran sich als Regisseur im Horror zu etablieren. Wie die Kollegen Ari Aster oder Robert Eggers, geht auch Peele eigenwillige Wege, die aus der Richtung des Allgemeingeschmacks ausbrechen. Waren GET OUT und WIR intelligente Reflexionen über die gesellschaftliche Bedeutung von Schwarzen, hat er eben diese Thematik als Show-Runner bei der neuen TWILIGHT ZONE leicht überreizt.
NOPE ist wie ein gelungener Mix aus der ersten Hälfte von UNHEIMLICHE BEGEGNUNG und der zweiten Hälfte von Shyamalans SIGNS. Peele verlässt dabei die staubige Prärie des reinen Horrors, und geht auch den Trail über den Science Fiction-Pass. Beides verschachtelt Peele so geschickt miteinander, dass die Genregrenzen zwar nicht verschwinden, aber keine Szene wirklich vorhersehbar wird. Da passiert es durchaus, dass ein unscheinbarer Moment zur gruseligsten Szene wird, die man seit langem erlebt hat.
Weiter unten im Tal hat der Asiate Jupe einen Wild West Park, und präsentiert sich als Cowboy in seinem Wild West Themenpark. Allein der Hintergrund zu Jupes Geschichte wäre einen eigenen Film wert, und Peele zeigt in wenigen Szenen auch das unausgeschöpfte Potential hinter Ricky ‚Jupe‘ Park. Den Koreaner als die urtypischste Figur des amerikanischen Westens lässt der Regisseur unkommentiert. Dafür ist ein weiteres Thema der kritische Blick auf die Filmindustrie.
Zum Glück verweigert sich Jordan Peele dem meist unrühmlichen Versuch einer Metaebene. Das wäre auch unsinnig, weil der Film ohnehin mehrere eigenständige Geschichten erzählt. Wie die des allerersten Films der Geschichte, wo Eadweard Muybridge 1878 mit 12 Bildern die Bewegung eines galoppierenden Pferdes nachstellte. Es wird zu einer fiktiven Geschichte, die als unaufdringlicher Kommentar über die Geschichte von Schwarzen funktioniert.
In NOPE verschieben sich immer wieder die Grenzen der Genres, dabei vermischen sich auf geniale Weise auch die Themen. Zum Beispiel ist es in einer markanten Szene nicht nur die herablassende Art gegenüber Afro-Amerikanern, sondern gleichzeitig die Arroganz von Stars gegenüber den Bühnenarbeitern, welche sie eigentlich erst zu Stars werden lassen. Der Filmemacher hat also sehr viel zu sagen, und er tut es auch. Seine Anliegen sind vielschichtig und übergreifend relevant.
Doch Jordan Peele ist nicht nur Beobachter und Kommentator seiner Zeit. Er ist ein hervorragender Regisseur, der nicht nur seine Vorbilder kennt, sondern auch eine sehr eigene Form gefunden hat. Das bringt durchaus in den ersten 40 Minuten einige Längen, und Keke Palmer als Emerald neigt in dieser Zeit zum nerven. Doch alles fügt sich zu einer kohärenten Erzählung. So wie sich Allison Williams Charakter in GET OUT gefügt hat, oder warum ‚Red‘ bei WIR normal sprechen konnte.
Der Schweizer Hoyte Van Hoytema zeigt bildgewaltig, dass NOPE nicht nur die kulturelle Bedeutung von Schwarzen beim Film oder die Industrie als solche hinterfragt. Die Bildgestaltung des Kameramanns demonstriert auch eine innige Verbundenheit zum Kino, in dem Van Hoytema die einzigartigen Möglichkeiten zelebriert. Unter anderem ist NOPE im IMAX-Format auf 65mm-Material gedreht. Und es ist beeindruckend, welch atemberaubende Bildmomente daraus entstehen.
Die immensen Weiten des Tales, die kargen Landschaften, aber auch die bedrohlichen Wolkenformationen ziehen einen in den Film. Van Hoytema lässt den Zuschauenden nicht einfach nur beobachten, er setzt ihn in die Räumlichkeiten oder die Natur. Mit konzeptionell ausgeklügelten Bildführungen und kurzen Brennweiten gewinnen manche Einstellungen sogar eine dreidimensionale Anmutung. Die Bildgestaltung geht weit über den technischen Aspekt hinaus, und wird zum definierenden Element.
Was die Bilder erzählen können, lässt Peele die Bilder auch erzählen. Das gibt Daniel Kaluuya als Otis auch sehr gute und ausreichend Möglichkeiten sich ohne Text mitzuteilen. Kaluuya hat dieses anziehende, aber unbestimmte Charisma, welches Peele hervorragend zu nutzen versteht. Wo bei anderen Produktionen ähnliche Situationen totgequasselt werden, reicht bei Kaluuya der titelgebende Ausdruck des Leugnens. Und das sorgt für perfekt gesetzte Lacher, und gleichzeitig die erschreckende Erkenntnis, wie es uns selbst ergehen würde.
NOPE könnte als tiefgründiges Meisterwerk ebenso gefeiert, wie als überfrachteter Unsinn abgetan werden. Leichte Kost bietet Jordan Peele vielleicht als Komiker, aber als Regisseur und Autor in Personalunion stellt er andere Ansprüche. Und genau das muss nicht jedem ansprechen. Eine ablehnende Einschätzung wäre sogar leicht nachvollziehbar. Unheimlich viel fließt in die Handlung ein, manches wird nur angerissen, anderes nicht aufgelöst, und ein konkretes Narrativ ist kaum auszumachen (wenngleich es vorhanden ist).
Nicht zu vergessen die unzähligen Metaphern. Oder sind es am Ende gar keine? Das macht aus NOPE eine spannende Erfahrung. Und auch einen effektiven Horrorfilm. Oder ungewöhnliches Science Fiction-Abenteuer. Auf jeden Fall funktionieren viele Elemente irgendwie gegen die Erwartungen, und andere erfüllen genau das erzählerische Klischee. Was dann auch wieder überrascht, weil wir mit einer geschickten Wendung rechnen. Gesichert ist, dass uns Jordan Peele für die gesamten 130 Minuten sehr intensiv beschäftigt.
Darsteller: Daniel Kaluuya, Keke Palmer, Brandon Perea, Michael Wincott, Steven Yuen, Wrenn Schmidt, Keith David u.a.
Regie & Drehbuch: Jordan Peele
Kamera: Hoyte Van Hoytema
Bildschnitt: Nicholas Monsour
Musik: Michael Abels
Produktionsdesign: Ruth De Jong
USA / 2022
130 Minuten