IN WITH THE DEVIL

Black Bird - Copyright APPLE TV+BLACK BIRD
– seit 08.07.2022 Apple TV+

Es folgte ein Aufschrei des Schreckens, und eine unbeschreibliche Welle der Faszination und… jemand kann es durchaus so nennen, Begeisterung. 1966 erschien offiziell Truman Capotes Tatsachenroman ‚Kaltblütig‘, der detailiert die Ermordung der Farmersfamilie Clutter 1959 aufarbeitete. Capote erfand nichts und ließ nichts aus, verfasste aber sein Buch literarisch, weil er beweisen wollte, dass wahre Geschichten sogar spannender sein können wie fiktionale Erzählungen. ‚Kaltblütig‘ prägte den Begriff New Journalism, dem viele renommierte Autoren folgten. James Keene ist kein renommierter Autor, also holt er sich den Investigativreporter Hillel Levin an die Seite, um seine wahre Geschichte zu erzählen, wie er versuchte Serienmörder Larry Hall zu überführen. Und wie Autor und Produzent Dennis Lehane den Roman ‚In with the Devil‘ filmisch zu BLACK BIRD adaptierte, ist ebenfalls erschreckend, faszinierend und begeisterungswürdig.

Als es mit dem College-Football nichts wird, beginnt James Keene mit Drogen zu handeln. Im feudal gewordenen Luxus-Leben geht das mit illegalem Waffenbesitz einher. Schließlich bricht ihm eine verdeckte Ermittlung das Genick, und die kriminelle Karriere endet mit zehn Jahren ohne Möglichkeit auf Bewährung. James sitzt noch nicht lange, bis er als möglicher Kandidat vom FBI in Betracht gezogen wird, selbst eine verdeckte Ermittlung zu führen.

In der ersten seiner sechs Folgen dauert es ein wenig, bis sich BLACK BIRD seinem Publikum richtig geöffnet hat, und man weiß, dass sich aus der herkömmlich scheinenden Geschichte, etwas Eigenes entwickeln wird. Und dann geht es sehr schnell, wie sich James Keenes Geschichte zu etwas Besonderem macht. In heutiger Zeit ist es schwer eine wirklich gute Serie zu finden. Aber eine, die sich selbst noch von den Guten abhebt, ist ein absoluter Glücksfall, der sich hiermit erfüllt.

Black Bird 3 - Copyright APPLE TV+

 

Larry Hall ist ein sogenannter pathologischer Gesteher, einer der unentwegt Verbrechen gesteht, die er nicht begangen hat. Die angebliche Ermordung von mehreren vermissten Mädchen nimmt die Staatsanwaltschaft schon gar nicht mehr ernst, weil man keine Leichen findet. Für den Mord an einem Mädchen kann er tatsächlich verurteilt werden, könnte aber in kürzester Zeit wieder frei sein, weil Hall behauptet, dass Geständnis wäre von den Behörden erzwungen worden.

BLACK BIRD ist eine derart vielschichtige Erzählung, dass die drei Regisseure unheimlich schnell eine intensive Spannung aufbauen können. Eine Spannung die sich nicht nur einfach hält, sondern allmählich steigert. Die Serie ist nicht nur Thriller, sondern auch Psychogram. Psychogram nicht nur von James Keene, oder Larry Hall, sondern von allen Figuren. Keiner von den Charakteren wird hier vernachlässigt, und auch keiner in eine stereotype Schublade gesteckt.

Selbst vermeintliche Klischeefiguren, erfahren eine Entwicklung entgegen jeder Erwartung. Ob Insassen, Wärter, Polizisten oder Agenten, es sind Menschen mit der Möglichkeit zu scheitern, deren selbstbewusstes Auftreten nur ihr ihre Selbstzweifel überspielt. Sie alle haben eine Geschichte und einen Hintergrund, der sie interessant macht. Es ist eine seltene Tugend geworden, dass sich Serienmacher so stark auf jeden einzelnen ihrer Charakter fokussieren, ohne dabei von der eigentlichen Handlung abzuweichen.

James Keene bekommt die Möglichkeit auf Hafterlass, wenn er sich vom legeren Strafvollzug in das Hochsicherheitsgefängnis für geistesgestörte Kriminelle verlegen lässt. Mindestens einen Ort einer Mädchenleiche soll er Larry Hall entlocken, um diesen endgültig überführen und lebenslang wegsperren zu können. Keiner der Wärter und keiner der Insassen dürfen Keenes wahre Identität erfahren, weil Maulwürfen unweigerlich tödliche Konsequenzen drohen würden.

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Wenn James aber dem Serienmörder kein Geständnis entlocken kann, wird er selbst den Rest seiner zehn Jahre in dieser Hölle verbringen müssen. Und  Larry Hall ist bei weitem nicht das minderbemittelte Landei, welches er selbst vorgibt zu sein, sondern ein gerissener Zuhörer, der gerne jede Frage hinterfragt. Jede einzelne Episode glänzt mit exzellenten Dialogen, in denen jedes Wort wie feingeschliffen wirkt. Kein Satz ist da zu viel, und jede Unterhaltung ist von essentieller Bedeutung, was zeitgleich eine höhere Aufmerksamkeit fordert.

In Jahrzehnten von Kinogeschichte haben Gefängnisfilme beim Publikum stets ein falsches Verständnis für den amerikanischen Strafvollzug geschaffen. Die Serienmacher nutzen das extrem geschickt für eine paranoide Grundstimmung, welche den Puls im wahrsten Sinne des Wortes antreibt. Vermeintliche Standardsituationen werden aufgebaut, die sich dann in eine andere Richtung entwickeln. Taron Egerton als Keene verkörpert diese ständige und stets ansteigende Anspannung eines möglichen Verrats so phantastisch, das sein Spiel immer wieder Gänsehaut erzeugt.

Erzählt wird auf zwei Zeitebenen, aber auch mit zwei parallel laufenden Handlungssträngen. Auch hier verschwenden die Autoren und Regisseure nichts an Zeit oder Inhalt. Mit jedem neuen Handlungsteil gestaltet sich James Keenes Aufgabe komplexer, Larry Hall ein Geständnis zu entlocken. Mit den nicht minder atemberaubenden Sepideh Moafi und Greg Kinnear als Police-Detective und FBI-Agentin, schwinden auch beim Zuschauenden immer wieder die Hoffnungen, den Eltern der verschwundenen Mädchen Frieden zu geben.

Als Betrachtender von Außen klebt man förmlich an den Darstellern, deren coole Fassade und professionelle Überlegenheit ständig bröckelt und immer wieder durch winzige Hoffnungsschimmer, aber auch sehr Oft mit dem Mut der Verzweiflung aufgebaut werden muss. Kaum ein Film, geschweige denn Serie, hat in letzten Jahren so intensiv und vielschichtig die Emotionen seiner Charaktere ausspielen lassen können. Weil die Darsteller mit jeder Faser ihres Körpers, die Mentalität ihrer Figuren verinnerlicht haben.

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Keiner von ihnen erklärt sich über Worte. Man sieht es ihnen an, jede Regung, jede Veränderung in der Wahrnehmung. Von Egerton über Hauser, bis Moafi, Kinnear oder Liotta, allesamt spielen sie mit einer physischen Intensität von ungewöhnlich facettenreicher Bandbreite, die sonst kaum zu sehen ist. Der Zuschauende wird zum emotionalen Kollaborateur, der sich der peinigenden Faszination nicht erwehren kann. Denn BLACK BIRD erlaubt sich keine Kunstfiguren.

Normalerweise wird eine Miniserie immer in bestimmten Szenen, an manchen Handlungspunkten entweder künstlich verlängert, oder auf annehmbare Länge unverhältnismäßig gekürzt. Auf derartige Gedanken kommt man während der einzelnen Episoden überhaupt nicht. Die Regisseure Roskam, Chappelle und McKay lassen keinen Raum ungenutzt, und finden auch immer die richtige Gewichtung. Ob eine Szene noch etwas Luft braucht, oder wegen des Spannungsbogens angezogen werden muss, sie treffen immer die atmosphärisch richtige Stimmung.

In BLACK BIRD, der auch in Amerika unter dem Titel ‚In With The Devil‘ als Buch erschienen ist, geht es um sehr viel. Es gilt den realen Vorbildern verdienten Tribut zu zollen, aber mehr noch dürfen die schrecklichen Ereignisse nicht trivialisiert werden. Deswegen erlauben sich die Macher auch keine inszenatorischen Effekthaschereien.

APPLE TV+ hat erneut bewiesen, dass es für die Mitbewerber verdammt eng wird. Der Streaming-Anbieter präsentiert schon seit geraumer Zeit die qualitativ besten Eigenproduktionen. Und BLACK BIRD ist ein weiterer Baustein, um Vormachtstellungen einzureißen, die ohnehin nur noch durch spezielle Fandom orientierte Formate gehalten werden können.

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Darsteller: Taron Egerton, Paul Walter Hauser, Sepideh Moafi, Greg Kinnear, Ray Liotta, Robert Wisdom, Robyn Malcolm u.a.
Regie: Michael R. Roskam, Joe Chappelle, Jim McKay
Drehbuch: Ricardo DiLoreto, Dennis Lehane, Hillel Levin, Sean K. Smith, Stve Harris
Nach dem Buch In With The Devil von James Keene
Kamera: Natalie Kingston
Bildschnitt: Jonathan Alberts, Rob Bonz
Musik: Mogwai
Produktionsdesign: Charisse Cardenas
USA / 2022
6 Episoden
347 Minuten

Bildrechte: APPLE TV+
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