Ennio Morricone – THE MAESTRO

Ennio - Copyright PLAION PICTURESENNIO – THE MAESTRO
– Bundesstart 16.12.2022

Im Jahr 1988 drehte Filmemacher Guiseppe Tornatore CINEMA PARADISO, der umgehend zu einem sogenannten Instant-Klassiker avancierte. Erst zwei Jahre später wurde der Film für die Academy Awards, den Oscar, als bester ausländischer Film nominiert. Die Regeln ließen das nur für die Kategorie Auslandsfilm zu, wonach andere Branchen nicht mehr berücksichtigt werden konnten. Maßgebliche Stimmen bemängelten, dass Ennio Morricones Musik für CINEMA PARADISO nicht mehr gewürdigt werden konnte. Es war ein Soundtrack, für den auch Auszüge aus Morricones Musik von THE UNTOUCHABLES zwei Jahre vorher verwendet wurde. Ironischerweise eine Vorgehensweise, die Ennio Morricone strikt ablehnte, genauso wie er sich kategorisch weigerte Melodien oder Stücke nachzuahmen oder zu kopieren. Immer und immer wieder betont der Komponist seine Abscheu gegenüber solcher Wiederholungen oder Kopien, wie man in der Dokumentation ENNIO – THE MAESTRO hören kann. Ein Film von CINEMA PARADISO-Regisseur Guiseppe Tornatore.

Um es gleich vorweg zu nehmen, ENNIO ist keine Dokumentation im klassischen Sinne. Auch wenn Tornatores Film dafür alle Anforderungen erfüllt. ENNIO ist ein Film für alle unkritischen Cineasten und kompromisslosen Liebhaber des Maestros. Das hört sich hart an, trägt einen bitteren Geschmack mit sich, ist aber nicht negativ zu verstehen. Nur sollten unbedarfte Interessierte damit klar kommen, dass es keine intimen Details oder skandalöse Enthüllungen geben wird. Guiseppe Tornatore hat Annio Morricone ein Denkmal gesetzt.

Wie alle anderen in jedweder Form auch, ist dieses Denkmal frei von Kritik über die geehrte Person. Dafür ist der Sockel umso höher, daran lässt der Regisseur keine Zweifel aufkommen. Es ist eine Reise von Morricones Jugend als Trompeter, über die Musikhochschule, hin zum Fernsehen und schließlich zur Filmmusik, mit der er eigentlich nie etwas zu tun haben wollte. Erzählt von meist vom Maestro selber. Es sind manchmal bittere Erinnerung, manchmal witzige Episoden, oft rationale Erkenntnisse, oder sehr leidenschaftliche Erklärungen.

Aber Ennio redet nie etwas schön, auch wenn er selbstkritische Reflexionen gerne vermeidet. Man hat immer das Gefühl eines offenen und ehrlichen Morricones, selbst wenn er sich auch einmal widerspricht. So behaart er darauf, dass er immer abgelehnt habe Musik zu komponiert ‚die so klingt wie…‘, was Regisseure gerne einmal forderten. Dennoch gibt er des Öfteren an wie er zum Beispiel Bach oder andere alte Meister für seine Themen verwendete. Solche Dinge kann man dem Maestro nachsehen, ist ohnehin schnell klar, dass dieser Film keine Enthüllungsgeschichte sein soll.

Es wird viel geredet in ENNIO, sehr viel. Wenn es nicht Morricone selbst ist, kommen Regisseure, Filmkomponisten, Musiker, Wegbegleiter, Lehrer, Analysten oder Historiker zu Wort. Was zu kurz kommt, sind ausführlichere Musikbeispiele. Etwas intensiver wird sich mit den Themen zu Roland Joffes THE MISSION beschäftigt, wo wunderbar eindringlich erklärt und gehört wird, wie diese Stücke für sich stehen, gleichzeitig aber auch zusammen übereinander gelagert harmonieren.

Ennio 2 - Copyright PLAION PICTURES

 

Der Film vermittelt den Eindruck, als wäre dies eine Erfindung Morricones, was eigentlich gängige Praxis von vielen Komponisten ist, und schon vorher war. Aber auch das nimmt man hin, weil einem der Film vollkommen in einen Trance ähnlichen Zustand versetzt hat. Guiseppe Tornatore hat anstelle einer Dokumentation, ähnlich einem bildhauerischen Denkmal, mit ENNIO – THE MAESTRO ein geschlossenes Kunstwerk geschaffen. Das geht in erster Linie auf die Cutter Massimo Quaglia und Annalisa Schillaci zurück, wobei Quaglia schon einige Male mit Tornatore gearbeitet hat.

In atemberaubender Geschwindigkeit fliegen die Bilder dahin, wobei kaum Zeit zum atmen bleibt. Die weit über 50 Interview-Gäste erscheinen durchaus mehrmals, manchmal aber nur für einen Satz. Leider muss gesagt werden, dass die meisten Statements austauschbare Standardsprüche von wohlwollender Beliebigkeit sind. Die Kunst ist es, dass durch das perfekt austarierte Timing im Schnitt, für die Zuschauenden selten Denkpausen für eine genauere Reflexion bleiben. Ein wahrer Augenschmaus sind diverse Musikbeispiele bei denen man den Maestro beim dirigieren sieht.

Material des selben Stückes, aber aus unterschiedlichen Jahrzehnten, ist so auf Takt geschnitten, dass Morricone in einem nahtlosen Fluss zu dirigieren scheint. Guiseppe Tornatore sollte dabei aber auch einen besonderen Dank an Luca Rea und sein Recherche-Team öffentlich kundtun, die eine schier grenzenlose Materialflut an Originalaufnahmen gefunden haben. Besonders die Aufnahmen von Goffredo Petrassi, Ennios prägenden Lehrer, bauen eine interessante Atmosphäre auf. Er und Ennio hatten sich wegen differenzierter Ansichten überworfen, und erst in späten Jahren den Weg zu Aussöhnung gefunden.

Guiseppe Tornatore hat dem Maestro Ennio Morricone ein Denkmal gesetzt. Dessen Einseitigkeit findet dadurch Rechtfertigung, dass dieser Film ganz offensichtlich auch nie etwas anderes sein sollte. Aber dafür ist der Film definitiv zu lang. Mit Ennio Morricones Ruhm und Bekanntheitsgrad geht es wohl einher, dass die erstaunliche Laufzeit von 156 Minuten legitim erscheinen mag, dass ist es aber nicht. Dafür dringt ENNIO – THE MAESTRO in einigen Bereichen einfach nicht zu tief genug in die Materie ein. Aber seine erstaunliche Kunstfertigkeit in der inszenatorischen und technischen Umsetzung bleibt schlichtweg atemberaubend. Das ist dann eben die andere Seite.

Ennio 1 - Copyright PLAION PICTURES

 

Mit: Raffaella Leone, Vittorio Taviani, John Williams, Bernardo Bertolucci, Roland Joffe, Clint Eastwood, Kar-Wai Wong, Oliver Stone, Hans Zimmer, Nicola Piovani sowie Ennio Morricone und viele andere
Regie & Drehbuch: Guiseppe Tornatore
Kamera: Giancarlo Leggeri, Fabio Zamarion
Bildschnitt: Massimo Quaglia, Annalisa Schillaci
Musik: Ennio Morricone
Italien, Belgien, Niederlande, Japan / 2021
156 Minuten

Bildrechte: PLAION PICTURES
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