Disneys STRANGE WORLD

Strange World - Copyright DISNEY ENTERPRISES– Bundesstart 24.11.2022

Alles, wie es immer ist, im Hause Disney. Ein pubertierendes Kind, dass macht was es will, niemals hört, von den Eltern nie gemaßregelt wird, dadurch den größtmöglichen Schaden anrichtet, und dafür nie zur Rechenschaft gezogen wird. Dieses nervige Kind muss sein, weil es die Identifikationsfigur für die jungen Zuschauer sein soll. Und wie immer im Hause Disney, wird dieser trotzig rotzige Ungehorsam damit belohnt, dass das Kind am Ende doch etwas Entscheidendes zur Lösung der Probleme beiträgt. Das sind Vorbilder, die in der Realität kein Erwachsener zuhause dulden würde. Das war schon immer ein thematisches Problem vieler Familienfilme, und bei Disney ins Besondere. Nur fällt es bei STRANGE WORLD noch vehementer ins Gewicht, weil die Verantwortlichen mit der überaus originellen und spannenden Grundidee erstaunlich wenig anzufangen wissen.

Das Land Avalonia ist von unüberwindbaren Bergen umgeben. Vor 25 Jahren verschwand der Abenteurer und Forscher Jaeger Clade auf der Suche nach einem Weg die Berge zu überwinden. Sein nun erwachsener Sohn Searcher ist alles andere als ein Abenteurer. Er versorgt seine Familie lieber als Farmer für Pando-Pflanzen, deren kleine Früchte ganz Avalonia mit Energie versorgen können. Aber Searcher muss plötzlich gegen seinen Willen eine Reise ins Innere der Erde antreten, denn die Stammwurzel aller Pando-Pflanzen scheint am absterben zu sein.

Während sich STRANGE WORLD durch eine sehr intensive Farbpalette auszeichnet, erklärt sich Avalonia, das in diesen Farben buchstäblich erstrahlt, nicht wirklich schlüssig. Ob Zukunft oder Parallelwelt lassen die Ideengeber vorerst einmal offen, hätte aber den Aha-Effekt verstärkt. Doch erst gegen Ende wird auch die Absicht dahinter verständlich. Eine nicht sonderlich tiefgründige Vorgeschichte erklärt das Zerwürfnis von Jeager und Searcher. Und im Heute werden zuerst Lebensentwürfe und Familienverhältnisse geklärt.

Der vermisste Opa Jaeger war von Vater Searcher enttäuscht, und Sohn Ethan ist vom Farmleben enttäuscht. Während Opa und Vater weiß sind, wird die Quoten-Diversität erfüllt mit der schwarzen Mutter Meridian, der asiatischen Anführerin, einem indischen Wissenschaftler und einem dreibeinigen Hund. Und Sohn Ethan ist schwul. Das ist die vielleicht mutigste Entscheidung bei diesem Film, der deswegen in Amerika gleich eine 12er Altersfreigabe bekam, wegen ‚einigen thematischen Elementen‘.

In Deutschland hat die Freigabe ab sechs Jahren das Disney-Niveau gehalten. Entsprechend geht es auch temporeich in und durch die Geschichte. Mit einer dringlichen Expedition geht es durch ein riesiges Sinkloch ins Erdinnere, entlang der gigantischen, grün schimmernden Wurzelstränge des Pando. Dort tut sich eine wundersame Welt auf, mit rosafarbenen Wiesenflächen, und gesichts- oder kopflosen Kreaturen mit der Konsistenz von Wasserballons.

Einige der Wesen sind gigantisch und friedlich, andere schweben in riesigen Schwärmen durch die Luft. Manchmal brechen aus den rot gefärbten Wäldern aus Baum ähnlichen Stämmen angriffslustige Tentakelwesen heraus. Das Rätsel um den verschollenen Jaeger wird schnell geklärt, aber auch das Problem des sterbenden Pando. Aber zur Lösung des Problems, müssen erst einmal alle Menschen ihre Differenzen beilegen und geschlossen handeln. Und Hilfe bekommen die Fremden vom wabbeligen, blauen Splat.

Strange World 1 - Copyright DISNEY ENTERPRISES

 

Einer der Figuren aus der Expedition sagt im Vorbeigehen über den mehrarmigen Splat, „oh, das wäre nettes Merchandise“. Tatsächlich ist Splat der lustigste Charakter in diesem bunten Abenteuer, und ganz offensichtlich auf das Merchandising zugeschnitten. Ansonsten liefert das Drehbuch von Qui Nguyen, der auch die Co-Regie übernahm, lediglich Stereotypen an Figuren mit hinlänglich bekannten Charakterzügen, die auf vorhersehbare Weise ihre Probleme untereinander lösen.

Niemand wird bei einem Familienfilm dieser Kategorie Charakterzeichnungen eines schwedischen Ensemble-Films erwarten. Aber weder Buch noch Regie können dies adäquat auffangen, weil thematisch von allem zu viel hineingepackt wurde. Zum einen zu viele Fronten zwischen zu vielen Figuren. Zum anderen das Geheimnis um die ‚fremde Welt‘, das in seiner vermeintlich originellen Auflösung mit viel zu wenig Zeit bedacht ist, um seine Bedeutung richtig auskosten und vertiefen zu können.

Die Welt von Avalonia ist vielschichtiger und metaphysischer als gedacht. Das kann man erfahren, aber kaum emotional erleben. Thema und Umsetzung wecken Erinnerung an REISE ZUM MITTELPUNKT DER ERDE, und auch Richard Fleischers Klassiker DIE PHANTASTISCHE REISE sind allgegenwärtig. Das Design im Inneren der Welt wirkt nicht einfallslos, hat sich aber nach einigen Minuten erschöpft. Allerdings fügt es sich im weiteren Verlauf, und ergibt dann auch Sinn.

Es ist nicht überraschend, dass sich STRANGE WORLD mit aller Kraft dem Disney-Credo hingibt. Familie in all ihren Ausprägungen, die einhergehende moralische Verpflichtung, das finden und ausloten der eigenen Werte. Das ist gut, für das Zielpublikum auch grundsätzlich wichtig, hätte aber endlich einmal eine innovativer Umsetzung vertragen, um sich inhaltlich ausgiebiger mit den immer wieder überraschend originellen Grundideen zu befassen. Gute Momente hat STRANGE WORLD durchaus, und auf der großen Leinwand wird der Film zu einem optischen Rausch, der in einem atemberaubenden Tempo inszeniert ist.

Nur in einer Szene, die ungewöhnlich ruhig verläuft, sitzen die drei Generationen von Clade-Männern zusammen und spielen Karten. Viel geredet wird nicht, und dem hier schreibenden Verfasser beschlich kurzzeitig das Gefühl, dass diese Szenen etwas Besonderes werden könnte. Sie ist es tatsächlich, für diesen kurzen Moment, nur um dann zu Gunsten der rasanten Inszenierung an Bedeutung zu verlieren. Dabei hätte die Kraft in genau solchen Szenen das erhabene Ende noch imposanter gemacht.

Strange World 2 - Copyright DISNEY ENTERPRISES

 

Darsteller-Stimmen:
Jake Gyllenhaal / Marius Clarén: Searcher Clade
Dennis Quaid / Matti Klemm: Jäger Clade
Jaboukie Young-White / Marco Esser: Ethan Clade
Gabrielle Union / Dennenesch Zoudé: Meridian Clade
Lucy Liu / Anna Carlsson: Callisto Mal
Karan Soni / Manuel Straube: Caspian
Alan Tudyk / Axel Malzacher: Erzähler
u.a.

Regie: Don Hall, Qui Nguyen
Drehbuch: Qui Nguyen
Kamera: Scott Beattie (Layout), Brian Leach (Licht)
Bildschnitt: Sarah Reimers
Musik: Henry Jackman
Produktionsdesign: Justin Cram, Mehrdad Isvandi
USA / 2022
102 Minuten

Bildrechte: DISNEY ENTERPRISES
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