DER GESANG DER FLUSSKREBSE

Where Crawdads - Copyright SONY PICTURESWHERE THE CRAWDADS SING
– Bundesstart 18.08.2022

Preview ‚Ladies & Friends‘ 10.08.22 Cineplex

Es muss das Traumkind von Nicholas Sparks und Rosamunde Pilcher sein. Die Gene können nicht trügen. Nach fast zwanzig Jahren kehrte die promovierte Zoologin Delia Owens aus den Wüsten, Steppen und Nationalparks Afrikas zurück nach Amerika. Nach drei biografisch angehauchten Sachbüchern, muss dann das verhältnismäßig schnöde Leben in Idaho einiges an kreativer Energie freigesetzt haben. ‚Wo Die Flusskrebse Singen‘ wurde ein umjubeltes literarisches Debüt, was allerdings noch keinen Nachfolgeroman inspirierte. Das Buch wurde ein Bestseller-Phänomen von dem sich auch Schauspielerin und Unternehmerin Reese Witherspoon anstecken ließ, die den Roman in ihrem Buchclub feierte, und die Filmrechte für ihre Produktionsfirma Hello Sunshine erwarb. Hello Sunshine hat sich in den letzten Jahren erfolgreich bemüht anspruchsvolle auf Frauen bezogene Themen zu verfilmen, die alle Geschlechter gleichermaßen ansprechen.

Im Sumpfland von North Carolina lebt allein und abgeschieden die junge Kya. Die Mutter hat wegen des gewalttätigen Vaters die fünf Kinder allein gelassen. Nach und nach verschwinden auch Kyas Geschwister, bis selbst der Vater dem armseligen und einsamen Leben den Rücken kehrt. Mit sieben Jahre lebt Kya allein in der Hütte, eins mit sich und der Natur. Kyas Geschichte wird im Rückblick erzählt, als sie mit 25 Jahren wegen Mordes vor Gericht gestellt wird.

Es ist Regisseurin Olivia Newman ein offensichtliches Anliegen, dass die Darstellung des unwirklich scheinenden Sumpfgebiets an der Küste von North Carolina einen eher verklärt mystischen Anstrich erhält. Einige Aufnahmen sind leicht erkennbar CGI unterstützt, was aber nicht das Problem ist. Inszenierung und die Figur gleichermaßen, lassen jeden Aspekt des Lebens in dieser Wildnis problemlos und erstrebenswert erscheinen. Darin verliert der Film einen notwendigen Funken an Realismus.

Die romantisierte Verklärung der harschen Landschaft wäre der Rosamunde Pilcher-Teil. Die attraktiven Menschen mit ihren Klischee beladenen Vorzügen und Schwächen, wäre Nicholas Sparks entsprungen. Beide Autoren haben ihre Berechtigung und zweifellos eine ansprechende Art zu erzählen. Ob Delia Owens wirklich davon inspiriert war, ist zweifelhaft, die Ähnlichkeiten allerdings unverkennbar. Und etwas muss ja die FLUSSKREBSE in den Bestsellerlisten zum Singen gebracht haben.

Was den Roman zum Verkaufsschlager machte, ist in der filmischen Umsetzung nicht nachvollziehbar. Die Darsteller sind allesamt attraktiv, und vor allem extrem talentiert. Und Durchstarterin Daisy Edgar-Jones führt dabei unangefochten. Wer nicht nach Attraktivität besetzt wurde, entspricht im Typus seinem formelhaften Charakter, wie Garrett Dillahunt. In der ausgewogenen Mitte trifft man den stets souveränen David Strathairn, der aber an einer trivialen Figurenbeschreibung leidet.

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DER GESANG ist Coming of age, Gesellschaftsdrama, Krimi und nur leidliches Gerichtsdrama. Letzteres ist Zentrum des Erzählgerüstes, welches seine geringe Spannung aus dem Hin und Her in den Aussagen für oder gegen Kya zieht. Wir wissen, dass das ‚Sumpf-Mädchen‘ nicht verurteilt werden wird. Das ist keine verräterische Auskunft, denn wer anderweitiges annehmen sollte, hat die Mechanismen eines gefälligen Films nicht begriffen, die einem bereits beim Trailer um die Ohren und Augen geschlagen werden.

Von den Genre übergreifenden Themen kann Olivia Newman keines wirklich zufriedenstellend umsetzen. Das entgegen des Narratives immerzu adrett angezogene und aufgehübschte ‚Sumpf-Mädchen‘, welches sich kaum von den Mädchen in der Stadt unterscheidet. Der liebevolle und verständnisvolle Junge, und der nur vermeintlich liebevolle und verständnisvolle Junge. Im Grunde fängt es schon mit dem grundlos prügelnden Vater an, der ohne eine Andeutung von Hintergrund nur das dramatische Klischee verkörpert.

Auf der einen Seite gibt es eindringliche Landschaftsbilder und ein paar sehenswerte Schauspieler, die im Rahmen ihrer darstellerischen Freiheiten überzeugen. Auf der anderen Seite stolpert die Handlung von einer Vorhersehbarkeit zur nächsten, wo diverse Szenarien direkt aus dem Setzkasten zum erfolgreichen Film kommen. Zudem hadert Newman mit der Handlungsstruktur, welche wahllos vom Gestern ins Heute und wieder zurück wechselt, ohne einen fließenden Bogen zu finden.

Allerding zerschießt sich der Film mit seinem Ende alle übrig gebliebenen Möglichkeiten einer zumindest entgegenkommenden Unterhaltung. Mit aller Gewalt will man den Zuschauenden etwas aufzwingen, was die Macher wohl fälschlicherweise als überraschende Wendung verstehen. Schon lange vor seiner Auflösung ist klar, dass wir als Beobachter der Geschichte diese Auflösung nicht brauchen, und auch nicht wollen. Die Macher hätten einiges versöhnlicher gestalten können, wären sie bereit gewesen den Mord als Mysterium ungeklärt zu lassen.

Ganz sicher wird WO DIE FLUSSKREBSE SINGEN ein zufriedenes Publikum finden. Es ist ein unkomplizierter Film, der innerhalb seiner Prämisse einen guten Zeitvertreib bietet. Das alleine muss aber nicht als ausreichend gelten. Man erkennt ja immer wieder in vielen Teilen das Potential an Möglichkeiten. Nicht nur die Darsteller, eben auch die geografische Besonderheit. Oder Kya Leidenschaft fürs Malen, und die einhergehende Kenntnis ihres Lebensraumes.

Es muss nicht immer der inhaltliche Anspruch sein, wenn man in der filmtechnischen Umsetzung etwas besonderes schaffen kann. Doch wenn es während der Produktion greifbar ist, was die Zuschauenden letztendlich auch sehen und spüren können, sollte man  die Gelegenheit nicht ungenutzt lassen. In wie weit der Film sich mit der Buchvorlage deckt, sollte dabei unbeachtet bleiben. Denn so wie Olivia Newman die FLUSSKREBSE inszeniert hat, verliert er sich nach dem Abspann schon wieder in der Bedeutungslosigkeit. Da hat Witherspoons Hello Sunshine Label schon auf ganz anderem Niveau im Bereich von wirklicher Relevanz produziert.

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Darsteller: Daisy Edgar-Jones, Taylor John Smith, Harris Dickinson, David Strathairn, Michael Hyatt, Sterling Macer, Logan Macrae u.a.
Regie: Olivia Newman
Drehbuch: Lucy Alibar
Nach dem Roman von Delia Owens
Kamera: Polly Morgan
Bildschnitt: Alan Edward Bell
Musik: Michael Danna
Produktionsdesign: Sue Chan
USA / 2022
125 Minuten

Bildrechte: SONY PICTURES
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