– Bundesstart 17. Februar 2022
Thema betreffend gibt es eines was man kaum hört, und wenn dann meist aus Laienmund, es ist die Bezeichnung Sport. Keiner der Aktivisten oder Insider-Journalisten, Familienmitglieder oder Filmemacher redet von Sport. Es ist eine Leidenschaft, die so auch nicht wirklich genannt wird. Der Bergsteiger, oder eben Alpinist, der Free-Climber, sie bezeichnen es schlicht als Leben. Marc-André Leclerc nennt es nicht einmal Berufung, oder Lebenseinstellung, auch nicht Droge. Ohne fremde Unterstützung und ohne Sicherung steigen sie hinauf, vollkommen bewusst aller Möglichkeiten wie die Tour enden könnte. Und sie fühlen sich lebendig, sie leben und sind mit sich selbst im Reinen. Und keiner von ihnen redet von Sport. Aber genauso wenig hört man von den Beteiligten das Wort Tod.
Die Faszination des Alpinismus spiegelt sich im starken Interesse an den Arbeiten der Dokumentaristen Peter Mortimer und Nick Rosen, die unablässig Gänsehaut-Dokumentationen um das Thema Bergsteigen produzieren. Wie es auch Jimmy Chin und Elizabeth Chai Vasarhelyi machen, die allerdings weniger umtriebig sind. Deren Portrait über Freikletterer Alex Honnold in FREE SOLO hat zu Recht die beliebtesten Filmpreise in der Kategorie Dokumentation gewonnen.
Marc-André Leclerc ist in der Kletter-Szene ein weitgehend Unbekannter, als die Filmemacher auf ihn aufmerksam werden. Ohne Aufhebens, fast im Hintergrund klettert er die außergewöhnlichsten Routen in den schwierigsten Wänden, in den verrücktesten Kombinationen, mit den schnellsten Zeiten. Leclerc ist 23 Jahre alt, als Filmemacher Peter Mortimer beschließt die unauffällige Ausnahmeerscheinung zwei Jahre lang mit der Kamera zu begleiten. Und was die vielen, sehr gut koordinierten Kameras bei den jeweiligen Besteigungen einfangen, ist nicht nur atemberaubend, sondern angsteinflößend.
Bilder mit dieser Intensität sind in diesem Doku-Sub-Genre nicht ungewöhnlich. Aber in der Regel produziert Mortimers Firma Sender Films seine spezialisierten Kletter-Dokus für heimische Großbildfernseher. Die Kinoauswertung für THE ALPINIST allerdings, eröffnet auf einer entsprechenden Leinwand in der visuellen Erfahrung noch einmal stark erweitere Eindrücke. Der nicht schwindelfreie Autor dieser Zeilen hat die meisten Sequenzen mit ihren brillanten Bildern und den Rundumblicken wirklich bitter bezahlt, und den Besuch als Extremerfahrung eingestuft.
In weiten Teilen erzählt Marc-André Leclerc seine Geschichte selbst, und erklärt auch die meisten Schwierigkeitsgrade und Schikanen einzelner Touren. Die Intimität und atemberaubende Nähe von FREE SOLO erreicht THE ALPINIST allerdings nicht. Aber Ersterer ist in dieser Beziehung eindeutig Ausnahme und Glücksfall gleichermaßen. Nichtsdestotrotz ist Leclercs Geschichte ungemein spannend und nervenaufreibend, und mit nass geschwitzten Händen schreit man innerlich immer wieder ‚warum tut er das?‘. Leclerc hat sich einen Namen gemacht, weil er die schwierigsten und gefährlichsten Touren Free-Solo schaffte, die sonst im Team und gesichert gegangen werden. Und die Kameras fangen das hervorragend ein, wie Marc-André mit dem Felsen, oder auch einem gefrorenen Wasserfall eins zu werden scheint, und sich darin bewegt als wäre die Schwerkraft nicht existent.
Eine ausgedehnte Sequenz ist Mount Robson gewidmet, den Marc-André unbemerkt von der Community und seinen Dokumentaristen begeht. Nur abgeschottet von allen anderen ist es für ihn eine wirkliche Solo-Erfahrung, aber er wiederholt den Aufstieg für die Kameras. Robson ist eine Wand von der dreifachen Größe des El Capitan, aber mit Schneefall, Gletscherspalten und Lawinen. Die Tour führt Eisgletscher, Schnee und reinen Fels gleichzeitig. Ein Wahnsinn selbst mit Seilen, aber Marc-André geht selbstredend frei.
THE ALPINIST ist ein ergreifendes Erlebnis, das die Besonderheiten und Schwierigkeiten beim Alpinismus sehr gut erklärt und verständlich macht. Entsprechend emotional wird man als Zuschauer auch eingebunden, und verliert sich regelrecht ist dieser Welt, die eigentlich zwischen Wahnsinn und Hochspannung hin und her pendelt. Selbst wenn man als Außenstehender die Motivationen und Inspirationen der Alpinisten nicht vollständig begreifen mag.
Allerdings verlieren sich Peter Mortimer und Nick Rosen in den letzten zehn Minuten in einer emotionalen Achterbahnfahrt, die gut getan hätte, um die Hälfte kürzer zu sein. Aber insgesamt, manifestieren sich am Ende die atemberaubenden Bilder, die mit entsprechend pointierten Erklärungen und Hinweisen zu einem spektakulären Abenteuer verschmelzen, das beeindruckt und wirkt lange nach.
Mit
Marc-André Leclerc, Peter Mortimer, Alex Honnold, Jason Kruk, Brette Harrington, Hevy Duty, Reinhold Messner, Barry Blanchard, Michelle Kuipers u.a.
Umsetzung: Peter Mortimer, Nick Rosen
Kamera: Jonathan Griffith, Brett Lowell, Austin Siadak
Bildschnitt: Josh Lowell, Joshua Steele Minor, Peter Mortimer, Fernando Villena
Musik: Jon Cooper
Produktionsleitung: Isabella Franca
USA / 2021
92 Minuten