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Einen 400 Seiten Roman angemessen für eine Verfilmung zu adaptieren sorgt seit jeher für aufgeheizte Gemüter, angelegt zwischen Skepsis und Ablehnung. Selten begleitet von wohlwollendem Interesse. Die Autoren Zach Helm und Sam Lecinson haben sich mit Patricia Highsmith‘ psychologischem Thriller ‚Tiefe Wasser‘ genau diesen Gefahren ausgesetzt. Das Ergebnis verblüfft soweit, dass das immerhin 65 Jahre alte Buch eine würdige Modernisierung erfuhr. Was allerdings noch viel mehr verblüfft, dass ausgerechnet die Auflösung der Geschichte nicht nur vollkommen umgeschrieben wurde, sondern überhaupt keinen Sinn mehr ergibt. Und das geht einher mit so manchen Handlungselementen, die eher Fragen aufwerfen, anstatt Spannung zu erzeugen.
Die Beziehung von Vic und Melinda van Allen ist kompliziert. Um die Familie zusammen zu halten und eine schmutzige Scheidung zu vermeiden, gestattet Vic seiner Frau ihre außerehelichen Abenteuer. Freunde und Bekannte nehmen diese Beziehung hin, kokettieren sogar mit einem Scherz von Vic, er hätte einen vormaligen Liebhaber seiner Frau ermordet, der tatsächlich vermisst wird. Regisseur Adrian Lynn fängt diese Momente in gepflegter Ruhe ein, lässt aber keinen Zweifel daran, dass die Situation für Vic keine leichte ist.
Diese Ruhe in der Inszenierung löst allerdings ein ständiges Unbehagen aus. Wie in einem Traum bewegen sich die Figuren durch eine ignorante Umwelt. Melinda genießt die Hand eines Fremden zwischen ihren Beinen, genauso wie sie genießt dass Vic sie dabei beobachtet. Die Party um sie herum nimmt daran keinen Anstoß, offensichtlich nehmen sie es schon gar nicht mehr wahr. An der knisternden Atmosphäre merkt man umgehend, warum Adrian Lyne nach zwanzig Jahren Regie-Abstinenz mit gerade diesem Stoff wieder hinter die Kamera wollte.
Lyne kann 9 1/2 WOCHEN oder EINE VERHÄNGNISVOLLEN AFFÄRE nicht wiederholen, dazu hat sich das Kino, aber vor allem das Fernsehen in den letzten Jahrzehnten zu stark verändern. Leidenschaftlicher Sex zwischen den Hauptdarstellern ist heute eher ein Muss, anstelle von erotischer Besonderheit. Aber Lyne hat immer noch den Blick und das Gespür, seine Protagonisten zielsicher mit dem bestmöglichen Effekt durch das befremdliche Szenario zu dirigieren. Gerade DEEP WATER bietet ein Vielzahl an Möglichkeiten psychologischen Tiefen auszuloten.
Ben Affleck hat ein wenig damit zu kämpfen, dass seine Rolle im grandiosen GONE GIRL noch nach wirkt, und Vergleiche fast schon zwangsläufig werden. Er überzeugt dennoch mit einem überraschend nuancierten Spiel, welches gleichermaßen seine verborgene Verletzlichkeit als auch die schwellende Gefährlichkeit seines Charakters zeigt. Rollen in erotisch angehauchten Thrillern, füllt Affleck glaubwürdiger aus, als er es mit seinen Figuren in Standard-Dramen wie THE TENDER BAR oder OUT OF PLAY – THE WAY BACK vermag.
In seiner überzeugenden Darstellung steht Affleck seinem Auftritt in GONE GIRL in nichts nach. Nur hat Ana de Armas nicht diese einnehmende Sinnlichkeit von Rosamund Pike, die übrigens beide in THE INFORMER zusammen spielten. Melinda ist keine vielschichtige Person, sie ist selbstsüchtig und rücksichtslos. Auch der Sex mit dem eigenen Ehemann wird von ihr bestimmt. Die Physis von de Armas mag durchaus stimmig zum Charakter sein, nicht aber ihr Spiel. Lyne inszeniert sie einfach nur als schlichtes Gemüt mit ausgeprägten Sexhunger.
Melinda fehlen ganz einfach diese feinen Facetten, die ein psychologisches Gleichgewicht zur geschundenen Figur Vic darstellen. Hingegen sind die meisten Nebenrollen nicht nur grandios besetzt sind, sondern unterfüttern auch glaubwürdig und greifbar die komplexe Beziehung des Paares, und geben der ungewöhnlichen Situation eine realistische Fassade. Nur Tracy Letts, als allzu wissbegieriger Don Wilson, kommt als eigentlich maßgebliche Figur seltsam kurz.
Man darf Letts durchaus als einen der besten Nebendarsteller Hollywoods bezeichnen, gerade deswegen hätte man sich viel mehr von ihm in der Handlung gewünscht. Aber der verkappte Schriftsteller, der immer auf der Suche nach guten Stoffen, Vic als tatsächlichen Mörder in Verdacht hat, tritt nur sporadisch als Stichwortgeber in Erscheinung. Was umso mehr verwundern, weil Don Wilson eine entscheidende Rolle in der Auflösung des Thrillers zukommt, und dies viel stärker im Verlauf eingewoben sein müsste.
Selbst nach zwanzig Jahren Auszeit zeigt sich Adrian Lyne sich immer noch als eindringlicher Erzähler von vielschichtigen psychologischen Studien. Er versteht es sehr geschickt immer wieder in den Schlüsselmomenten den Fokus von Thriller zu Drama zu verschieben. DEEP WATER versagt aber in einem Handlungsverlauf, der in sich nicht stimmig bleibt. Das ist aber nicht auf Lynes Regie zurück zu führen, sondern auf viele kleine Ungereimtheiten und Logiklöcher, die entweder einem schlecht überarbeiteten Drehbuch geschuldet sind, oder einer massiven Nachbearbeitung des bereits fertigen Films.
Man spürt regelrecht während der gesamten Laufzeit, dass DEEP WATER eigentlich ein viel besserer Film sein müsste. Und das von der Romanvorlage abweichende Ende, trägt sicherlich einiges dazu bei. Zweimal wurde der Kinostart verschoben, schließlich ganz abgesagt, und letztendlich der Film kurzfristig auf eine Streaming-Plattform angeschoben. Was immer zwischen Produktion und Veröffentlichung passiert ist, hat dem Film nicht gut getan.
Darsteller: Ben Affleck, Ana de Armas, Tracy Letts, Grace Jenkins, Dash Mihok, Rachel Blanchard, Kristen Connolly, Jacon Elordi u.a.
Regie: Adrian Lyne
Drehbuch: Zach Helm, Sam Levinson
nach dem Roman von Patricia Highsmith
Kamera: Eigil Bryld
Bildschnitt: Andrew Mondsheim, Tim Squyres
Musik: Marco Beltrami
Produktionsdesign: Jeannine Oppewall
Australien – USA / 2022
115 Minuten