– Bundesstart 03.11.2022
In Nordamerika planen Banker und Großindustrielle einen Staatsstreich, um mit einer faschistischen Organisation die aktuelle Regierung abzulösen. Das wurde 1934 durch Major General Smedley Butler unter Eid bekundet, als er wegen unamerikanischer Umtriebe vor dem Senat aussagen musste. Smedley Butler wird im Film General Dillenbeck genannt, und von Robert De Niro verkörpert. Das ist eine durchaus interessante und spannende Geschichte, die nur wenigen geläufig sein dürfte. Wer mit David O. Russell vertraut ist, wird es nicht überraschen, dass diese Geschichte mit seinen Ideen und dem Inszenierungsstil unerwartete Züge annehmen wird. Überraschend ist allerdings, dass Russell es immer wieder gelingt die aktuell ganz großen Namen für seine Projekte zu begeistern. Ein Umstand der sich auch bei AMSTERDAM kein bisschen geändert hat, obwohl einige führende Darsteller und Techniker schon während der Vorproduktion aus Covid-Gründen ausgetauscht wurden.
Anwalt Harold und Veteranenarzt Burt kennen sich schon aus dem ersten großen Krieg. Bevor sich ihre Wege trennten, verbrachten sie mit Krankenschwester Valerie unbeschwerte Zeiten in Amsterdam. Nach Jahren kommt Harold auf seinen alten Freund zu, und bittet um eine geheime Autopsie beim verblichenen Senator Bill Meekins. Als sich herausstellt, dass Meekins vergiftet wurde, überschlagen sich die Ereignisse. Plötzlich erscheint Valerie wieder auf der Bildfläche, und alte Bekannte aus Amsterdam geben sich als Agenten zu erkennen.
Es ist nicht von Vorteil, wenn einen die Darsteller von der Leinwand herab direkt anzusprechen scheinen, um über ihre Figuren mitzuteilen, dass dieser Moment jetzt witzig ist. Aber just dieser Moment ist nicht witzig. Weder das Spiel, noch der Dialog, auch nicht die Situation. Und AMSTERDAM ist voll mit solchen Momenten, eigentlich unablässig. Ob Davis O. Russell nun Screwball oder Satire inszeniert hat, ist schlecht zu beurteilen, weil der ganze Film inszeniert ist, als könnte sich der Regisseur nicht entscheiden.
Eine gehörige Portion Film-Noir kommt hinzu, was der Handlung zeitlich angemessen scheint, und legitimer ist als die Auswüchse in verschiedene Richtungen der Komödie. Russell ist seit jeher ein erzähltechnischer Provokateur im Hollywood-Geschäft. Allgemein gibt es im Business radikalere und unbequemere Gesellen, aber innerhalb des Mainstream-Betriebes sticht er einfach heraus. Russell nutzt die Energie seiner Darsteller, um damit ihre Figuren permanent am Laufen zu halten. Und das ist bei allen seiner Filme extrem anstrengend.
Was bei Screwball turbulent ist, wird bei Russell pure Hektik. Wo bei der Satire überzeichnet wird, verfällt Russell ins Chaos. Gut gemeinte Gags werden zu belanglosen Einstreuern, wie Burts Glasauge, dass ihm immer wieder aus der Augenhöhle fällt. Sind die Geheimagenten Norcross und Canterbury zur Tarnung in der Glasaugenmanufaktur tätig, hat das tatsächlich einen gelungenen, skurrilen Anstrich. Burts herausfallendes Glasauge hingegen steht in keinem Zusammenhang zu irgendwas.
Unsinnig anmutende, aus dem Zusammenhang gerissene, und/oder auch überlappende Dialoge. Sie ziehen sich wie ein absurdes Markenzeichen von I HEART HUCKABEES über SILVER LINING bis hier nach AMSTERDAM. Das funktioniert sehr gut in einer geordneten Inszenierung. Mit extrovertierten Darstellern wie Christian Bale, Chris Rock oder Margot Robbie wird es dann schwierig. Das lässt sich zum Beispiel sehr schwer mit dem fokussierten Spiel von John David Washington oder Rami Malik zusammenbringen.
Während die einen versuchen noch mit etwas Würde sich selbst mit ihren Figuren in Einklang zu bringen, genießen die anderen den Freifahrtschein, den ihnen der Regisseur scheinbar ausgegeben hat. Dazu hat sich Emmanuel Lubezki als bildgestaltender Kameramann noch einfallen lassen, die Protagonisten immer wieder Foto-gleich kadriert, frontal in die Kamera sprechen zu lassen. Gerade so, als ob der Zuschauer in diesen Szenen das angesprochene Objekt der Begierde wäre.
Der Einfluss des Regisseurs auf die Bildgestaltung ist offensichtlich. Aber Emmanuel Lupezki ist das Genie, der GRAVITY, CHILDREN OF MEN, BIRDMAN und REVENANT zu dem gemacht hat, was sie als sofortige Kamera-Klassiker festschrieb. Da ist schlichtweg enttäuschend, wie die Möglichkeiten mit den zeitgenössischen und beeindruckenden Kulissen ungenutzt bleiben. Selbst im Rahmen der satirisch gemeinten Umsetzung hätte die Kamera die Bedeutung und eigentliche Größe der sich aufbauenden Geschichte herausheben können.
AMSTERDAM hat viel zu bieten. Alleine die Anfangssequenz in Burts Klinik, und die bizarre Chirurgie an den Kriegsversehrten, oder deren wundersamen Prothesen. Burts optimistischen Aufmunterungen, selbst bei offensichtlich hoffnungslosen Fällen. Aber der Film schafft es nie beim Wesentlichen einer Szene zu bleiben, entweder deren Stärken auszuspielen, oder sich selbst auf eine klare inhaltliche Linie zu einigen. AMSTERDAM ist großes und lautes Durcheinander an ungeordneten Einfällen und inkohärenter Erzählform.
Es ist ein Ensemble, welches Woody Allen in seinen besten Zeiten nie zusammen bekommen hätte. Großartige Darsteller die allesamt fantastisch sind in dem was sie tun, die Regie aber versäumt in ein geregeltes miteinander zu bringen. Großartige Darsteller, die so viel mehr könnten, würde man sie anspruchsvoll anleiten würde. Und die kaum bekannte, aber spannende Geschichte des Verschwörers Major General Smedley Butler verliert sich in einem Panoptikum unausgegorener Ansätze, die nicht einmal Robert De Niro retten kann.
Darsteller: Christian Bale, John David Washington, Alessandro Nivola, Andrea Riseborough, Anya Taylor-Joy, Margot Robbie, Michael Shannon, Taylor Swift, Matthias Schoenaerts, Zoe Seldana, Robert De Niro, Rami Malek, Timothy Olyphant, Mike Meyers, Chris Rock u.a.
Regie & Drehbuch: David O. Russell
Kamera: Emmanuel Lubezki
Bildschnitt: Jay Cassidy
Musik: Daniel Pemberton
Produktionsdesign: Judy Becker
Japan, USA / 2022
134 Minuten