DARK GLASSES

Dark Glasses - Copyright ALAMODEOCCHIALI NERI
– Bundesstart 16.02.2022

Giallo ist italienisch für die Farbe Gelb. Gelb waren die Einbände einer italienischen Krimi-Reihe die in Heftromanform erschien. Der Regisseur Mario Brava legte in den Sechzigern den Grundstein für das Giallo betitelte Subgenre des Krimis, welches durch bestimmte Merkmale geprägt wurde. Inspektoren fahnden nach einem Serienkiller, der Frauen als Opfer wählt, um sie auf außergewöhnliche Weise möglichst blutig zu ermorden. Besonders in Italien erfreuten Filme dieser Art das Publikum, welche in den Siebzigern ihre Hochphase erlebten. Hier tat sich Filmemacher Dario Argento hervor, den man heute als Schöpfer der Gialli betrachtet, und der auch aufstrebende amerikanische Filmemacher stark beeinflusste. Soweit zu einem kleinen Abriss der Geschichte. Etwas ausführlicher erzählt, ist diese Geschichte immer noch um ein vielfaches spannender als Dario Argentos jüngster Giallo DARK GLASSES.

Die Edelprostituierte Diana verliert bei einem Autounfall ihr Augenlicht. Ein Serienmörder hat sie in der Nacht durch die Straßen von Rom gehetzt. Drei Prostituierte hat er schon auf dem Gewissen. Bei dem Unfall kommt auch ein chinesisches Pärchen ums Leben, ihr Sohn Chin überlebt. Obwohl unschuldig, fühlt sich Diana für Chin verantwortlich. Aber der Serienmörder ist mit Diana noch lange nicht fertig. Doch mit Chins Unterstützung und dem Blindenhund Nerea an der Seite, will sie ihren Verfolger zur Strecke bringen.

Eigentlich muss DARK GLASSES ein Freudenfest für jeden Argento-Fan sein, und auch für jeden cinephilen Thriller-Affektionato. Argento ist sich treu geblieben, und hat auch hier wieder seine liebgewordenen Markenzeichen eingewoben. Die starke Farbsättigung, bei der besonders Rot immer wieder auffallend ist. Die während der Morde starke Hervorhebung von besonders blutigen Bildern. Und, wieso auch immer, der Zusammenhang eines weiblichen Opfers mit einer geborstenen Glasscheibe.

Aber auch Argentos Faible für eine zusammenhanglos scheinende Erzählstruktur kommt wieder zum tragen. An manchen Stellen glaubt man sich in einer Rückblende, wie in den plötzlichen Auftritten der Inspektoren. Oder man bekommt überhaupt keinen Hinweis auf zeitliche Verläufe, wie Dianas Lernphase mit dem Blindsein. In manchen Filmen kann so etwas spannend sein, oder wie in diesem Fall, verwirrend. Wenn Chin sich bei Diana versteckt, drohen die Behörden, aber es geschieht nie etwas in der Richtung.

Die Begeisterung mag bei manchen Zuschauergruppen sicherlich groß sein. Dario Argento war zweifellos ein Meister in seinem Fach, genau zu jener Zeit. Das Problem mit dem DARK GLASSES geschlagen ist, und damit auch ein reguläres Publikum, ist die Verhaftung des Filmemachers Argento an seinen Karriere beeinflussenden Stilmitteln. Er ist ein sehr bestimmender Regisseur, der die künstlerische Kontrolle bei seinen Filmen nie aus der Hand gibt. Aber Dario Argento hat sich einfach nicht weiter entwickelt.

Dark Glasses 1 - Copyright WILD BUNCH INTERNATIONAL

 

Trotz seiner ungewöhnlich kurzen Laufzeit, steht dem Film ein nicht vorhandenes Tempo im Weg. Der Handlungsablauf ist gemächlich inszeniert. Anstehende Spannungsmomente lässt Argento sofort erkennen. Im Schnitt verzichtet Flora Volpelière auf fließende Sequenzen, als Assistent beim Parcour-Thriller DISTRICT 13 hätte er allerdings elegantere Möglichkeiten erfahren müssen. Anzunehmen ist ein dringlicher Einfluss des Regisseurs selbst.

Es ist eines jener unverständlichen Merkmale von Dario Argento, seine Mordsequenzen wie gereihte Standbilder zu inszenieren, um Blut und Mordwerkzeug besser ins Gedächtnis zu brennen. Es war ein Stilmittel aus den Anfängen, als Filme begannen die Grenzen des zeigbaren immer weiter zu überschreiten. Auch in DARK GLASSES sind es nicht die Motivationen der Figuren die den Regisseur interessieren, sondern die Gewalt an sich. Das erklärt die vollkommen absurde Szene mit Blindenhund Nerea im Finale.

Mit viel gutem Willen kann man DARK GLASSES als Hommage an die Hochphase des Giallo in den Siebzigern annehmen. Beim Zielpublikum von nach Unterhaltung heischenden Jungerwachsenen, wird dieser Film allerdings keine positive Mundpropaganda auslösen. Aber selbst eingegrenzt auf sein Sub-Genre, präsentiert Argento mit Co-Autor Franco Ferrini ein äußerst schlampiges Drehbuch. Viele Szenen sind erschreckend simpel verfasst und inszeniert, nur um von A nach B zu kommen.

Wenn ein Inspektor versucht ohne Erlaubnis in Dianas Haus einzudringen, ist die Szene als solches dumm und nicht im Geringsten nachvollziehbar. Sie dient nur dazu, den Blindenhund vorzustellen. Aber genauso hangelt sich DARK GLASSES von einem fragwürdigen Handlungselement zum nächsten. Am meisten leiden darunter die Darsteller, denen überhaupt kein Raum für Entwicklung oder berührenden Emotionen eingeräumt wird. Das Interesse an den Charakteren schwindet mit jeder Minute die der Film diese nicht als greifbare Figuren zeigt.

Vielleicht wird in einigen Jahren jemand kommen und DARK GLASSES noch einmal produzieren, aber dann im aktuellen Kino verorten. So wie es Luca Guadagnino 2018 mit Argentos SUSPIRIA sehr erfolgreich gemacht hat. Aber SUSPIRIA ist auch ein Klassiker gewesen, und mit solchen messen sich aufstrebende Filmemacher gerne. Bedeutungslose Horrorfilme mit hohem Blutfaktor gibt es zu jedem Starttermin, manche versuchen sich sogar mit Inhalt, als Allegorie, oder soziopolitischem Kommentar. DARK GLASSES lässt auch hier alles vermissen.

Dark Glasses 2 - Copyright WILD BUNCH INTERNATIONAL

 

Darsteller: Ilenia Pastorelli, Asia Argento, Xinyu Zhang, Maria Rosario Russo, Mario Pirrello, Gennaro Iaccarino, Andrea Gherpelli u.a.
Regie: Dario Argento
Drehbuch: Dario Argento, Franco Ferrini
Kamera: Matteo Cocco
Bildschnitt: Flora Volpelière
Musik: Arnaud Rebotini
Produktionsdesign: Marcello Di Carlo
Frankreich, Italien / 2022
86 Minuten

Bildrechte: WILD BUNCH INTERNATIONAL /ALAMODE
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