C’MON C’MON
– Bundesstart 24.03.2022
Es hat auch für den Zuschauer etwas befriedigendes, wenn ein Regisseur seinen Film dramaturgisch richtig einschätzt. Noch dazu, wenn er ihn selbst verfasst hat. Es gibt wenige Filmemacher, die sich bei ihren Stoffen zurücknehmen können. Dies macht ihr Werk dann allerdings greifbarer, und vor allem ehrlicher. Dabei ist COME ON COME ON voller Momente die förmlich die Möglichkeit der großen Emotionen vor sich hertragen. Der Radiojournalist Johnny soll sich ein paar Tage um den neunjährigen Jesse kümmern, den Sohn seiner entfremdeten Schwester Viv. Sie muss kurzzeitig die Stadt verlassen, um ihren getrennt lebenden Mann zu versorgen, der unter extremen bipolaren Störungen leidet. Entzweit haben sich Johnny und Viv, als es um die Betreuung der Demenz kranken Mutter ging.
Mike Mills verankert seinen Film im Hier und Jetzt, und auf seine drei Hauptdarsteller fixiert. Der Film scheint vorzugeben, dass es eine Geschichte zwischen Onkel und Neffe ist. Aber in COME ON ist jeder auf jeden in irgendeiner Form angewiesen, und das Johnny der einzig Charakter mit freiem Geist wäre, erweist sich schnell als Trugschluss. Dadurch das Viv ihren Bruder um Hilfe anfleht, welche er auch bereit ist zu geben, wird dieser längst überfällig aus seiner selbstschützenden Isolierungen gerissen.
Ohne Zweifel ist Joaquin Phoenix die zentrale Figur in dieser Erzählung. Die Auswirkungen aller Unwegsamkeiten im Verlauf führen auf Johnny zurück. Über Phoenix‘ darstellerisches Vermögen braucht man kaum noch Worte verlieren. Dennoch erstaunt es, um wie viel effektiver seine einnehmende Ausdrucksweise ist, je mehr er sich im Spiel zurück nimmt. Durch seine unbefangene Präsenz nimmt man Phoenix nicht als schauspielernde Figur wahr, sondern er definiert die Atmosphäre des Films mit seiner ansprechende Natürlichkeit.
Obwohl die Entwicklung der Beziehung zwischen Jesse und Johnny einen ganz authentischen, sehr unaufgeregten und nachvollziehbaren Gang nimmt, gewinnt der Zuschauer keinen wirklich realen Eindruck. Was im Sinne einer inszenierten Filmerzählung überhaupt nicht widersprüchlich ist. Es ist der Verzicht auf dramaturgische Überhöhungen, im Spiel, in den einzelnen Settings, oder in der Erzählstruktur. Das vermag durchaus das Leben zu reflektieren, spricht aber nicht zwangsläufig die tieferen Wahrnehmungen an, welche Zuschauer mit den Erfahrungen und der Atmosphäre von Kino unterbewusst verbinden.
Mike Mills hat einen Film gemacht, in dem wir uns in den meisten Szenen wiedererkennen, wo wir auf der Leinwand gestellte Fragen im Zuschauerraum beantworten können. Und wir können von Situation zu Situation sagen, dass es die Figuren dort oben auch schaffen werden, sich zusammenreißen, ihr Verständnis füreinander wieder ins Reine kommt. Da muss man für sich entscheiden, ob jemand vom Erlebnis Film nicht mehr erwartet als das unaufgeregt wirkliche Leben. Gerade weil sich die gesamte Produktion so zurück nimmt, könnte C’MON C’MON nicht unbedingt jeden Geschmack treffen.
Fast schon gewohnheitsmäßig, ist Joaquin Phoenix sensationell. Aber man spürt auch, dass seine entspannte Erscheinung durch den Einklang mit seinem Co-Darsteller Woody Norman zum tragen kommt. Norman ist kein Fremder im Geschäft, aber es ist seine erste Rolle in der er einen Film auch mit verantworten muss. Und mit ebenbürtigen Charme zu seinem Partner Phoenix stemmt er diese Verantwortung, mit lässiger Natürlichkeit.
In einer speziellen Szene, die selbstreden nicht vorweg genommen werden kann, kommen sich die beiden Darsteller so nah, wie es im richtigen Leben gewöhnlich, aber in filmischer Darstellung sehr ungewöhnlich ist. Hier bekräftigt sich nicht nur die Chemie zwischen Beiden, sondern fokussiert die Motivationen des Filmautoren Mike Mills.
Es ist selbstverständlich eine unterschätzte Aufgabe für Johnny, dem die Erziehung von Kindern im eigenen Erfahrungsschatz fehlt. Obwohl er selbst für eine Radioreportage durchs Land reist, und Jugendliche nach ihren Hoffnungen, Wünschen und Zukunftsperspektiven befragt. Hier teilt sich der Film sogar etwas auf, weil viele Antworten für sich stehen, und aufzeigt wie leicht man Kinder unterschätzt. Gleichzeitig wird es auch Leitfaden für Johnny in seiner reifenden Verantwortung für Jesse.
Johnny macht Fehler, ist manchmal ratlos, ist der perfekte Onkel, aber selten erwachsen genug. Jesse stellt viele Fragen, ist kaum konzentriert, und manchmal bockt er wie – ein kleines Kind. Aus den wenigen Tagen werden Wochen, Viv bekommt die Probleme mit ihrem mentalen Mann nicht geregelt. Dafür schließen sich über die Distanz langsam die Wunden zwischen den Geschwistern. Das Kameramann Robbie Ryan den Film im Academy Filmformat und in Schwarz-weiß gedreht hat, mag als künstlerische Spielerei anmuten. Extrem auffallend ist allerdings der geringe Kontrast in den Bildern, wo Kontrast für gewöhnlich andere Filmemacher von Schwarz-weiß begeistert. C’MON C’MON gewinnt dadurch so viele graue Abstufungen, dass er auch bildlich den Kern der Geschichte umsetzt. Egal aus welcher Perspektive, das Leben ist nie einfach nur schwarz-weiß.
Darsteller: Joaquin Phoenix, Woody Norman, Gaby Hoffmann, Scoot McNairy u.a.
Regie & Drehbuch: Mike Mills
Kamera: Robbie Ryan
Bildschnitt: Jennifer Vecchiarello
Musik: Aaron Dessner, Bryce Dessner
Produktionsdesign: Katie Byron
USA / 2021
109 Minuten