FENG BAO
– Bundesstart 01.12.2022
Natur ist unbarmherzig. Da gibt es diejenigen, die Respekt davor haben, und solche die glauben der Natur überlegen zu sein. Es ist der dramaturgische Grundstock vieler solider Katastrophenfilme. Als sich irgendwo eine tektonische Platte bewegt – irgendjemand erwähnt einmal die pazifische Platte, was unwahrscheinlich scheint – gibt es im Südwesten Chinas einen Erdrutsch der den im Bau befindlichen Tunnel für eine Hochgeschwindigkeitsstrecke bedroht. Die Geologen Yizhou und Xiaojin können in einem waghalsigen Manöver die Arbeiter aus einem Tunnel retten, aber der Berg wird bald nachgeben. Der gewaltige Erdrutsch würde die gesamte, in der Nähe befindliche Stadt zerstören. Die Bahnstrecke ist ein Prestigeobjekt der Regierung, deswegen lehnt die Bauleiterin Ding Yajun kategorisch ab, was eigentlich getan werden müsste, um tausende Leben zu retten – den Berg kontrolliert sprengen. Liebhaber von Katastrophenfilmen und Actionfans wissen, dass dies erst der Anfang der Geschichte ist.
Wie schon in der epochalen Materialschlacht BA BAI – THE 800 ein Jahr vorher, muss sich auch CLOUDY MOUNTAIN gefallen lassen, dass einige Visual Effects sich allzu leicht als Compter generierte Bilder zu erkennen geben. Das wäre allerdings ein negativer Kritikpunkt, den Li Jun in einer atemberaubend dichten Inszenierung geradezu verschwinden lässt. In erster Linie manifestiert sich ein monumentales Spektakel von kohärenter Spannung, welches zurück zu BA BAI – THE 800 führt. Es sind chinesische Produktionen.
Die Financial Times berichtete, dass chinesische Investitionen in die amerikanische Medien- und Unterhaltungsindustrie allein im Jahr 2016 4,8 Milliarden Dollar betragen hatte. Es war ein vorläufiger Höhepunkt, aber nichtsdestotrotz ist der chinesische Einfluss in den 2000er immer wieder heiß diskutiertes Thema. Produktionsfirmen wie Tencent und Alibaba sind in dieser Zeit feste Größen in der Finanzierung von Tentpole-Blockbustern geworden. CLOUDY MOUNTAIN ist exemplarisch für das Für und Wider dieser Praxis.
Hollywood ist nicht das Maß aller Filmdinge. Wenn es allerdings um den Massengeschmack geht, kommt man daran nicht vorbei. Und CLOUDY MOUNTAIN beweist eindrucksvoll, dass mit dem richtigen Engagement Hollywood überall möglich ist. Böse Zungen können ruhig flüstern, dass China alles kopiert, was Geld bringt. Was aber ein selbstgefälliger Trugschluss ist. Action-Regisseur Li Jun hält uns beeindruckend vor Augen, dass wir als Zuschauerinnen und Zuschauer nur zu blockiert sind, etwas anderes zu probieren, obwohl es absolut der Norm entspricht.
Die Norm bei CLOUDY MOUNTAIN liegt in der perfekten Umsetzung von inhaltlichen Blaupausen und dramaturgischen Klischees. Was den Kulturintellektuellen schon einmal prophylaktisch abschreckt, entpuppt sich als exzellente Unterhaltung mit allem, was Spannungskino aufwarten kann. Es gibt den Helden mit traumatischer Vergangenheit. Eine zerbrochene Beziehung zwischen Vater und Sohn. Eine hartherzige Funktionärin mit Hang zum Umdenken. Der zynische Schwarzseher als gutes Gewissen, etc..
Alle Figuren sind miteinander verbunden, oder ihre schicksalsvollen Wege führen handlungsbedingt zusammen. Und fast schon selbstredend wird das Trauma des Helden bestimmend für das spektakuläre Finale. Das hört sich alles aus gutem Grund nach abgedroschenem Recycling an, funktioniert aber besser als jemand vermuten möchte, der durch westlich orientierten Kinokonsum geprägt ist. Li Jun weiß in seiner Inszenierung exakt immer die richtigen Akzente zu setzen, hier wirkt keine Szene zu lang, und keine wird zu vorschnell abgehandelt.
Die Schauwerte sind spektakulär, was ein präziser Schnitt von Ming Gao hervorragend umsetzt, der das Tempo richtiggehend voran treibt. Erdbeben, Zugentgleisung, Erdrutsch, alles was das Katastrophenherz begehrt, kompakt. Dennoch behalten Zuschauende den Überblick. Gerade in den aufwendigen Action-Sequenzen hat man das Gefühl das Ganze in vollem Umfang zu erleben. Die Macher gehen aber auch wirklich ins Detail, ohne sich mit für solche Szenen üblichen Auslassungen vor eventuellen Anschlussfehlern zu drücken. Die innere Logik im Ablauf der Sequenzen ist immer gegeben.
Natürlich wird es richtig sentimental, und an Pathos wird wahrlich nicht gespart. Aber das überzeugende Ensemble kann das auch sehr gut vermitteln, wo allesamt ihre Rollen mit Glaubwürdigkeit ausspielen, so das man auch mit ihnen fühlt. Mit der Ausnahme von Shu Chen die einfach nicht die charismatische Ausstrahlung für ihre linientreue Bauleiterin Ding Yajun aufbringt. Alles in allem hat Ju Lin die Sequenzen auf den Punkt gebracht, dass die emotionalen Dialogszenen in ihrer pathetischen Umsetzung wirklich stimmig sind.
Erstklassigen Kino dem ein verdientes Publikum abhanden kommt, weil es aus falschen Land kommt. Tatsächlich wird ausgerechnet der Abspann für patriotischen Nonsens missbraucht, wenn in dokumentarischen Aufnahmen heldenhafte Bauarbeiter beim Bau chinesischer Eisenbahnstrecken gefeiert werden. Das geht bedingt am Film vorbei, und gibt CLOUDY MOUNTAIN dann noch einen bitteren Beigeschmack von billiger Propaganda. Zugegeben machen das die meisten amerikanischen Produktionen ebenso, doch wesentlich subtiler und interessanter. Aber nicht so, dass es im Nachhinein die Atmosphäre eines perfekten Kinoabends zerstört.
Darsteller: Yilong Zhu, Zhizhong Huang, Junyan Jiao, Shu Chen, Taishen Cheng, Ge Wang, Siyu Lu, Jiantoou Zhou u.a.
Regie: Li Jun
Drehbuch: Sha Song, Li Jun
Kamera: Xiaoshi Zhao
Bildschnitt: Ming Gao
Musik:
Visual Effects: Meng Hee Wee
Produktionsdesign:
China / 2022
114 Minuten