BLONDE

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BLONDE ist ein Alptraum an Inkonsistenz. Das jüngste Werk von Filmemacher Andrew Dominik ist lediglich eine Leistungsschau seiner persönlichen, visuellen Vorstellungskraft. Nichts von dem, was der Regisseur an filmtechnischen Einfällen auf die Zuschauer loslässt, wird dem Thema gerecht. Nicht in dieser Schlagzahl, nicht in der eigentlichen Absicht der einzelnen Sequenzen. Im Film sagt ein Doktor zum medizinischen Zustand von Norma Jeanes Mutter, „es ist ein Syndrom von Symptomen“. Dieser knappe Satz ergibt Sinn, aber er verwirrt erst einmal. Doch zu diesem Zeitpunkt ist BLONDE schon so weit fortgeschritten, dass Zuschauer diese Aussage auf den Film selbst übertragen können. Der vorgebende Roman von Joyce Carol Oates weist sich als fiktiv aus und gibt vor lediglich vom Leben Marilyn Monroes inspiriert zu sein. Dies scheint für Dominik genug Ausrede zu sein, sich nur für seine künstlerische Freiheit interessieren zu müssen.

Dafür dass BLONDE ausdrücklich keine Biografie sein soll, hält sich der Film ziemlich streng an den Lebenslauf der Schauspielerin Norma Jeane, an ihre Filme und vor allem die Männer in ihrem Leben. Im Abspann heißen sie zum Beispiel Der Ex-Athlet und Der Dramatiker, in den Spielszenen werden sie aber eindeutig Joe DiMaggio und Arthur Miller genannt. Selbst die Figur Cass kann nicht oft genug betonen, dass sein Vater Charles Chaplin ist. Die angeblich fiktive Geschichte verhält sich durchweg sehr konkret.

Ein unter seinen Möglichkeiten besetzter Bobby Cannavale bezeichnet Norma Jeane in einer Szene als „ein Stück Fleisch, dass zur Schau gestellt wird“. Das ist auch was der Film als dramatischen Faden für seine Protagonistin nutzt. Sie wird geschlagen, vergewaltigt, ausgelacht, hintergangen, unterdrückt und ausgenutzt. Was Andrew Dominik in seinem Film vorgibt anprangern zu wollen, tut er diesem bemitleidenswerten Menschen eigentlich noch einmal an. Er stellt sie für seine als künstlerisch deklarierten Vorstellungen zur Schau.

Gleichzeitig tut er das auch mit seiner überwältigenden Hauptdarstellerin Ana de Armas, die bei noch keiner ihrer bisherigen Rollen physisch und psychisch so weit gegangen ist. Mit Armas wäre alles möglich gewesen, nur hat das den Regisseur nicht interessiert. Der versetzt die historische Figur in einen mentalen Status, aus dem er sie über die gesamte Laufzeit nicht ausbrechen lässt. Dafür scheint es ihm ein besonderes Anliegen gewesen zu sein, Ana de Armas so oft wie möglich barbusig zu zeigen.

Ohnehin ist die Freizügigkeit fragwürdig und kaum nachvollziehbar. Die strenge 18er Freigabe ist gerechtfertigt, die dafür verantwortlichen Szenen allerdings nicht. Der grenzwertig ausführliche Oralsex an JFK trägt genauso wenig zum emotionalen Verständnis bei, wie die Kameraeinstellung aus dem Inneren einer Vagina mit Blick auf das Abtreibungsbesteck. Kaum etwas bleibt in der szenischen Umsetzungen nachvollziehbar. Wie beim Besuch der DiMaggio Familie, wo sich jeder über Norma Jeane lustig macht, ohne das es Sinn ergibt.

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Dramatische Momente werden ohnehin nicht ausgespielt. Wenn innerhalb einer Szene eine weiterführende Erklärung angebracht wäre, wird kommentarlos in die nächste Episode gewechselt. Auch wenn sich Dominik damit brüstet, BLONDE wäre nicht biografisch, taugt der Film nicht einmal anderweitig als verständliches Psychogramm. Wer mit dem Leben und Wirken der Ikone vertraut ist, wird kaum einen Ansatz finden, um sich mit neuen Aspekten auseinandersetzen zu können.

Wer überhaupt nicht mit dem Leben und Wirken der Ikone vertraut sein sollte, wird kaum Ansätze finden, sich näher mit der Person Norma Jeane beschäftigen zu wollen. Eine pathologische Hysterikerin, die nicht wegen ihres Könnens Erfolg hatte, sondern wegen unbefriedigter Triebe ihrer Verehrer. Da stellt sich natürlich die Frage über die Sinnhaftigkeit. Es ist zumindest ein inkohärenten Spielwiese für einen losgelösten Regisseur, der mit einer inszenatorische Katastrophe sehr zufrieden zu sein scheint.

Ständig wechseln die Seitenverhältnisse des Bildes, auch innerhalb einer Szene. Schwarzweiß ändert sich in Farbe, mal in realistisches Kodachrome, dann wieder in aufdringliches Technicolor, nur um wieder unmotiviert in Schwarzweiß zu wechseln. Manchmal ändert sich Format und Farbe gleichzeitig, manchmal nur eins von beiden. Verzweifelt sucht man nach einem Muster, nach einer Motivation, die es geben müsste, wenn sich in einer Einstellung das Format ändert, oder innerhalb eines Dialogs die Farbe.

Es vergeht nicht viel Zeit in dem ohnehin viel zu langen Film, dass konzentrierte Zuschauer sich wünschen, BLONDE würde wenigstens einmal für fünf Minuten bei nur einer Farbstimmung oder einem Format bleiben. Wäre zumindest angebracht gewesen, bei den vielen Sequenzen die in epischer Länge inszeniert sind. Da ruft der Zuschauende innerlich schon nach dem nächsten Schnitt, weil alles schon gezeigt und gesagt wurde was die Szenen hergeben, diese aber nicht Sekunden, sondern Minuten länger laufen.

Während eines Streites schreit Ana de Armas einmal, „was geht dich mein Leben an?“, und sieht dabei direkt in die Kamera und damit das Publikum an. Das ist eine bitterböse, ironische Frage. Sie hat aber nichts metaphysisches, weil es eben nicht ihr Leben ist, sondern ein Gespinst des Regisseurs, der Fiktion und Fakten bis zur Unkenntlichkeit verschwimmen lässt. BLONDE wird weder einem interessierten Publikum noch der Person Norma Jeane gerecht. Die 14 Minuten stehender Ovationen bei den Filmfestspielen in Venedig müssen einzig und allein den Darstellern, allen voran Ana de Armas gegolten haben. Alles andere wäre bedenklich.

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Darsteller: Ana de Armas, Lucy DeVito, Adrien Brody, Bobby Cannavale, Sara Paxton, Garret Dillahunt, Julianne Nicholson, Scoot McNairy u.a.
Regie & Drehbuch: Andrew Dominik
Kamera: Chayse Irvin
Bildschnitt: Adam Robinson
Musik: Nick Cave, Warren Ellis
Produktionsdesign: Florencia Martin
USA / 2022
166 Minuten

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