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Der Filmtitel ist mehr als nur die Anlehnung an eine der noch immer erfolgreichsten Sitcoms des amerikanischen Fernsehens. BEING THE RICARDOS ist auch mehr als nur Lucille Balls und Desi Arnaz‘ Darstellung ihrer Serien-Charaktere. Filmemacher Aaron Sorkin versteht den Titel als Essenz zweier Leben, die auf Karriere ausgelegt waren. Die Zuschauer sollten dafür die letzte Texttafel des Films durchaus länger wirken lassen, um das Gesehene in den tatsächlich von Macher Sorkin beabsichtigten Kontext zu bringen. Die beiden Ausnahmekünstlern bekommen dadurch noch einmal einen ganz besonderen Feinschliff in ihren jeweiligen Charakterzügen. Der Film erzählt eigentlich nur von einer Woche während der Produktion einer Folge I LOVE LUCY, irgendwann Mitte der Fünfziger. Eine eigentlich gewöhnliche Produktionswoche. Wäre da nicht ein Radiomoderator, der Lucille Ball beschuldigt Kommunistin zu sein, und eine Boulevardzeitung, die Desi einer außerehelichen Affäre bezichtigt.
Man sollte im geistigen Auge behalten, was für Geschichten Aaron Sorkin bisher für die Leinwand und fürs Fernsehen geschrieben hat. Die Präzision, mit der er aus einer Vielzahl von Details den Kern der Dinge freilegt, und dabei alles im richtigen Kontext hält. EINE FRAGE DER EHRE, SOCIAL NETWORK, MONEYBALL, STEVE JOBS, TRIAL OF THE CHICAGO 7, oder auch für die Serien WEST WING und THE NEWSROOM. Ein kleiner Abriss um zu verdeutlichen, dass es eine Schande wäre BEING THE RICARDOS zu versäumen.
Während man von I LOVE LUCY in Deutschland lediglich hörte, war die Serie in vielerlei Hinsicht revolutionär. Eine Frau in der Hauptrolle, ein Kubaner als geschäftsführender Produzent, Episoden-Aufzeichnung mit Live Publikum, die Erfindung der Drei-Kamera-Produktion, und eine delikate private Situation, die für ein amerikanisches Vorabendprogramm eigentlich undenkbar war, aber dennoch in die Serie eingebaut wurde. Alles, weil die Arnaz und Balls eigene Firma Desilu Dank der überwältigenden Popularität, die Macht dazu verliehen wurde.
Alles was in dieser gezeigten Woche passiert, ist tatsächlich so geschehen. Nur nicht alles auf einmal. Diesen notwendigen, künstlerischen Freiraum braucht es auch, um die Energie und Intensität in einer funktionierenden Beziehung nicht nur in einer Ehe, sondern besonders im eingespielten Team einer derartigen Fernsehproduktion in der Kürze der Zeit angemessen zu würdigen. Und Sorkin hat diesen Freiraum so stark in Anspruch genommen, dass es ein Leichtes gewesen wäre, an den unendlich vielen Elementen die der Film behandelt, grandios zu scheitern.
In einer ausführlicheren Betrachtung kann man sich die Katastrophe vorstellen, wenn der als erster im Gespräch gewesene David O. Russell die Regie übernommen hätte. Und Russell zog tatsächlich Jennifer Lawrence als Hauptdarstellerin in Betracht, mit der er SILVER LININGS, AMERICAN HUSTLE und JOY gemacht hat. Nach vielen sensationellen Drehbüchern sind die RICARDOS erst die dritte Regiearbeit von Aaron Sorkin, aber er beherrscht sein virtuoses Drehbuch mit außergewöhnlich viel Feingefühl für Timing und passgenaue Akzente.
Mit starken Anleihen an die alten Screwball-Komödien, hagelt es ununterbrochen geschliffene Dialoge, bei denen jedes Wort sitzt. Manchmal zum Schreien komisch, aber auch oft sehr hintersinnig. Aber niemals sind es erzwungene Lacher, schon gar nicht für das Publikum. Vieles über die Figuren erklärt sich mit ihren Dialogzeilen. Was sich manchmal urkomisch anhört, wäre seinerzeit eine herausfordernde Provokation gewesen. Lucille Balls vulgäre Sprache hätte die angestammten Zuschauer abgestoßen, oder Bill Frawleys Trunksucht wäre zum Skandal eskaliert.
Was alles natürlich nur mit einer starken Schauspieltruppe einnehmend umgesetzt werden kann. Natürlich ist das Hauptaugenmerk dabei auf Nicole Kidman gerichtet, die erst gar nicht versucht sich hinter einer Fassade von Makeup und antrainierten Manierismen zu verstecken. Die Ähnlichkeiten zur realen Lucy ist immer noch frappierend, aber der Charakter funktioniert nur so lebensecht und original, weil Kidman ihn mit spürbarer Leidenschaft von innen heraus verkörpert. Noch weniger äußerliche Ähnlichkeit bietet Javier Bardem, aber er überzeugt mit ungezügeltem Charme und sehr subtiler Sensibilität. Beide zeichnen ein Bild ihrer Alter Egos, dass wirklich überrascht, sie aber vollkommen greifbar macht.
Simmons, der scheinbar nie etwas falsch machen kann, Arianda, Hale, Shawkat und Lacy sind umwerfende Nebendarsteller, die aber nie in den Schatten von Ball und Arnaz, sprich Kidman und Bardem gestellt werden. Jeder von ihnen als Darsteller und erst recht als Figur ist wichtiger, fast gleichberechtigter Teil das gesamten Ganzen. Und das Alles in einem exzellenten Produktionsdesign, welches unter der Führung von Jon Hutman nicht aufdringlich nostalgisch ist, sondern elegant und wohltuend den Zeitgeist wiederspiegelt.
Es ist durchaus eine Schande, dass dieses durch und durch stimmige, und extrem unterhaltende Werk für eine Streaming-Plattform produziert wurde. Damit wird der Film gerade einmal von einem Bruchteil der Menschen bemerkt und gesehen, welche BEING THE RICARDOS wirklich verdient hätte.
Darsteller: Nicole Kidman, Javier Bardem, J.K. Simmons, Nina Arianda, Tony Hale, Alia Shawkat, Ronny Cox, Jake Lacy, Linda Lavin u.a.
Regie & Drehbuch: Aaron Sorkin
Kamera: Jeff Cronenweth
Bildschnitt: Alan Baumgarten
Musik: Daniel Pemberton
Produktionsdesign: Jon Hutman
USA / 2021
131 Minuten