– Bundesstart 23.06.2022
Selbst wer sich noch nicht eingehender mit der Lebensgeschichte des amerikanischen Sängers auseinandergesetzt hat, wird eine gute Vorstellung vom Wertegang des Jungen aus Tupelo, Mississippi haben. Dieses Mal erzählt uns Andreas van Kuijk die Geschichte. Er spricht die Zuschauenden dabei direkt an, was eine sehr interessante künstlerische Entscheidung von Regisseur Baz Luhrman und seinen drei Coautoren Sam Bromell, Craig Pearce und Jeremy Doner ist. Soweit interessant, weil Andreas van Kuijk am Ende die Schuld für den gesundheitlichen und mentalen Niedergang des King of Rock’n’Roll uns gibt. Dem Zuschauenden, dem Interessierten, der Gesellschaft, dem frenetischen Fans und stillen Musikliebhabern. Andreas Cornelis van Kuijk ist natürlich Colonel Tom Parker. Jener legendäre Musikmanager, selbstgerechte Blender und narzisstische Trickser, der zu verantworten hatte, was er bis zum eigenen Ableben nie wahrhaben wollte.
Kindheit in Tupelo, Jugend in Memphis, Sun Records, Col Tom Parker, Road-Shows, Plattenvertrag mit RCA, verordneter Imagewechsel, Wehrdienst, Tod der vergötterten Mutter Gladys, die große Liebe Priscilla Beaulieu, mäßige Filmkarriere, das NBC Comeback-Special, Trennung von Priscilla, Triumphe im International Hotel in Las Vegas, der unabänderliche Abstieg wegen seiner Unzufriedenheit im privaten Umfeld und dem damit einhergehenden Medikamenten-Missbrauch.
Der Grund, warum man sich diese so oft erzählte Geschichte erneut antun kann, ist die äußerst geschickt verwobene Erzählstruktur. Gewisse Handlungsteile lösen immer wieder Rückblenden aus, die erklärende Erweiterungen ergeben. Jene Rückblenden führen die Erzählung aber auch wieder einen Schritt voran. Es verleiht dem Film eine sehr eigene und einnehmende Dynamik. In bekannte Handlungsabschnitte werden stets neue, oder zumindest weniger bekannte Lebens- und Charakter-Details eingestreut.
Unter anderem wird Elvis‘ Faszination für das schwarze Vergnügungsviertel Beale Street immer weiter vertieft, oder Tom Parkers rätselhafte Herkunft zur Sprache gebracht. Dagegen stehen allerdings wesentlich mehr unbeantwortete Fragen. Hauptsächlich betrifft das die emotionalen Abhängigkeiten diverser Charaktere untereinander. Angerissene Beziehungen bleiben ohne nähere Betrachtung. Wie das Verhältnis zu Songschreiber Jerry Schilling, der auffällig präsent inszeniert ist, aber inhaltlich kaum Einfluss nimmt.
Baz Luhrmann zeigt sehr eindringlich die Beziehung zwischen dem Sänger und seiner Musik. In einem mitreißenden Segment, führt Luhrmann mit Split-Screen gleich drei Zeitebenen zusammen, in denen drei verschiedene Versionen von ‚That‘s All Right‘ übereinander gelegt sind. Wo nicht nur dem eingefleischten Fan zu Recht die Tränendrüse drückt, ist bei ‚If I Can Dream‘ im Finale des NBC-Segments, und wenn Elvis mit seinem Orchester in Las Vegas sein legendäres Auftritt-Intro entwickelt.
Auf sehr manipulative Weise lässt Luhrmann in diesen drei Segmenten den Mann mit der Musik verschmelzen, was allerdings zur Freude des Zuschauers durch die realen Vorgaben gerechtfertigt wird. In seinen relativ wenigen Regiearbeitet zeichnet sich der Regisseur stets mit dem Markenzeichen von Opulenz aus. In allen technischen wie künstlerischen Belangen. Und das Leben von Elvis Presley gibt ihm entsprechend Gelegenheit seinem Hang zur optischen Reizüberflutung mit allen Mitteln filmtechnischer Kunst nachzugehen.
Was dabei heraus kommt ist grandios anzusehen, es ist eine nicht enden wollende Flut von hochgradig artifiziellen Bildern. Der Film lässt unentwegt eiskalte Schauer über den Rücken laufen, was durch eine leicht künstliche Ästhetik noch verstärkt wird. Die künstlerischen Freiheiten sind dabei geringer ausgefallen, als man annehmen müsste. Und selbst diese abweichenden Freiheiten stehen noch immer im Kontext zu Personen und Geschichte.
Zweifellos muss man Austin Butler als bisher besten Elvis anerkennen. Die phänomenale Physis von Austin Butler steigert sich sogar noch mit unmerklichen Latex-Prothesen beim älteren Elvis. Es ist eine Gänsehaut erzeugende Ähnlichkeit. Auch seine körperliche Imitation, besonders bei den Auftritten lassen wirklich nichts zu wünschen übrig, die Stimmmodulation bei seinen Monologen tadellos. Lediglich bei hitzigen Wortgefechten verfällt Butler immer wieder in seine eigene Stimme.
Bei Butler sind es nicht einfach die einzelnen Elemente, sondern die gesamte Person in der körperlichen und stimmlichen Erscheinung die einen glaubhaften Elvis Presley möglich werden lassen. Tom Hanks hingegen zeigt sich eher als eine Interpretation des schmierigen Niederländers mit falschem Namen und Titel. Aber was Hanks an äußerer Ähnlichkeit vermissen lässt, macht er mit seiner durchaus hassenswerten Art mehr als wett. Nur in seiner Dialektmischung von Südstaatler und Niederländer hätte er sich etwas zurück nehmen können.
Die Ausstattung ist monumental, die Kameraführung mitreißend, der Bildschnitt exzellent, die Tonebene fesselnd, das Makeup perfekt und die Darsteller umwerfend. Alles Attribute die man ausnahmsweise nicht in Frage stellen muss, weil sie zutreffen. Luhrmann hat grundsätzlich einen Hang, die Farbsättigung immer leicht über Niveau zu halten, was gerade bei ELVIS auch die Intensität der Bilder verstärkt. Das atemberaubende Spektakel in Form, Farbe und Rhythmus drückt den Film aber weit weg von einer Biografie.
Was Baz Luhrmann als Drama erzählen will, entfaltet sich nur weil Figur und Schicksal im allgemeinen Bewusstsein verankert sind. Ansonsten verschieben sich unablässig die Grenzen zwischen Rock’n’Roll-Fantasie und realer Historie. Durch den überfrachteten Einsatz von filmischen Stilmitteln, die den Film grundsätzlich als sehenswert ausmachen, geraden manche Sequenzen zur Satire, andere zum überzogenen Melodram. Realität und Fantasie heben sich auf. Der stetige Stilwechsel verschließt für den Zuschauer jeden Bezug zum faktischen Wahrheitsgehalt.
Der Film ELVIS wird bestenfalls zu einem Ereignis welches den Mythos und das Erbe des King of Rock’n’Roll verstärkt. Die Person, seine Werte und sein Handeln werden nicht wirklich hinterfragt, oder vielleicht einmal differenzierter betrachtet. Diese Ansätze sind bei Baz Luhrmann durchaus vorhanden, doch sie versacken zwischen grandiosen Musiknummern, phänomenalen Zeitkolorit, und extravaganten Spielereien mit Comic-Heft Sequenzen, oder nachgestelltem 16mm Nachrichtenmaterial. Das ganz große Kinospektakel ist gelungen, seine Sinnhaftigkeit sollte man in Frage stellen.
Es sollte keineswegs darum gehen, einen Ansatz zu finden die Legende anzukratzen oder in Frage zu stellen. Aber mit der Erzählung aus der Sicht des falschen Colonel hätten sich auch interessante Aspekte von alternativen Sichtweisen ergeben. Doch selbst das wäre im Grunde nicht notwendig. Dann bleibt aber die Frage, warum wieder einmal eine Elvis-Presley-Biografie, wenn sie doch viel mehr an ihrem eigenen Spektakel interessiert ist, als am Kern ihrer Geschichte. Elvis Aaron Presley, 1935 in Tupelo geboren, verstarb mit nur 42 Jahren im August 1977 in Memphis, Tennessee.
Darsteller: Austin Butler, Tom Hanks, Olivia DeJonge, Helen Thomas, Richard Roxbburgh, Kodi Smit-McPhee, Kelvin Harrison Jr., David Wenham u.a.
Regie: Baz Luhrmann
Drehbuch: Baz Luhrmann, Sam Bromell, Craig Pearce, Jeremy Doner
Kamera: Mandy Walker
Bildschnitt: Jonathan Redmond, Matt Villa
Musik: Elliott Wheeler
Produktionsdesign: Catherine Martin, Karen Murphy
Australien – USA / 2022
159 Minuten